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Mögliche Merkel-Kandidatur
"Es gibt überhaupt keinen Grund, warum sie es nicht tun sollte"

Die Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau", Bascha Mika, hält eine erneute Kanzlerkandidatur Angela Merkels für wahrscheinlich. Im Deutschlandfunk sagte Mika, es gebe viele Gründe dafür – und außerdem sei Merkel ein Machtmensch. Einen entpolitisierten Wahlkampf wie 2013 werde sie aber nicht wieder führen können.

Bascha Mika im Gespräch mit Stephanie Rohde | 19.11.2016
    Angela Merkel während einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt am 8. November 2016.
    Angela Merkel während einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt (dpa / picture-alliance / Wolfgang Kumm)
    Mika sagte, Merkel werde von einem großem Teil der Bevölkerung gewollt. Ihre internationale Reputation sei noch nie so groß gewesen - zumal nach Aussagen aus den USA, sie sei die einzige, die die Fahne der westlichen Welt noch hoch halten werde. "Und außerdem ist sie ein Machtmensch," so Mika.
    Für morgen hat die CDU eine Erklärung ihrer Vorsitzenden Merkel angekündigt. Es wird darüber spekuliert, dass Merkel dabei ihre erneute Kandidatur als Kanzlerin erklären könnte.
    Dass sie damit bisher abgewartet habe, passe zu ihr, findet Mika. Sie habe immer als Zauderin gegolten, sagte die Journalistin. In diesem Zusammenhang habe sie politstrategisch gedacht, es sei besser zu warten, bis sich die Wogen wegen der angeblich zu viele Flüchtlinge gelegt hätten.
    Die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, Bascha Mika, ist am 20.01.2015 Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Was will das Volk?" in der Frauenkirche in Dresden (Sachsen).
    Die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, Bascha Mika, bei einer Podiumsdiskussion in der Dresdner Frauenkirche. (picture alliance / dpa - Arno Burgi)
    Merkel als "letzte Verteidigerin des freiheitlichen Westens"
    Einen "entpolitisierten Wahlkampf" wie 2013 werde Merkel aber nicht mehr führen können, findet Mika. Damals sei es unerträglich gewesen, dass sie sich "als Mutti" hingestellt und versucht habe, das Wahlvolk einzulullen. Ein solcher Wahlkampf in hochpolitisierten Zeiten wie heute wäre unanständig.
    Mika glaubt, dass sich Merkel im Wahlkampf darauf konzentrieren werde, dass sie die letzte Verteidigerin des freiheitlichen Westens sei. Wenn sie damit antrete und sich damit gegenüber der AfD und ähnlichen rechtspopulistischen Strömungen in Deutschland absetze, könne sie einen Wahlkampf machen, der ganz anders aussehe als ihr bisheriger, aber gleichzeitig auch erfolgversprechend sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Stephanie Rohde: 200 Jahre werde es nicht so weitergehen können, das hat Angela Merkel einmal im Scherz gesagt. Sie meinte damit ihre Kanzlerschaft. Aber das heißt auch, vier weitere Jahre könnten locker drin sein für die Bundeskanzlerin, die offensichtlich in ganz großen Zeiträumen denkt. Ob Merkel erneut kandidiert oder nicht, das wird offenbar schon morgen klar sein, da trifft sich nämlich der Bundesvorstand der CDU. Der will eigentlich über Inhalte für den Wahlkampf 2017 sprechen, aber Merkel hat auch am Abend eine Pressekonferenz angekündigt. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Bascha Mika, sie ist Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau". Guten Morgen!
    Bascha Mika: Guten Morgen!
    Rohde: Frau Mika, 59 Prozent der Deutschen wünschen sich eine vierte Amtszeit von Merkel, in Europa setzt man mehr denn je auf die deutsche Kanzlerin. Ist Merkels Kandidatur also alternativlos?
    Mika: Nein, alternativlos ist sie sicher nicht, schließlich könnte Merkel ja sagen, jetzt reicht's, nach drei Legislaturen. Aber …
    "Merkel ist ein Machtmensch"
    Rohde: Aber auch in so einer Situation, wo sich gerade die Lage komplett zugespitzt hat nach der Wahl von Donald Trump?
    Mika: Nein, ich glaube, es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum Angela Merkel wieder antreten wird. Und es gibt eigentlich überhaupt keinen Grund, warum sie es nicht tun sollte. Sie könnte, aber es gibt keinen Grund, warum sie es nicht tun sollte. Denn wie Sie selbst sagten, sie wird von einem großen Teil der Bevölkerung gewollt, ihre internationale Reputation ist zumal nach den Aussagen aus den USA, sie wäre die Einzige, die die Fahne der westlichen Welt noch hochhält, noch nie so hoch gewesen. Und außerdem ist sie ein Machtmensch.
    Rohde: Machtmensch … Merkel hat sich ja lange geziert. Also, ihre Beliebtheitswerte waren lange im Keller wegen der Flüchtlingspolitik. War dieses Abwarten jetzt für Merkel eine gute Strategie?
