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Mögliche Waffenruhe in Syrien
"Russland trägt die größte Verantwortung"

Der Botschafter der Syrischen Nationalen Koalition in Deutschland gibt Russland eine Mitschuld an den vielen zivilen Opfern im syrischen Bürgerkrieg. Moskau trage die größte Verantwortung für eine längere und stabile Waffenruhe, sagte Bassam Abdullah im Deutschlandfunk. Er forderte von der internationalen Gemeinschaft, den Druck auf Russland zu erhöhen.

Bassam Abdullah im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 19.08.2016
    Menschen in der syrischen Stadt Aleppo.
    Menschen in der syrischen Stadt Aleppo. (AFP / George Ourfalian)
    Russland hatte sich gestern dazu bereiterklärt, jede Woche eine 48 Stunden lange Feuerpause in Aleppo einzulegen. Von der Ankündigung aus Moskau sei er überrascht gewesen, sagte Abdullah - er bleibt aber skeptisch: "Wir werden sehen, ob das wirklich zustande kommt".
    Die Lage in Syrien beschreibt der Botschafter als "katastrophal und unerträglich" für die Zivilbevölkerung. Vor allem in Aleppo sei die Situation seit der "Einmischung" Russlands schlimmer geworden. Durch die massive militärische Intervention Russlands sei die Hoffnung des Assad-Regimes jedoch größer geworden, die befreiten Gebiete in der Metropole wieder zurückzubekommen.
    Russland und dem Regime von Machthaber Assad warf Abdullah vor, gezielt medizinische Einrichtungen zu bombardieren. Bilder und Berichte würden das bestätigen und seien nicht zu verleugnen. Der Botschafter forderte die EU und die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. Die moderaten Kräfte in Syrien müssten mehr unterstützt werden: "Das ist der Weg, das Volk zu retten". Auf Russland müsse mehr Druck gemacht werden, damit es eine sofortige Waffenruhe gebe.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Bilder des vierjährigen Omran aus Aleppo, sie gingen in der Tat durch die Welt. Ein Sanitäter trägt den verletzten Jungen auf dem Arm, dessen Haare, Gesicht und Körper über und über mit Staub bedeckt sind, hinein in einen Krankenwagen, platziert ihn auf der Liege, Blut strömt über das Gesicht des paralysierten Jungen. Wie ein Brennglas zeigten die Bilder, die von der syrischen Opposition verbreitet wurden, wie sehr die Zivilbevölkerung in Aleppo leidet. Bassam Abdullah ist Botschafter der syrischen nationalen Koalition in Deutschland. Er lebt seit zwölf Jahren hier, arbeitet als Neurochirurg in Berlin, und die Syrische Nationale Koalition, das ist ein Bündnis von über 50 politischen Parteien, Bewegungen und Lokalräten, die von über 100 Staaten als legitime Vertretung des syrischen Volks anerkannt ist, auch von Deutschland, darin vertreten unter anderem der Syrische Nationalrat, der Kurdische Nationalrat bis hin zum Syrischen Schriftstellerverband. Radikale islamistische Gruppen, die lehnen diese nationale Koalition ab. Guten Morgen, Herr Botschafter!
    Bassam Abdullah: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr Botschafter, Russland hat jetzt angeboten überraschend, zu verhandeln über eine 48-stündige Waffenruhe wöchentlich. Bisher wollte man nur eine dreistündige Waffenruhe tolerieren. Gibt es jetzt neue Hoffnung für die Menschen in Aleppo?
    Abdullah: Das war tatsächlich überraschend gewesen von Russland gestern. Allerdings, ob das umgesetzt wird, das werden wir in den nächsten Tagen sehen. Wir hoffen alle auf eine Waffenruhe in Aleppo, damit die Menschen einmal aus der Puste rauskommen und durchatmen und etwas zur Versorgung für Kinder und Frauen und kranken Menschen zu bekommen. Allerdings hat die Welt gestern gesehen, wie die Lage in Aleppo ist, nämlich Blut und Staub und gestorbene Kinder und verschüttete Kinder unter den zertrümmerten Häusern. Das ist alles das Assad-Regime schuld und seine Verbündeten. Vor allem Russland trägt dafür eine große Verantwortung, und daher ist die Verantwortung auch jetzt groß, für eine stabile und längere Waffenruhe zu arbeiten. Wir werden sehen, ob das wirklich jetzt zustande kommt.
    "Die Lage in Aleppo ist unerträglich für zivile Leute geworden"
    Heckmann: Sie haben ein bisschen gerade eben schon skizziert, wie die Situation in Aleppo ist. Können Sie das noch ein bisschen detaillierter ausführen möglicherweise - Sie haben ja gute Kontakte zu den Menschen auch vor Ort, nehme ich an.
    Abdullah: Die Lage in Aleppo ist ja weiterhin katastrophal und unerträglich für zivile Leute dort geworden. Wie Sie wissen, Aleppo ist seit 2012, ein großer Teil von Aleppo, nämlich der Ostteil von Aleppo ist vom Assad-Regime befreit und wurde von Aleppo-Leuten regiert, und die Leute könnten einigermaßen eine gute Situation in verschiedenen Teilen auch leben und die Freiheit von diesem diktatorischen, verbrecherischen Regime leben, aber nachdem Russland so intensiv militärisch in Syrien interveniert hat und eingemischt hat, ist die Hoffnung für das Regime größer geworden, alles, was vorher befreit wurde, wieder zu erobern, und dann haben sie versucht, mehr als 300.000, 400.000 Menschen im befreiten Aleppo umzukreisen und zu belagern.
    Heckmann: In welcher Lage befinden sich die Menschen? Können Sie das noch ein bisschen schildern?
