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Mohamed Abu-Zaid - Ein Radioporträt

Mohamed Abu-Zaid hat in Berlin an der Freien Universität Medizin studiert. Nach dem Studium ging er wieder zurück nach Palästina. Heute lebt der 47 jährige in Ramallah in der West Bank. Ramallah, das ist mein kleines Berlin, sagt er. Die Stadt sei weltoffener und toleranter als andere Städte in Palästina. Hamas, die radikale islamistische Partei, die für die Selbstmordattentate in Israel verantwortlich ist, hat in Ramallah weniger Einfluss als in anderen palästinensischen Städten. Abu-Zaid:

Christoph Burgmer | 24.10.2002
    Seit zwei Jahren haben wir fast keine Zensur. Aber wir haben eine andere Art von Zensur. Wir haben es jetzt mit Checkpoints zu tun. Wenn sie bedenken, dass innerhalb der West Bank allein über 150 Checkpoints existieren, dann können sie sich Bild über die Lage in Bezug auf Büchervertrieb machen. Mittlerweile herrscht eine Art Dezentralisierung, als ob jede Stadt für sich allein sorgen muss, auch auf dem Gebiet der Bücher und der Literatur. In Ramallah, vorausgesetzt dass wir nicht unter Ausgangssperre stehen, herrscht gewissermaßen Betrieb hinter verschlossenen Türen. Das heißt, dass weiter gearbeitet wird. Ein paar Tage vor meiner Ausreise wollte ich ein paar Bücher abholen in einem Haus, das sich "Haus der Lyrik" nennt. Es beschäftigt sich hauptsächlich mit Lyrik, Gedichten usw. Ich habe geklingelt und es dauerte eine Weile, bis sie die Tür aufmachten. Da habe ich festgestellt, dass sie dort übernachten. Sie kommen aus den um Ramallah herum liegenden Dörfern und sie können nicht jederzeit hin- und her über die Checkpoints. Darum verbringen sie die Woche in Ramallah und nur am Wochenende können sie nach Hause fahren. Ich habe gefragt, warum übernachtet ihr hier? Darauf gaben sie mir die simple Antwort, weil wir hier arbeiten.

    Mohamed Abu-Zaid selbst hat verschiedene Tätigkeiten. Er arbeitet als Notarzt, Sozialarbeiter, Übersetzer und leitet zusätzlich noch das mit norwegischer Unterstützung vor einigen Jahren gegründete Ugarit Kultur Zentrum. Dazu gehört auch ein kleiner Verlag. Veröffentlicht wird eine breite Palette. Kinderbücher, bei arabischen Autoren in Auftrag gegeben und realisiert, gehören genauso dazu, wie aus dem Englischen ins Arabische übersetzte Sachbücher und Literatur. Mohamed Abu-Zaid gehört zu denjenigen in Palästina lebenden Intellektuellen, die nur in einem Dialog mit Israel eine Lösung des palästinisisch-israelischen Konflikts für möglich halten. Friedenspolitisches Engagement, für das er sogar mit einem internationalen Friedenspreis ausgezeichnet wurde, hält er für unerlässlich. Abu-Zaid:

    Es wird gearbeitet, weil Menschen auch Geld verdienen müssen. Auch Leute, die mit Literatur zu tun haben müssen ihrer Arbeit nachgehen. Das heißt, das, wenn es keine Ausgangssperre gibt, man auch Zeitungen zu lesen bekommt, Zeitungen werden gedruckt, also arbeiten die Leute. Wir fahren auch unsere Kinder zur Schule, manchmal auf Umwegen, aber wir fahren sie. Unsere Schüler müssen ihre Hausaufgaben machen. Unter anderem müssen sie manchmal ein Buch lesen, einen Roman und darüber etwas schreiben. Es heißt, dass die Intellektualität, die intellektuelle Arbeit keineswegs zum Stillstand gekommen ist.

    Zum Stillstand gekommen ist das Schreiben von Büchern palästinensischer Autoren. Sie sichern sich, Überlebensstrategie für Schriftsteller in Kriegszeiten seit dem Ersten Weltkrieg, ihr Überleben durch die Veröffentlichung von Artikeln in Tageszeitungen.

    Was zurzeit geschrieben wird, wird für die Zeitung geschrieben und ist keineswegs Material für ein Buch. Es sei denn, man schreibt ein Tagebuch, welches man später veröffentlichen will. Die mit mir befreundeten Schriftsteller, sagen alle, dass sie als Schriftsteller, momentan impotent sind. Sie sind nicht in der Lage, etwas aus sich heraus zu bekommen. Deswegen schreiben über das Alltägliche in den Zeitungen.

    Der Ugarit Verlag fördert deshalb zurzeit ausschließlich Übersetzungen von Literatur und Sachbüchern. Dazu gehören wie selbstverständlich auch Übersetzungen aus dem Hebräischen ins Arabische, wie zum Beispiel die der Bücher von David Grossmann, jüdischer Autor, Publizist und Friedensaktivist. Aber auch Buchveröffentlichungen palästinensischer Autoren, die im westlichen Ausland leben und schreiben. Gelesen, bestätigt Abu-Zaid, wird alles, was man in die Finger bekommt. Ist die Ausgangssperre aufgehoben, sind Buchhandlungen und Stadtbüchereien erste Anlaufziele. Hintergrundinformationen, fern ab politischer Propaganda und Kriegstreibender Indoktrination zu bekommen, ist für Intellektuelle wie Abu-Zaid wichtig. Noch wichtiger ist ihm jedoch die Literatur. Abu-Zaid:

    Es gibt in den verschiedenen palästinensischen Städten sehr gute Buchhandlungen. Es gibt auch so genannte Stadtbüchereien, in denen man sich Bücher ausleihen kann. Ich glaube, das wegen der Lage und weil die Leute für lange Zeit in ihren Häusern eingesperrt werden, wird gelesen. Man schaut nicht nur Fernsehen, sondern es wird auch gelesen. Wir tauschen Bücher und unterhalten uns über Literatur. Denn wir sagen uns, dass man gerade in einer bedrohten Situation mit einem guten Gedicht ins Bett gehen muss.

