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Mohammed: Der Mann, der als Stifter des Islams gilt

Der Prophet Mohammed war schon bald nur noch verschwommen hinter dogmatischen Lehrsätzen, Denkverboten und Legenden wahrnehmbar. Heute versucht die religionsgeschichtliche Forschung der historischen Person "Mohammed" auf die Spur zu kommen. Anm.: Dieser Beitrag wurde in der Sendung Tag für Tag in zwei Teilen am 7. und 8. Februar ausgestrahlt.

Von Udo Tworuschka | 08.02.2012
    "O ihr Leute, es gibt keinen Propheten nach mir und keine Gemeinschaft - umma - nach euch. Und ich habe euch etwas hinterlassen, wodurch ihr in der Folge nie mehr irregehen werdet, wenn ihr euch daran haltet: das Buch Gottes."

    So die Worte aus der Abschiedspredigt Mohammeds, die der Prophet des Islams 632 in Mekka hielt.

    " ... Wahrlich, dienet eurem Herrn, haltet fünfmal täglich das rituelle Pflichtgebet, fastet in dem Monat, zahlt eure Pflichtabgabe auf euren Besitz mit gutem Willen und vollzieht die Pilgerfahrt zum Hause Gottes und gehorcht den Herrschenden; so werdet ihr ins Paradies eingehen."

    Von Medina aus hatte Mohammed die sogenannte Abschiedspilgerfahrt nach Mekka unternommen. Nur wenige Monate später, am 8. Juni 632, ist Mohammed dann in Medina gestorben.

    Lange Zeit galt Mohammed als der historischste unter den Religionsstiftern. Ob Zarathustra, Buddha, selbst Jesus wirklich gelebt haben - darüber bestand in der Forschung nicht immer Einmütigkeit. Aber dass Mohammed eine historische Person war, das stand bei Muslimen ebenso unbezweifelbar fest wie in der westlichen Islamwissenschaft. Vor gut 20 Jahren schrieb der Frankfurter Orientalist Rudolf Sellheim noch:

    "Über keinen der großen orientalischen Religionsstifter sind biografische Nachrichten in so reichem Maße auf uns gekommen wie über Mohammed. Nicht wenige von ihnen dürften in ihrem Kern, in ihrer Tendenz tatsächlichem Geschehen entsprechen oder doch diesem nahe kommen."

    Die meisten Orientalisten und Islamwissenschaftler teilten diese Meinung, für sie war Mohammed ohne Zweifel eine historische Gestalt. Doch seit einigen Jahren gibt es auch Forscher, die die Geschichtlichkeit auf den Prüfstand stellen. Wissenschaftliche Forscher wie etwa Patricia Cone, Michael Cook und John Burton halten das bislang für verlässlich gehaltene islamische Quellenmaterial inzwischen zum Teil für fragwürdig. Auch die überlieferte Beschreibung Mekkas, das nach arabischen Quellen im 6. und 7. Jahrhundert ein bedeutendes Handelszentrum gewesen sei, wird von einigen Wissenschaftlern inzwischen bezweifelt. Denn Mekka habe mehr als 100 Meilen abseits der berühmten Weihrauchstraße gelegen, die damals von Jemen nach Syrien führte.
    Der Göttinger Islamwissenschaftler Tilmann Nagel hält in seiner von der Fachwelt sehr hoch geschätzten Biografie "Mohammed - Leben und Legende" aber dennoch daran fest, dass ein Kern des islamischen Quellenmaterials durchaus historisch sei. Allerdings legt er auch dar, dass viele Beschreibungen zu Mohammeds Person und Wirken im Laufe der Zeit entstanden sind. Dabei versucht Tilmann Nagel Leben und Legende zu trennen. Er ist überzeugt, dass Mohammed tatsächlich gelebt hat und kein blutleeres Konstrukt einer obskuren vorderasiatischen Sektengemeinschaft ist, wie dies auch schon behauptet wurde.

    Dabei bleibt aber festzuhalten, dass alles Wissen über Mohammed, Biografisches wie Legendäres, ausschließlich aus islamischen Quellen, in erster Linie aus der gegen 750 geschriebenen Prophetenbiografie des Ibn Ishaq, bestehen. Diese Schrift ist aber nicht mehr in ihrer ursprünglichen Fassung erhalten.

    Zu den wichtigen Quellen der Mohammed-Forschung wird traditionell auch der Koran gerechnet. Es ist aber äußerst schwierig, historisch verwertbare Aussagen zu gewinnen. Der Koran ist kein Geschichtsbuch, aus dem sich die Vita Mohammeds rekonstruieren ließe, sondern er ist Predigt, also Verkündigung. Dazu Professor Hartmut Bobzin, Islamwissenschaftler an der Universität Erlangen Nürnberg: Man darf

    " ... die islamische Auslegungstradition des Korans mit ihrem ganzen Reichtum an philologischen und historischen Erkenntnissen nicht unbeachtet lassen. Diese Auslegungen müssen jedoch als zeitbedingte Interpretationen, in denen vor allem bestimmte theologische und rechtliche Diskussionen der frühen islamischen Gemeinde ihren Niederschlag gefunden haben, kritisch hinterfragt werden, wenn es um ein angemessenes literarisches wie historisches Verständnis des Korans gehen soll."

