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Mögliche Reaktion auf US-Strafzölle
"Die EU sollte maßvoll antworten"

Der Wirtschaftsexperte Clemens Fuest hat europäische Strafzölle für US-Produkte als Reaktion auf die neuen US-Strafzölle befürwortet - man solle jedoch nicht übertreiben, sagte der Professor für Wirtschaftsforschung im Dlf. Konkret schlug er Zölle für Motorräder oder Jeans vor.

Clemens Fuest im Gespräch mit Dirk Müller | 07.03.2018
    Der Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (ifo), Clemens Fuest
    ifo-Präsident Clemens Fuest (dpa)
    Dirk Müller: Der Wirtschaftsberater – wir haben es eben gehört – tritt zurück, weil Donald Trump an seinen Strafzöllen festhalten will. Die EU-Kommission wiederum will Gegenmaßnahmen, also Strafzölle auf Jeans, auf Harley-Davidson und Whisky. Brüssel könnte das heute beschließen. Unser Thema mit dem Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Clemens Fuest, Chef des Münchener ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen!
    Clemens Fuest: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Fuest, setzen Sie auch auf Gegenangriff?
    Fuest: Ich denke, die EU muss jetzt etwas tun. Man hat ja lange angekündigt, dass man, wenn die Amerikaner Strafzölle einführen, auch antworten würde. Man sollte allerdings maßvoll antworten. Man sollte es nicht übertreiben. Man sollte sich ein kleines Segment des Marktes herausnehmen, zum Beispiel Motorräder oder Jeans. Es ist wichtig, dass man da nicht übers Ziel hinausschießt, denn man will das Ganze ja nicht anheizen. Nur wenn man gar nicht reagieren würde, dann wäre das eine Einladung an Trump und auch an andere, die Protektionismus wollen, ebenfalls Zölle einzuführen. Das geht auch nicht. - Antworten ja, aber maßvoll.
    "In der amerikanischen Öffentlichkeit sollte nicht der Eindruck entstehen, die EU reagiert übermäßig hart"
    Müller: Jetzt sagen Kritiker, Jeans, Harley-Davidson und ein bisschen Whisky, das ist Wattebausch-Politik.
    Fuest: Das würde ich nicht sagen. Das hat vor allem eine hohe Sichtbarkeit. Das sind Produkte, die sehr bekannt sind. Man wird das diskutieren in den USA. Wir wollen ja die Kritiker der Zölle, die es auch in den USA gibt, eher stützen. Wir wollen nicht, dass in der amerikanischen Öffentlichkeit jetzt der Eindruck entsteht, die EU reagiert übermäßig hart - das könnte dann wirklich die Eskalation fördern -, sondern es geht darum, ein Zeichen zu setzen, aber es geht auch darum, das Zeichen zu setzen, dass man maßvoll vorgeht.
    Müller: Aber wenn Europa das jetzt macht, Strafzölle als Gegenmaßnahme, ist das dann ein Handelskrieg?
    Fuest: Das ist eher eine Art Scharmützel. Beim Stahl reden wir etwa über zwei Milliarden Exporte aus Deutschland, zwei Milliarden von 107, die wir insgesamt in die USA exportieren. Das ist ein relativ kleines Segment. Es ist noch kein wirklicher Handelskrieg. Deshalb ist es auch so wichtig zu verhindern, dass sich das jetzt ausbreitet.
    Müller: Und wenn es auf deutsche Autos, auf europäische Autos bezogen wird, sieht die Dimension ganz anders aus?
    Fuest: Dann sieht die Dimension völlig anders aus. Dann reden wir über zweistellige Milliarden-Beträge und dann werden die Auswirkungen auf Deutschland auch viel gravierender. Das wäre dann eine echte Bedrohung. Das wäre dann der Anfang des Handelskriegs.
    "Trumps eigene Politik verstärkt makroökonomisch das Handelsdefizit"
    Müller: Versuchen wir, uns einmal in die Situation Washingtons oder Donald Trumps zu versetzen. Es gibt ja einige Republikaner, auch Wirtschaftsvertreter, die das durchaus unterstützen, was der Präsident vorschlägt. Andere wiederum nicht. Wir haben das heute Morgen in den Nachrichten ja schon um vier Uhr gehört, dass Gary Cohn, sein engster Wirtschaftsberater, die Konsequenzen gezogen hat, seinen Hut genommen hat und für diese Politik offenbar nicht mehr länger zur Verfügung steht. Wenn Trump von diesem Ungleichgewicht redet, von dieser negativen Handelsbilanz, vor allem auch mit Deutschland, mit Europa – China, Mexiko, Kanada spielen ja auch noch eine wichtige Rolle dabei, aber reden wir über Europa, über Deutschland -, was kann der Präsident denn da machen?