    Mika: Erstens passt das zu ihr, sie galt ja immer als Zauderin. Und in diesem Zusammenhang war es natürlich politstrategisch gedacht klug, erst mal abzuwarten, bis sich die Wogen, was die Empörung über die angeblich zu vielen Flüchtlinge angeht, legen und bis weniger Menschen zu uns kommen wollen, weil die ganzen Routen verschlossen werden. Und wenn man das bedenkt, dann hat sie sich natürlich gedacht, das Gedächtnis der Wählerinnen und Wähler ist kurz und bei vielen ist die Empörung dann weg und dann kann ich noch ein bisschen warten, bevor ich mich erkläre.
    Rohde: Und gilt das jetzt auch für die CSU? Die hat ja im Sommer auch mal darüber nachgedacht, einen eigenen Kandidaten aufzustellen, aus Protest eben gegen die Flüchtlingspolitik. Hat Merkel diesen Aufstand jetzt endgültig ausgesessen?
    Mika: Ach, die CSU … Also, ich glaube, diese Partei ist einfach nicht mehr ernst zu nehmen. Die spielen ständig das Rumpelstilzchen und regen sich auf und natürlich setzen sei damit Merkel unter Druck, natürlich machen sie viel Wirbel auf der …
    "Bundespolitische Versuche der CSU sind immer gescheitert"
    Rohde: Insofern sind sie schon ernst zu nehmen. Also, von den Wählern werden sie ernst genommen und von Merkel offensichtlich auch teilweise.
    Mika: Ja, sicher, sie schaffen es, Wirbel zu machen, aber sie sind letztlich deswegen nicht ernst zu nehmen, weil daraus kaum etwas folgt. Also, das hätte ich wirklich sehen wollen, dass die CSU einen eigenen Kandidaten aufstellt, alle Versuche, ganz eigenständig auch bundespolitisch zu agieren, sind bei der CSU immer fürchterlich danebengegangen. Und das weiß man in der Partei natürlich auch.
    Rohde: Lassen Sie uns auf die SPD blicken, die muss auch die Kanzlerkandidatenfrage für sich klären, außerdem ist ja noch der Posten des Außenministeriums frei, wenn Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten gewählt wird. Was sagen Sie, wer fordert Merkel 2017 heraus? Gabriel oder Schulz?
    Mika: Gabriel.
    Rohde: Warum?
    Mika: Weil die SPD ganz sicher nicht umschwenken wird. Also, ich glaube zwar durchaus, dass Martin Schulz Ambitionen haben könnte, wie es jetzt vermeldet wurde, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass in der SPD, auch wenn Gabriel nun nicht gerade beliebt ist, plötzlich Schulz auf den Schild gehoben wird.
    "Merkel muss sich im Wahlkampf von AfD abgrenzen"
    Rohde: Also hat sich Schulz komplett verkalkuliert jetzt?
    Mika: Ja, wenn es denn überhaupt so ist, wie behauptet wird, dass Schulz nämlich tatsächlich gesagt hat, ich komme nur als Außenminister nach Berlin, wenn ich auch gleichzeitig Kanzlerkandidat wäre. Wie gesagt, Schulz traue ich das zu, der SPD traue ich nicht zu, dass sie dem folgt. Und von daher hätte sich Schulz natürlich verkalkuliert. Aber Außenminister ist ja auch ein ganz schöner Job.
    Rohde: Lassen Sie uns noch kurz auf den Wahlkampf schauen. 2013 hat Angela Merkel sich ja als präsidiale Kanzlerin verkauft, die über dem ganzen Parteiengeplänkel steht. Das wird Merkel 2017 ja auf keinen Fall mehr machen können. Wie kann sie den Flüchtlingsmalus wieder wettmachen?
    Mika: Was ich beim letzten Wahlkampf wirklich unerträglich fand, war, dass Angela Merkel sich hingestellt hat und als große Mutti versucht hat, das Wahlvolk einzulullen, also nach dem Motto: Mama wird's richten, denkt nicht nach, ich bin der Garant für eure Zukunft und so weiter und so weiter. Das heißt, sie hat einen entpolitisierten Wahlkampf geführt, und das wird nicht nur nicht gehen, sondern das ist auch auf eine bestimmte Art unanständig. Denn wir leben in hoch politisierten Zeiten, wir brauchen uns nur in Europa umzuschauen mit den ganzen Rechtspopulisten, von denen unser demokratisches Selbstverständnis bedroht ist, die haben wir nicht nur hier im eigenen Land, die haben wir auch rundherum, wir müssen nur in die USA schauen. Da geht es nicht zu sagen, Mama wird's richten und ihr müsst überhaupt nicht mehr nachdenken. Das heißt, ich glaube, sie wird sich auf einen Wahlkampf konzentrieren, der genau das aufgreift, was die "New York Times" über sie gesagt hat: dass sie die letzte Verteidigerin des freiheitlichen Westens sei. Und wenn sie damit antritt und sich damit auch ganz deutlich gegenüber der AfD und ähnlichen rechtspopulistischen Strömungen hier in Deutschland absetzt, dann, glaube ich, könnte sie einen Wahlkampf machen, der ganz anders aussieht als ihr bisheriger, aber gleichzeitig auch erfolgversprechend ist. Denn er verspricht ja auch eine Form von Sicherheit, wie wir sie hier gewöhnt sind, nämlich unter demokratischen Vorzeichen.
    Rohde: Sagt Bascha Mika, sie ist Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau". Vielen Dank für das Gespräch!
    Mika: Aber gerne!
    Rohde: Und dieses Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.