    Abdullah: Die Lage ist ja katastrophal. Die Lage ist ja unerträglich. Die Menschen verhungern, die Menschen erleben täglich Bombardements von der Luftwaffe von Assad und Russland. Die Menschen mangeln an medizinischer Versorgung, Krankenhäuser und zivile Infrastrukturen in Aleppo werden gezielt von Russland und Assad-Regime bombardiert, und da kann man sich vorstellen, wenn es gar keine Krankenhäuser und keine Ärzte, keine Nahrungsversorgung dort gibt, wie die Lage sein könnte. Das ist das Allerschlimmste, was wir bisher gesehen haben von Russland, seitdem sie interveniert haben in Syrien September 2015. Daher trägt auch Moskau die größte Verantwortung, diese Situation jetzt zu stoppen und sofort eine Waffenruhe in Aleppo anzukündigen.
    "Blut und Staub in ganz Syrien"
    Heckmann: Wobei Russland bestreitet, dass die Zivilbevölkerung in Aleppo durch russische Flugzeuge bombardiert wird, das muss man dazu sagen.
    Abdullah: Die Bilder, die sagen ja auch uns viel, und die Berichte, die wir sehen, die sind nicht zu verleugnen. Das ist ja immer die Propaganda von dem russischen und syrischen Regime gewesen. Wir sehen auch, was sie für Propaganda machen, dass sie dort den Menschen helfen oder Extremisten und Terroristen bombardieren - nämlich das ist nur vielleicht ein Teil, aber alles andere ist ja umgekehrt. Da werden zivile Menschen getötet und unter deren eigenen Häusern verschüttet nach Luftangriffen direkt von russischen Bombern und syrischen Bombern, und das ist die Wahrheit.
    Heckmann: Herr Abdullah, der UNO-Sondergesandte für Syrien, de Mistura, der hat gestern beklagt, dass seit einem Monat keines der besetzten Gebiete in Syrien mehr von einem Hilfskonvoi erreicht worden sei. Deshalb hat er auch gestern eine Sitzung des zuständigen UNO-Ausschusses nach nur acht Minuten abgebrochen, um ein Zeichen zu setzen. Wie sieht es denn im Rest Syriens aus?
    Abdullah: Im Rest Syriens sieht es nicht viel besser aus als in Aleppo. Zum Teil Ruhe, weil die Kräfte haben sich dann auf Aleppo konzentriert, aber in Idlib ist ja jeden Tag, die Menschen müssen jeden Tag dort auch Luftangriffe erleben. Da werden auch kleine Städte und kleine Teile dort vom Staat teilweise von Brandbomben zerstört und gelöscht, und sonst auch bei Damaskus und in verschiedenen Teilen von Homs und bei Homs, da werden die Leute belagert und werden von der essenziellen Lebensversorgung abgeschnitten. Das ist die allgemeine Lage in Syrien, und das zeigt sich dann auch intensiv und konzentriert in Aleppo, nämlich auch gestern in dem Gesicht von dem fünfjährigen syrischen Jungen Omran - Blut und Staub in ganz Syrien.
    Ein Bild, das zur Zeit um die Welt geht: ein verwundeter Junge, der aus einem zerstörten Gebäude in Aleppo gerettet wurde, sitzt in einem Krankenwagen. Das Bild wurde von der Aktivistengruppe Aleppo Media Center zur Verfügung gestellt.
    Ein Bild, das zur Zeit um die Welt geht: ein verwundeter Junge, der aus einem zerstörten Gebäude in Aleppo gerettet wurde. Das Bild wurde von der Aktivistengruppe Aleppo Media Center zur Verfügung gestellt. (dpa)
    Heckmann: Assads Truppen umschließen Aleppo, ebenso die Truppen radikaler islamischer Gruppen. Diese Stärke Assads und auch der Islamisten, resultiert nicht auch daraus, dass die gemäßigte syrische Opposition, dass die so schwach ist? Woran liegt das?
    Abdullah: Die gemäßigte Opposition, die ist nicht schwach. Die ist stark, weil sie die Gerechtigkeit und das Recht für das syrische Volk vertritt. Militärisch wurden alle geschwächt, nach der Intervention, nach dem Einmischen von russischen Truppen, und die Revolutionäre in Aleppo können und wollen auch Menschen in Aleppo belagern oder umkreisen von Hilfsgütern. Was passiert, das ist ja ein gezieltes Bombardement für zivile Menschen, für zivile Ziele in Aleppo. Und daher, also in diesem Rahmen würde ich auch appellieren an die internationale Gemeinschaft, dass Verstärkung der moderaten Kräfte, die Verstärkung von der Freien Syrischen Armee, politische Verstärkung für die syrische Opposition ist der Weg, Syrien vom Assad-Regime und von den Extremisten zu retten.
    "Internationale Gemeinschaft muss Druck auf Russland erhöhen"
    Heckmann: Was fordern Sie konkret neben vielleicht politischer Unterstützung?
    Abdullah: Ich fordere konkret, dass die EU und die internationale Gemeinschaft die Druckmittel auf Russland erhöht und die Russen schnell und sofort fordern zu einer Waffenruhe in Aleppo und in ganz Syrien und auch ein glaubwürdiges Druckmittel einzusetzen, um Russland und Assad zu zwingen und zu überzeugen, in einen politischen Prozess wieder zurückzukehren.
    Heckmann: In einem ganz kurzen Satz - wie optimistisch sind Sie, dass das gelingt?
    Abdullah: Muss ich ganz ehrlich sagen, nach den Bildern von gestern, von Aleppo, bin ich wenig optimistisch, aber die Hoffnung verlieren wir nie.
    Heckmann: Der Botschafter der Syrischen Nationalen Koalition in Deutschland, Bassam Abdullah war das hier live im Deutschlandfunk. Herr Botschafter, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.