    Fuest: Der Präsident könnte vor allem aufhören, das Handelsdefizit zu verstärken. Das tut er im Moment, zum Beispiel durch seine Steuerreform. Die sorgt dafür, dass die USA sich viel stärker verschulden, und man darf ja nicht vergessen, dass ein Handelsdefizit bedeutet, man leiht sich Geld aus dem Ausland. Man importiert Kapital. Mit der Steuerreform, die Trump jetzt durchführt, verstärkt er erst mal das Handelsdefizit, denn die führt dazu, dass die Nachfrage nach Gütern in den USA in die Höhe getrieben wird, schuldenfinanziert. Das heißt, seine eigene Politik verstärkt makroökonomisch das Handelsdefizit.
    Müller: Aber die amerikanischen Unternehmen können doch nach dieser Steuerreform viel preiswerter produzieren.
    Fuest: Ja, das ist richtig. Sie können preiswerter produzieren. Aber erst mal wird Kapital in die USA fließen. Auch deutsche Unternehmen werden mehr dort investieren. Sie werden Maschinen aus dem Ausland kaufen, und das wird erst mal das Handelsdefizit verstärken. Es kann sein, dass irgendwann mal dann die Wettbewerbsfähigkeit dort steigt, man auch wieder mehr exportiert. Aber noch mal: Ein Handelsdefizit bedeutet, dass man sich Geld aus dem Ausland leiht. Die Amerikaner müssten selbst mehr sparen und weniger konsumieren. Dann würde das Handelsdefizit automatisch kleiner. Das hat nicht so viel zu tun mit Zöllen.
    "Wenn man sich billig Geld leihen kann, ist so ein Handelsdefizit gar nicht schlecht"
    Müller: Das müssen Sie mir, Herr Fuest, noch ein bisschen genauer erklären. Ich verstehe das nicht ganz, weil ich das bisher immer so verstanden habe, als sei es bei diesem Handelsdefizit, was auf dem Tisch liegt, das was jetzt im Moment diskutiert wird, in erster Linie um Import/Export geht. Das heißt, die Amerikaner müssen viel mehr importieren, als dass sie exportieren. Und Sie sagen, das Kapital gehört genauso dazu?
    Fuest: Ja, genau. Wenn man viel konsumiert, viele Güter konsumiert, und mehr aus dem Ausland importiert als man exportiert, dann ist ja die Frage, wie wird das eigentlich finanziert. Das bedeutet, man leiht sich Geld aus dem Ausland, und das funktioniert nur, wenn man wirklich diese hohe Konsumnachfrage hat. Wenn jetzt die Amerikaner selbst mehr sparen würden, dann würden sie weniger ihres Konsums verwenden für diese importierten Güter und würden dann damit ihr Handelsdefizit reduzieren. Der Konsum würde sinken, sie würden weniger Autos kaufen und dann würde auch automatisch das Handelsdefizit sinken. Weil eben mehr [... unverständlich; Anm. d. Red.] aus dem Ausland kommt.
    Auf der Investitionsseite ist das auch so. Wenn amerikanische Firmen jetzt mehr investieren, dann werden sie mehr Maschinen aus dem Ausland importieren, und auch da wird das Handelsdefizit erst mal ansteigen. Das ist auch gar nicht unbedingt schlecht, wenn man sich billig Geld leihen kann wie die Amerikaner. Dann ist so ein Handelsdefizit gar nicht schlecht. Nur irgendwann steigt natürlich die Auslandsverschuldung an. All das ist nicht das Problem. Ich denke, Trump versteht einfach nicht oder will nicht verstehen, dass die Handelsbilanz auch doch stark getrieben ist durch diese Kapitalseite.
