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Mönche von Mor Gabriel in Bedrängnis

Mor Gabriel zählt zu den ältesten Klöstern weltweit. Nach mehrjährigem Rechtsstreit hat jetzt das Berufungsgericht entschieden: Achtundzwanzig Hektar Klostergrund fallen an den Staat. Das Kloster will nun vor das türkische Verfassungsgericht ziehen.

Von Sabine Küper-Büsch | 16.07.2012
    Tur Abdin, Berg der Knechte Gottes, heißt ein Landstrich in der Südosttürkei nahe der Grenze zu Syrien. Schon im ersten Jahrhundert wanderten christliche Apostel von Jerusalem nach Anatolien und missionierten die ersten Gemeinden der dort lebenden Assyrer. Assyrische Mönche gründeten bereits im vierten Jahrhundert das Kloster Mor Gabriel. Heute leben noch drei Mönche und vierzehn Nonnen an diesem für die assyrischen Choristen heiligen Ort.

    Die Choräle werden auf Aramäisch gesungen. Eine semitische Sprache, die neben den assyrischen Völkern auch Jesus gesprochen haben soll.

    Das Kloster Mor Gabriel wird von einer Stiftung geleitet. Vier Jahre lang kämpfte sie auf dem Rechtsweg gegen die Verstaatlichung eines großen Teiles ihrer Ländereien. Das Berufungsgericht hat jetzt entschieden. Achtundzwanzig Hektar Klostergrund fallen an den türkischen Staat. Stiftungsleiter Kyryakus Ergün ist empört:

    "Das Kloster hat eine 1600 Jahre alte Geschichte. Wir besitzen auch Dokumente über die Grenzen der Ländereien. Wir haben Steuerzahlungsbelege und eine Vereinbarung von 1938, die die Grenzen zum Nachbardorf festlegt."

    Diese Dokumente wertete das Bezirksgericht von Midyat, der Provinz, in der das Kloster liegt, in der ersten Instanz als Belege für die Rechtmäßigkeit des Klostergrundes. Wer Steuern zahle und Grenzen offiziell vereinbart habe, ist rechtmäßiger Besitzer heißt es in der Urteilsbegründung von 2009. Das Berufungsgericht jedoch berücksichtigte diese Dokumente gar nicht. Stiftungsleiter Kuryakus Ergün überrascht das nicht:

    "Wir wurden parallel zu diesem Prozess auch von den muslimischen, kurdischen Nachbarn verklagt. Ihre Beschwerden waren mehr als merkwürdig. Sie bezeichneten sich da als Enkel von Sultan Fatih Mehmet, dem Eroberer Istanbuls. Der habe gesagt, dass er jedem den Kopf abschneidet, der einen Zweig von seinem Ast abschneidet."

    Die Schwert-Rhetorik weckt bei den Assyrern schlimme Erinnerungen. Zusammen mit den Armeniern wurde ihr Volk am Rande des Ersten Weltkrieges Opfer von Pogromen, die die osmanische Führung anordnete. Ausgeführt wurden sie jedoch vor allem von den muslimischen kurdischen Nachbarn. Deren Interesse wurde vielfach von bloßer Habgier genährt, denn viele Assyrer waren reiche Bauern mit viel Landbesitz, Tausende Menschen starben, in die assyrische Geschichtsschreibung gingen diese Gräuel als "Seyfo”, Jahre des Schwertes, ein. Streit um Ländereien gibt es bis heute. Und so glaubt auch Kyryakus Ergün, dass es hier eigentlich um eine Umverteilung von Land zugunsten der muslimischen kurdischen Nachbarn geht:

    "Nicht nur der Staat, auch die Nachbardörfer haben gegen uns geklagt. Sie kamen und behaupteten, ein Teil des Klostergrundstückes gehöre ihnen. Wir konnten unsere Grenzen nachweisen. Trotzdem wollte das Katasteramt die Grenzen zunächst in der Mitte festlegen, also den Nachbardörfern einen Teil unseres Landes schenken."

    In den Nachbardörfern des Klosters Mor Gabriel wohnten früher assyrische Christen. Doch viele flohen in den Neunzigern vor den Kämpfen zwischen der kurdischen PKK und dem türkischen Militär. Kurdische Flüchtlinge, die aus ihren eigenen Dörfern vertrieben worden waren, siedelten sich hier an. Der Bürgermeister des Nachbardorf Yayvantepe gehörte zu den Klägern gegen das Kloster. Er gibt offen zu, dass er vor allem Land dazu gewinnen wollte. Ismail Erkan:

    "Der Staat gab uns die Möglichkeit zur Klage, die haben wir genutzt."

    Die Dörfler hatten mit ihrer Klage keinen Erfolg. Die jetzige Verstaatlichung von 28 Hektar Klosterland ermöglicht es ihnen aber, in der Zukunft dort Vieh weiden zu lassen. Denn auf öffentlichem Grund ist das nicht verboten. Das Kloster will jetzt vor das türkische Verfassungsgericht ziehen. In letzter Instanz bleibt auch noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

    Die Assyrer wollen in Europa auch auf ihre allgemeine rechtlose Lage in der Türkei hinweisen. Sie werden offiziell nicht als Minderheit anerkannt, rechtlich gibt es sie als Volksgruppe gar nicht. Ankara hat zwar in den vergangenen Jahren einige Reformen für nicht-muslimische Minderheiten wie die Armenier und Griechen verabschiedet. Die Assyrer profitieren davon nur leider nicht. Sie dürfen ihre Sprache offiziell nicht unterrichten, es gab auch schon Drohungen staatlicher Stellen, die Klöster in Museen umwandeln zu lassen. Das finden viele Menschen in der Türkei nicht richtig. In einer Unterschriftenaktion solidarisieren sich momentan Hunderte mit der assyrischen Minderheit und dem Kloster Mor Gabriel.