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Moderne Landflucht
Mini-Haus im Grünen statt Großstadtleben

17 Quadratmeter und doch alles, was man braucht: Sogenannte "Tiny Houses" im Grünen liegen im Trend. Die einen sehen es als Wochenendabwechslung, andere als Therapie mit der Möglichkeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Neben dem direkten Zugang zur Natur bieten die Minihäuser aber noch weitere Vorteile.

Von Vanja Budde | 21.11.2017
    Ein "Tiny House" als Ferienhaus in den Catskills im US-Bundesstaat New York, aufgenommen am 13.06.2017. Als Wohn-Trend haben sich die Mini-Häuser auf wenigen Quadratmetern in den USA inzwischen schon etabliert. Auch zum Mieten für den Urlaub werden die Mini-Hütten zum Trend.
    Nach den USA werden "Tiny Houses" auch hierzulande immer mehr zum Wohntrend (dpa / Christina Horsten)
    Nur der Wind rauscht in den Bäumen auf einem Campingplatz am Ufer eines kleinen Sees, nördlich von Berlin, wo Wohnraum knapp ist und die Mieten steigen. Auf einer der Parzellen steht ein "Tiny House" aus hellem Lerchenholz mit abgeschrägtem Dach und kleinen Fenstern. Campingplatz-Besitzerin Evelyn Schulz führt ins Innere des Häuschens auf Rädern.
    Drinnen wirkt das nur 17 Quadratmeter große Mini-Haus überraschend geräumig: Dank einer Schlafgalerie über dem Wohnbereich mit Kochnische und viel Stauraum unter der Treppe.
    "Alles Naturmaterialien, auch innen mit Naturmaterialien gedämmt und Fenster aus Holz gebaut, sehr schöne Küche, sehr schöner Kühlschrank und große Dusche. Man kriegt hier in dem 'Tiny' schon eine Menge unter. Und hier oben ist die Schlafecke, also wirklich auch für zwei geeignet, ein großes Bett und mit allen drei Seiten den Blick nach draußen ins Grüne."
    Das "Tiny House" hat eine Gasheizung, ein Solarmodul auf dem Dach für die Stromerzeugung und ist an ihre Wasserleitung angeschlossen, erklärt Evelin Schulz. Seit Jahren träumt sie von einer Gemeinschaft der Lebenskünstler hier draußen am See.
    "Ich möchte im Prinzip die Menschen informieren, wie leicht es eigentlich ist, ökologischer, simpler, preiswerter zu wohnen. Und das soll so eine Art Muster hier werden."
    Steigende Nachfrage
    Erst hätten sich nur Bedürftige für das billige Wohnen auf geringem Raum interessiert, erzählt Schulz. Mittlerweile sei der Trend beim Mittelstand angekommen, bei den 30 bis 50-Jährigen, die ganz bewusst nicht mehr in einer großen, immer teureren Wohnung in der hektischen Stadt leben möchten. Menschen wie Anne Huber, die hier am See ihr Domizil gefunden hat.
    "Ich bin Ärztin und ich habe drei Kinder großgezogen. Für mich ist das die Befreiung meines Lebens. Es ist einfach so wunderbar, dass man sich um nichts mehr kümmern muss, damit hat man unglaublich viel Zeit. Und wenn man viel draußen ist, wird wirklich die Seele ruhig. Ich brauche kein Coachen, ich brauche keine Therapie, ich brauche keine Meditation. Mein Leben ist das, was jeder kennt, wenn er am Meer sitzt und dem Rauschen zuhört."
    Anne Huber hat ihre Wohnung aufgegeben, fast alle Möbel verschenkt. Dieses Loslassen sei die Voraussetzung für ein minimalistisches Leben im Grünen, betont sie.
    "Wenn man wirklich mit seinem Keller und der Gartenlaube umziehen will, dann sollte man einfach gar nicht mobil wohnen. Ich bin mit acht Bananenkartons, einem Lebensmitteleinkauf und ein paar Küchensachen umgezogen."
    Manches ist technisch noch nicht ganz ausgereift
    Anne Huber wohnt derzeit in einer Laube auf dem Campingplatz und hält Ausschau nach einem neuen "Tiny House", nachdem ihr erster Anlauf in einem Minihäuschen gescheitert ist. Weil der Trend hier zu Lande noch neu ist, sei das Mobilheim technisch noch nicht ausgereift gewesen, erzählt sie. Dabei kosten gut gedämmte "Tiny Houses" durchaus einige zehntausend Euro. Die etwas größere Variante, Mobilhäuser mit bis zu 50 Quadratmetern, gibt es für 60 bis 70.000 Euro. Sie haben keine Räder, können aber mit Kran und Lastwagen auch transportiert werden. Anne Huber reizt der Gedanke, ihr Haus jederzeit woanders hinstellen zu können. Hauptsache, sie wohnt in der Natur.
    "Die Entscheidung und wirklich das Draußenleben dann über eine längere Weile, taktet einen wieder völlig anders innerlich. Man genießt, dass es früher dunkel wird und kälter wird. Man will gar kein Licht mehr anmachen, genauso wie man im Sommer die ganze Zeit draußen sein kann und immer die Sonne hat.
    Das ist ja alles so klein - man macht ja nur die Tür auf und ist schon draußen. Und auch die ganzen Vögel! Ich kann das schwer beschreiben. Es hat eine unglaublich starke Qualität."
    Von der Vier-Zimmer-Wohnung ins Tiny House
    Campingplatzbesitzerin Evelin Schulz hatte früher einen stressigen Job als Betriebswirtin und musste rackern, um den Kredit für eine Vier-Zimmer-Eigentumswohnung abzubezahlen. Heute sitzt sie auf den Eingangsstufen des "Tiny Houses", streichelt ihren Hund und erzählt von ihrer langen Warteliste. Darauf stehen Berliner, die sich für eines der Mobilheime am See interessieren, die Schulz nach Jahre langem Ringen mit den Behörden demnächst hier bauen lassen will. Die meisten Interessenten suchten erst einmal ein Refugium fürs Wochenende, erzählt Schulz. Doch etwa 20 Prozent würden gerne dauerhaft auf kleinem Raum im Grünen wohnen. Kein Wunder, meint Anne Huber:
    "Das Wichtige ist: Wenn man auf diese Art und Weise lebt, wird das Leben so viel ruhiger und einfacher, dass man unglaublich viele Dinge nicht mehr braucht, die man braucht, um zu Entspannen."