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Moderne Version der Orestie

An der Berliner Schaubühne hat der künstlerische Leiter Thomas Ostermeier nach zwei Ibsen-Inszenierungen seine Version eines O’Neill-Stücks auf die Bühne. "Trauer muss Elektra tragen" ist eine moderne Version der "Orestie".

Von Hartmut Krug | 05.03.2006
    Sie bestimmen zunehmend wieder die Spielpläne, die alten psychologisierenden Seelenzergliederungs- und Erklärstücke von Thornton Wilder, Tennessee Williams und Eugene O´Neill, die in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland viel gespielt wurden. Ihre Themen sind Glückssehnsucht und Sinnsuche, Orientierungslosigkeit und Seelenschmerz des modernen Menschen, aber auch seine Frage nach Schuld und Sühne.

    O´Neills Trilogie "Trauer muss Elektra tragen" aus dem Jahr 1931, in dem die "Orestie" des Aischylos in die Endjahre des amerikanischen Sezessionskrieges übertragen wird, haben zuletzt Konstanze Lauterbach am Deutschen Theater und Frank Castorf in Zürich als Geschichte vom Kampf unterdrückter Leidenschaften inszeniert, schon Anfang April wird die Version von Wilfried Minks in Hannover folgen..

    Thomas Ostermeier hat an der Berliner Schaubühne O´Neills neubürgerliches Trauerspiel "Trauer muss Elektra tragen", das, wie der Autor in seinem Werktagebuch schrieb, für die griechische Schicksalsauffassung eine moderne psychologische Entsprechung zu finden sucht, in seine Reihe der theatralen Untersuchungen unserer aktuellen deutsche Geldbürgerwelt eingegliedert. Bühnenbildner Jan Pappelbaum hat ihm dafür eine Variante seiner modisch schicken, mit viel Glas und Spiegeln zur modernen Verlorenheitsmetapher designten Flachbauten auf die Drehbühne gestellt, wie sie schon Ostermeiers Modernisierungen von Ibsens "Nora" und "Hedda Gabler" prägten. Und Katharina Schüttler, die hier in der Rolle der Tochter wie ein schwarzer Racheengel daherkommt, ist so nölig kühl versteinert, als sei sie eine Doppel- oder Wiedergängerin der von ihr gespielten Hedda Gabler.

    Dramaturg Marius von Mayenburg hat aus der Familie des amerikanischen Brigadegenerals Mannon eine deutsche Familie von Papenburg gemacht und den Text mit heutiger kühl-flapsiger Zeitgeistsprache aufgepeppt. Wo bei O´Neill mit Adam Brant, mit dem die auf ihren aus dem Krieg heimkehrenden Mann wartende Ehefrau eine Beziehung beginnt, eine Figur auftaucht, die als illegitimer Sohn unterdrückte Familienuntaten hochkommen lässt, wird bei Ostermeier die Schuldfrage nicht an dieser Figur abgehandelt, sondern plakativ generalisiert und platt aktualisiert. Wenn der Sohn seine anklagende Schrift über alle und alte Familienschuld vorträgt, kommt er in Nazi-Uniform mit Hakenkreuzbinde daher...

    Bei O´Neill scheint jede Figur aus einem Konstruktionskästchen von Sigmund Freud zu stammen: die Tochter, die den dominanten Vater liebt und die Position ihrer Mutter einnehmen möchte, der Mutter-Sohn, der diese auch erotisch besitzen möchte (was Ostermeier überdeutlich und handgreiflich ausspielen lässt, und das Elternpaar, das sich geistig-seelisch nach der Hochzeit auseinander gelebt hat, weshalb der Mann in die Welt des Krieges, der Wirtschaft und der Politik geflüchtet ist. Wenn er zurückkommt und von seiner Frau wieder Liebe will, bekommt er von dieser nur den Tod und wird ermordet.

    Thomas Thieme und Susanne Lothar geben das Ehepaar, das innerlich bereits tot ist, bevor die Frau ihren Mann ermordet und selbst den Freitod gewählt hat, mit großer Intensität und enormer Zurückhaltung. In und zwischen ihren Figuren stehen Spannungen und in ihren Szenen herrscht Spannung. Mit ihnen zieht große Schauspielkunst ein in eine Inszenierung, die sonst von den faden schauspielerischen Eindeutigkeiten im Stile eines Allerwelts-Fernsehspiels bestimmt wird. Das Haus wird mit Licht und Schatten, mit Innen- und Außenszenen, mit Spiegelungen und Plastikplanen-Verhängungen als ein schickes Grab der Reichen vorgeführt. Man erwartet jeden Moment, dass Kommissar Derrick durch die Tür tritt. Es ist eine durchaus kunsthandwerklich grandiose Inszenierung, von allerdings leer bedeutsamer und bedeutungsvoller Bedächtigkeit. Unentwegt kreist die Drehbühne mit dem Haus, während Songs von Liebe und Leid tönen und während im Spiel Hass und Liebe, Verzweiflung und Sehnsucht durchdekliniert und ausgestellt werden. Doch die Figuren kommen uns nie näher und gehen uns irgendwie überhaupt nichts an. Wo bei Aischylos am Ende der Rechtsstaat geboren wird, kommt bei Ostermeier "nur" der Mensch aus der Psychokiste, in der er irgendwie Liebe gesucht, aber nur den Tod gefunden hat, nie heraus. Wobei jeder von Gerechtigkeit spricht, wenn er verzweifelt Leidenschaften auszuleben sucht. Was Ostermeier mit einem mehrfach eingespielten Tom und Jerry-Film platt verdeutlicht wird, in dem Jerry Tom als Golfball benutzt. Weshalb der Sohn, vom bald nur noch in Feinripp-Unterwäsche daher tobenden Rafael Stachowiak in allzu verzweifelte Neurosen-Hysterie getrieben, den Geliebten seiner Mutter mit dem Golfschläger ermordet, - und weshalb nach dem Selbstmord der Mutter die Kinder diese zum gemeinsamen Golfspiel in den Arm nehmen.

    So scheint mir diese Inszenierung insgesamt eher ein kunstvoller Irrtum.