    Auch zwei Jahre nach Beginn der so genannten "Al Aksa Intifada" besteht Mohamed Abu-Zaid immer noch auf der simplen Erkenntnis, dass nur ein friedlicher Dialog ein Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern herbeiführen kann. Auch wenn kritische Stimmen öffentlich verstummt zu sein scheinen, Intellektuelle wie der palästinensische Autor, Verleger und Kulturmanager Mohamed Abu-Zaid sind Beleg für ihre Existenz. Ob sie politisch wirksam werden können, mag fraglich sein. Nachdem die kritische Öffentlichkeit dem Geschrei der Kriegpropagandisten zum Opfer gefallen ist, sehen zumindest einige palästinensische Intellektuelle ihre Aufgabe darin, der durch die Spirale der Gewalt zunehmenden intellektuellen Verelendung der israelischen und palästinensischen Gesellschaften entgegenzutreten. Überleben heißt, die Isolation, Wasser auf den Mühlen der Kriegstreiber, durch die Verbreitung von Literatur und Sachbüchern, zu durchbrechen. Und die Stimme auch gegen die Politik der Selbstmordattentate zu erheben.

    Es wird manchmal auf die verschiedenen Vorfälle sehr emotional reagiert. Wenn allerdings für gewisse Zeit Ruhe herrscht und es dann passiert, dass ein Selbstmordattentäter sich in die Luft sprengt und Menschen mit in den Tod reist, dann, ist die Mehrheit gegen einen solchen Vorfall. Wenn allerdings ein paar Tage davor die israelische Luftwaffe einen Angriff auf ein ziviles Haus geflogen hat und Zivilisten getötet wurden, zeigt man wenige Gefühle. Dann sagt man sich, dass dies Reaktionen auf israelische, provokative Repressalien seien. So ist die Lage im Augenblick. Daher muss man sich wundern, dass sich trotzdem, zuletzt vor ein paar Monaten, Intellektuelle in die Pflicht nahmen und einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie die verschiedenen politischen Organisationen dazu aufriefen, sich von solchen Aktionen zu distanzieren.

    Mohamed Abu-Zaid hat den Aufruf nicht unterschrieben. Ihm geht die Verurteilung palästinensischer Selbstmordattentate nicht weit genug. Denn, so sagt er, sie seien nicht nur schädlich in Bezug auf die palästinensische Sache, sondern zeugten von einem Geist der Unmenschlichkeit. Ihn gelte es zu verurteilen. Und sich damit endlich auf die Auseinandersetzung mit islamistischen Gruppen wie die Hamas einzulassen.

    Die Hamas geht davon aus, dass die, die sich als Intellektuelle in Palästina bezeichnen, westlich orientiert sind. Ich stimme mit ihnen überein, dass unsere Intellektuellen sich als diejenigen sehen, die sich hauptsächlich mit westlicher Literatur beschäftigen. Daher wird es wahrscheinlich irgendwann eine interne Diskussion geben, das Intellektuelle eben nicht nur derjenigen sind, der sich mit westlicher Literatur beschäftigen und die Goethe auswendig kennen, sondern auch mit dem Islam. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese geistliche Führung ein Monopol hat, über das, was Religion anbelangt. Intellektuelle müssen sich mit diesen Sachen auseinandersetzen. In Palästina spürt man zu wenig noch davon, weil diese so genannten religiösen Parteien sich abkapseln. Wir Intellektuelle sollten sich nicht in Ruhe lassen. Wir müssen ein bisschen in die Offensive gehen, vorausgesetzt, dass wir Stabilität, was die Lage anbelangt in der nächsten Zeit erfahren. Das es irgendwann zu einer Auseinandersetzung kommen wird ist unausweichlich. Die islamistischen Parteien sind im Augenblick auf Macht aus, und die Kulturfrage habe sie bislang außer Acht gelassen. Sie haben die Intellektuellen nicht attackiert, wahrscheinlich warten sie auf einen günstigen Zeitpunkt. Daher müssen wir frühzeitig attackieren.

    Die intellektuelle Vorausschau des Mohamed Abu-Zaid ist von der Erkenntnis geprägt, dass, selbst wenn der Konflikt mit Israel beigelegt ist, es keinen Frieden für die palästinensische Gesellschaft geben wird. Denn die hochgerüsteten "Gotteskrieger" der Hamas oder des Dschihad kämpfen nicht nur gegen den israelischen Staat, sondern bekämpfen auch jede Art von Emanzipation innerhalb der palästinensischen Gesellschaft. Iran 1980 und die Taliban bis vor nicht allzu langer Zeit haben gezeigt, welche Folgen die Machtergreifung radikaler islamischer Gruppen hat. Jener kritische Teil der Palästinenser, zu der auch Mohamed Abu-Zaid zählt, würde dann zu ihren ersten Angriffszielen gehören.