    Müller: Jetzt haben wir das, Herr Fuest, eben in unserem Beitrag, im Bericht unseres Korrespondenten Martin Ganslmeier gehört. Da ist von Handelsbarrieren, von Handelshemmnissen die Rede. Oft geht es um nichttarifäre Handelshemmnisse. Das sind beispielsweise irgendwelche DIN-Normen, die in Europa, in Deutschland erfüllt werden müssen. Die Amerikaner tun das nicht. Viele fragen sich, ist das notwendig bei dem einen oder anderen Produkt, dass es unbedingt dieser DIN-Norm entspricht. Das beklagen die Amerikaner seit Jahrzehnten, in den vergangenen Jahren immer mehr. Sie beklagen sich auch über unfaire Handelspraktiken der Chinesen. Haben die Amerikaner ein objektives Problem mit fehlender Fairness?
    "Trump müsste eigentlich Freihandelsabkommen ausbauen"
    Fuest: Es gibt Regulierungen, die den Handel behindern, allerdings nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. Das ist richtig.
    Müller: Aber die Europäer haben das auch, sagen Sie?
    Fuest: Genau. Ja, die Europäer haben solche Regulierungen auch. Auch DIN-Normen können das erschweren und es müssen viele Unternehmen ihre Produkte so machen, wie es im Zielmarkt verlangt wird. Das machen ja etwa die Deutschen auch. Wenn sie Autos in den USA verkaufen, dann müssen sie sich auch an die amerikanischen Regulierungen halten.
    TTIP, das nordatlantische Handelsabkommen, war ja ein Versuch, davon wegzukommen und Standards zu vereinheitlichen, und das hat Trump gestoppt. Trump müsste eigentlich Freihandelsabkommen ausbauen. Dann gäbe es eine Chance darauf, dass dieses Defizit verschwindet. Es ist keine Garantie, aber zumindest die Handelshemmnisse würden dann verschwinden. Natürlich werden durch Freihandelsabkommen auch ausländische Produkte für die Amerikaner günstiger. Wenn die Amerikaner dann noch mehr konsumieren, dann könnte das Defizit auch steigen. Aber das Argument Handelshemmnisse ist nicht überzeugend. Trump hat sich ja gerade geweigert, die Handelshemmnisse weiter abzubauen, indem er gesagt hat, er macht bei TTIP nicht mehr mit.
    "Vom Freihandel profitieren nicht nur die billigsten, sondern es profitieren die besten"
    Müller: Ich hoffe, unsere Handy-Leitung zu Ihnen, Herr Fuest, kollabiert nicht. Versuchen wir es noch mal, wir haben noch eine Minute Zeit. Ich möchte noch eine Frage stellen. – Viele Kritiker dieser ganzen Auseinandersetzung sagen ja, von einem nicht regulierten Handel, man könnte auch sagen, wenn kein Protektionismus, keine Regulierungen dabei sind, dann profitieren von diesem freien Handel nur die Größten und die Billigsten. Ist das eine sinnvolle ökonomische Perspektive?
    Fuest: Es profitieren vom Freihandel nicht nur die größten Firmen, sondern auch mittelständische Firmen, auch kleinere Firmen, zum Beispiel dadurch: Wenn man günstig Vorprodukte importieren kann, dann hat man auch im Inland Geschäftsmöglichkeiten. Es geht ja nicht nur um die Firmen, die wirklichen Export durchführen. Es profitieren nicht nur die billigsten, sondern es profitieren die besten. Die, die hohe Qualität liefern, die können dann auch hohe Preise nehmen. Firmen, die weniger Qualität liefern, die finden da auch ihre Marktnische.
    Es geht natürlich darum, dass wir auch Verlierer beim internationalen Handel haben. Das kommt zustande, wenn plötzlich Konkurrenz ins Land kommt und Firmen unter Druck geraten. Das muss man sehen. Es gibt nicht nur Gewinner beim internationalen Handel. Man kann aber nicht sagen, dass das immer bestimmte Gruppen sind, und da muss man überlegen, wie hilft man denen: durch Umschulungen, durch andere Unterstützung. Wir hatten ja beispielsweise in Deutschland vor Jahrzehnten noch …
    Müller: Lieber Herr Fuest, Entschuldigung, dass ich hier unterbreche. Wir werden ein bisschen nervös, weil in wenigen Sekunden warten die Nachrichten auf uns. Wir müssen leider hier Schluss machen. – Ich danke ganz herzlich. Der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Clemens Fuest heute bei uns im Deutschlandfunk. Danke für Ihre Zeit, noch einen schönen Tag.
    Fuest: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.