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Moderne Gedankenleser

Medizin.- Immer mehr interessieren sich Neurowissenschaftler dafür, wie sich Gehirninhalte sichtbar machen lassen. Diesem wissenschaftlichen Gedankenlesen sind Forscher bereits recht nah gekommen: In Nashville ist es Psychologen gelungen, einen Teil des visuellen Kurzzeitspeichers auszulesen.

Von Arndt Reuning | 28.07.2009
    Frank Tong ist ein moderner Gedankenleser. Der Psychologe an der Vanderbilt University in Nashville versucht, Erinnerungen aus dem Kurzzeitspeicher seiner Probanden zu lesen.

    "Die meisten kennen das ja: Man hört eine Telefonnummer und versucht, sie wie ein Echo im Kopf zu behalten, während man sie aufschreibt oder eintippt. So ähnlich funktioniert das auch beim Sehen. Jemand bekommt ein abstraktes Muster gezeigt oder ein Bild oder ein Foto und kann das eine gewisse Zeit im Gedächtnis behalten und hinterher bei einer leicht abgewandelten Version noch sagen, was anders ist."

    Das Experiment, das sich Frank Tong und seine Mitarbeiter ausgedacht hatten, sah ähnlich aus: Den Probanden wurden zwei Gittermuster in zufälliger Reihenfolge gezeigt. Auf dem einen waren die Gitterlinien nach links geneigt, auf dem anderen nach rechts. Dann wurde den Testpersonen signalisiert, welches der beiden Muster sie sich merken sollten – das erste oder das zweite. Gut zehn Sekunden lang war das Muster aus ihrem Blickfeld verschwunden. Nur vor ihrem inneren Auge war es noch immer präsent. Erst danach wurde mit einem Testmuster überprüft, ob die Probanden sich die richtige Orientierung der Linien eingeprägt hatten. Interessant für die Neurowissenschaftler aus Nashville waren genau jene zehn Sekunden, in denen die Informationen irgendwo im Gehirn im Kurzzeitspeicher abgelegt waren. In dieser Spanne machten sie die Gehirnaktivitäten ihrer Versuchspersonen sichtbar – mithilfe einer speziellen Tomographie-Technik, die zum Standard-Repertoire der modernen Neurowissenschaften zählt.

    "Mit der funktionellen Magnetresonanztomographie, kurz fMRT, können wir Änderungen im Sauerstoffgehalt des Blutes messen. Wenn ein Teil des Gehirns aktiv wird und hart arbeitet, dann strömt mehr Blut in diese Bereiche, und die Sauerstoffkonzentration ändert sich. Obwohl die räumliche Auflösung der fMRT nicht besonders gut ist, können wir doch die Aktivität in kleinen Zellen von drei mal drei mal drei Millimetern im ganzen Gehirn bestimmen. Und dann analysieren wir diese Aktivitätsmuster und versuchen herauszulesen, was ein Mensch sieht, denkt oder erinnert."

    Das Areal, das die Forscher von der Vanderbilt University sich angeschaut haben, ist der visuelle Kortex, die Sehrinde am hinteren Ende des Gehirns. Alle Informationen von der Netzhaut landen zunächst einmal hier. Der visuelle Kortex wird dann besonders aktiv, wenn die Augen Silhouetten, Linien oder Kanten sehen, wie eben bei einem Gittermuster. Frank Tong hatte schon vor vier Jahren zeigen können, dass er aus den fMRT-Bildern dieser Aktivität ablesen konnte, welches Muster eine Testperson vor Augen hat. Die Frage war aber: Würde auch die Erinnerung an die Orientierung der Linien in derselben Gehirnregion verbleiben oder etwa in solche verschoben werden, die für abstraktere Vorgänge zuständig sind. Denn, so die Beobachtung, wenn das betrachtete Muster aus dem Blick verschwindet, dann sinkt auch die Gesamtaktivität im visuellen Kortex stark ab. Aber vielleicht kommt es ja eher auf die Feinheiten an, dachte sich Frank Tong - und machte eine überraschende Entdeckung:

    "Auch wenn die Gesamtaktivität in den Sehzentren des Gehirns sehr niedrig war, so verriet uns doch interessanterweise das genaue Muster dieser schwachen Aktivität, woran die Versuchspersonen sich gerade erinnerten. Mit einer Genauigkeit von 80 Prozent konnten wir vorhersagen, welches der beiden Muster sie sich gemerkt hatten."

    Zwischen den sechs Versuchsteilnehmern gab es zwar individuelle Unterschiede, doch an den Ergebnissen änderte das nichts.

    "Einige Personen zeigten eine höhere Gesamtaktivität in den visuellen Zentren ihres Gehirns, andere eine ausgesprochen schwache. Aber in beiden Gruppe konnten wird gleich gut entschlüsseln, welches Muster sie sich gerade merkten. Es ist also nicht dasselbe, wie lebhaft wir uns ein Bild innerlich vor Augen führen können und wie genau wir es uns vorstellen können. Das ist etwas, was wir in Zukunft gerne näher erforschen möchten."