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Mobilität
"Carsharing wird eine immer größere Rolle spielen"

Laut einer Studie des Umweltbundesamtes befürwortet die Mehrheit der Deutschen Städte mit weniger Autoverkehr. Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) glaubt zwar, dass Menschen, die das Auto beispielsweise für ihren Job brauchen, auch künftig eins besitzen werden. Alternative Transportmittel wie Carsharing werden jedoch an Bedeutung gewinnen.

Gerd Lottsiepen im Gespräch mit Stefan Römermann | 31.03.2015
    Ein Fahrradfahrer fährt zwischen Autos vorbei, die sich an einer Einfallstraße von Frankfurt am Main im Berufsverkehr stauen.
    Ein Fahrradfahrer fährt zwischen Autos vorbei, die sich an einer Einfallstraße von Frankfurt am Main im Berufsverkehr stauen. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Stefan Römermann: Früher, da war der Führerschein und vor allem das eigene Auto für viele Menschen ein Statussymbol und der Inbegriff von Freiheit. Doch die Einstellungen zur Mobilität, die ändern sich gerade ganz gewaltig. Das hat eine Umfrage des Umweltbundesamtes gezeigt, über die wir gestern berichtet haben. Demnach sind 82 Prozent der Menschen dafür, Städte und Gemeinden so umzugestalten, dass man kein Auto mehr braucht. Die Welt soll nicht mehr für Autos geplant werden, sondern für den Menschen, so der Tenor. Was das konkret bedeutet und was sich ändern muss, darüber spreche ich jetzt mit Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Herr Lottsiepen, eine Welt ganz ohne Autos wird es ja wohl auf absehbare Zeit noch nicht geben. Aber welche Rolle werden denn Autos in Zukunft noch in der Mobilität spielen?
    Gerd Lottsiepen: Nicht mehr so eine große wie heute. Diese Umfrage war ja auch nicht dahin gerichtet zu fragen, ob die Leute alle ihre Autos abschaffen wollen oder nicht mehr Autofahren wollen, sondern sie wollen in einer Stadt leben, wo man aufs eigene Auto nicht mehr angewiesen ist. Das heißt, wir werden verschiedene Verkehrsmittel nutzen. Heute benutzen ganz viele Menschen nur ein einziges Verkehrsmittel. In der Regel und am meisten ist es das Auto. Wir werden uns umgewöhnen, wir werden einfach mehrere nehmen. Wir werden mit dem Fahrrad fahren, wir werden mit dem öffentlichen Verkehr fahren und das Auto natürlich noch nutzen, wo es nicht anders geht, und ja, wir werden flexibler.
    Römermann: Wird das Auto uns dann noch gehören, oder wird tatsächlich Carsharing eine immer größere Rolle spielen?
    Lottsiepen: Carsharing wird eine immer größere Rolle spielen. Das Auto wird vielen Menschen noch gehören, und zwar denen, die es unbedingt wollen, die eine emotionale Beziehung zum Auto haben, zu ihrem Auto haben, aber auch diejenigen, die es brauchen, um in den Job zu fahren. Carsharing ist ziemlich schwierig, wenn ich in einer Stadt wohne, wo es nur stationsbasiertes Carsharing gibt, wenn das Auto acht Stunden oder neun Stunden beim Büro steht. Die müssen ja unterwegs sein und die stationsbasierten muss man ja zurückbringen. Das wird teuer, wenn man für neun Stunden ein Auto nimmt beim Car Sharer. In größeren Städten gibt es ja auch dieses One Way Carsharing. Damit kann man natürlich auch zum Job fahren. Aber das wird nicht die Regel bleiben.
    Römermann: Vielleicht erklären Sie an der Stelle mal ganz kurz den Unterschied. Was sind denn diese beiden Systeme, die es da gibt?
    Lottsiepen: Das klassische Carsharing funktioniert so, dass irgendwo ein, zwei, drei, vier Autos stehen, möglichst an einem Punkt, wo viele Menschen hinkommen. Man nimmt das Auto dort und muss es auch dorthin wieder zurückbringen.
    Dann gibt es das sogenannte Free-Floating-Carsharing. Das gibt es aber bis jetzt nur in wenigen Städten. In Berlin tummelt sich alles. Da kann ich das Auto irgendwo am Straßenrand nehmen. Ich buche es per App, fahre irgendwo hin, stelle es dort wieder ab, melde es ab, und dann kann der Nächste es sofort wieder nutzen.
    Römermann: Und was ist da aus ökologischer Sicht das Sinnvollere?
    Lottsiepen: Das ist schwer zu sagen. Wichtig ist, dass man dazu kommt, dass die Menschen wirklich die Freiheit haben, ohne eigenes Auto leben zu können. Wenn man nach der reinen Lehre geht, dann erzieht das stationsbasierte Carsharing zu weniger Autofahren, aber ich denke, beides ist wichtig, wenn es funktioniert. Es braucht auch eine gewisse Größe des Ortes, dass es funktioniert. Dann ist es eine gute Geschichte, beides zu haben.
    "Der Verkehr muss insgesamt fahrradfreundlicher werden"
    Römermann: Carsharing ist das eine. Was muss sich noch an der Stadtplanung ändern? Was brauchen wir noch, um die Städte für die Menschen zu planen?
    Lottsiepen: Ganz wichtig ist, dass die Wege von der Wohnung zum öffentlichen Verkehr, dass die auch attraktiv sind, zu Fuß zu gehen. Wenn man das Auto vor der Tür stehen hat und der Weg zur Haltestelle ist unangenehm, dann nimmt man sofort das Auto.
    Zweitens müssen Fahrradwege-Ketten besser werden. Der Verkehr muss insgesamt fahrradfreundlicher werden über Wege, über Ampelschaltungen, über alles Mögliche. Da muss mehr passieren. Zurzeit steigen ganz viele Menschen aufs Fahrrad um. Die Menschen sind dort viel schneller als die Politik. Die kommt kaum nach.
    Römermann: Wir haben jetzt gerade sehr viel über Städte gesprochen. Wie steht es um die Mobilität in ländlichen Gebieten? Ist es denn auch da absehbar, dass sich was vom Auto weg verändert hin zu, ich sage mal, öffentlichem Verkehr oder auch anderen Dingen?
    Lottsiepen: Wichtig ist auch, auf dem Land, in der Fläche den öffentlichen Verkehr zu fördern und auszubauen. Aber es ist vollkommen klar: Es gibt viele Orte in Deutschland, kleine Orte, die so weit ab vom Schuss sind, da wird es keinen Halbstundentakt geben, dass jede halbe Stunde ein Bus in die nächste Stadt fährt. Das wird es nicht überall geben.
    Da geht vielleicht auch die Richtung dahin, dass sich Menschen mehr zusammenschließen und dass dann oft auf das Zweitauto innerhalb einer Familie verzichtet werden kann: über Geschichten wie Bürgerbus, wie privates Carsharing. Da ist auch eine Menge drin, da müssen sich die Menschen aber zusammenfinden und auch vieles selbst organisieren. Ich glaube, wenn man nur auf die Politik wartet, dann kann man ziemlich lange warten.
    Römermann: Städte für den Menschen statt für das Auto - vielen Dank an Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD).
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.