    Mohammed - sein Name bedeutet "der Vielgelobte" - wurde um 570 nach Chr. geboren, nach Tilman Nagel vermutlich nicht in Mekka, sondern westlich davon in einem Wüstenstreifen entlang der West- und Südküste vom heutigen Saudi-Arabien. Mekka war - so bisher die überwiegende Lehrmeinung - im 6. Jahrhundert ein wichtiges Handelszentrum auf der arabischen Halbinsel. Der Aufstieg dieser Stadt war zugleich mit dem wirtschaftlichen und politischen Abstieg des Jemen verknüpft. Trotz der politischen und kulturellen Randlage war religiöses Gedankengut aus Palästina, Syrien und dem Irak zum Teil ins Innere Arabiens vorgedrungen.

    Dort wurde das gesellschaftliche Leben durch Stammesstrukturen geregelt, die das Funktionieren der städtischen Gemeinschaft wie zum Bespiel in Mekka garantierten. Die religiösen Verhältnisse scheinen jedoch komplizierter gewesen zu sein als allgemein angenommen wird. So war Mekka keineswegs der einzige Wallfahrtsort auf der arabischen Halbinsel. Es existierten darüber hinaus zahlreiche religiöse Kulte.

    Außerdem gab es in Mekka heftige Auseinandersetzungen zwischen christlichen und jüdischen Gruppen, die dort aktiv waren und Mission betrieben. Dabei ging es nicht immer friedlich zu. Tilmann Nagel geht in diesem Gebiet von einem allgemeinen, weder Juden- noch Christentum zuzuordnenden Monotheismus aus. Vor diesem monotheistischen Hintergrund mag sich eine Gruppe von religiösen Einzelgängern entwickelt haben, die in den arabischen Quellen Hanifen "Gottsucher" genannt wird. Dieser Gruppe könnte auch Mohammed angehört haben.
    Religionsgeschichtlich herrschte im alten Arabien der Polytheismus: der Glaube an die Existenz mehrerer großer, personaler, nach ihren Funktionen abgrenzbarer Gottheiten. Darüber hinaus war der Glaube an Geister weit verbreitet. Deren Aufenthaltsort wurde besonders in den Wüsten vermutet. Die Menschen machten diese Geister vor allem für Krankheiten verantwortlich; denn sie sollen Wahnsinn hervorgerufen, aber auch Wahrsager, Dichter und Musiker inspiriert haben. Unter den verschiedenen Göttern, die verehrt wurden, nahm Allah - arabisch "der Gott" - als Hochgott eine Sonderstellung ein. Zwar galt er als der eine Weltgott, doch hielt man sich im täglichen Leben eher an die zahlreichen Stammesgötter.

    In Mekka galt ein schwarzer Stein, der in die Außenwand der Kaaba eingemauert war, als besonders heilig. Bereits in vorislamischer Zeit war dieses würfelförmige Gebäude mit dem Namen des biblischen Abraham verbunden worden, der die Kaaba zusammen mit seinem Sohn Ismael erbaut haben soll.

    Der Stamm der Quraischiten, der in Mekka zu den führenden politischen Gruppen gehörte, verstand sich in direkter Nachkommenschaft von Abrahams Sohn Ismael. Daraus leiteten sie die Pflicht ab, das Heiligtum der Kaaba zu beschützen. Hinsichtlich ihrer religiösen Praxis teilten sich die Araber in diesem Gebiet in zwei Gruppen auf: einerseits die "Profanen", die das rituelle Umschreiten der Kaaba nackt ausführten, anderseits "die Strengen", zu denen unter anderen die Quraischiten gehörten, die dieses Ritual nur bekleidet vollzogen.

    Damals fanden zweimal im Jahr Wallfahrten statt und dazu gab es zahlreiche Feste und Jahrmärkte. Während der Wallfahrten herrschte der 'Gottesfriede', und die Pilger konnten in dieser Zeit ungestört Handel treiben und Kontakte pflegen. Die Bewohner von Mekka profitierten wirtschaftlich von dieser Situation.

    Das Leben außerhalb der Stadt Mekka war von der beduinischen Lebensform geprägt. Die Nomaden wechselten aufgrund der wasserarmen Weidegebiete häufig ihr Standquartier. Der Einzelne fühlte sich eng an seine Sippe, darüber hinaus an seinen Stamm gebunden. Es herrschte ein stark ausgeprägtes Solidaritätsgefühl. Innerhalb des Stammes genoss das Individuum absoluten Schutz, auch dann, wenn jemand einen Totschlag beging. Umgekehrt musste der Einzelne aber auch seinerseits für seine Stammesbrüder einstehen. Zwischen den Stämmen gab es nicht selten heftige kriegerische Auseinandersetzungen. In dieser Umgebung verbrachte Mohammed seine Kindheit, die schon früh von einem persönlichen Schicksalsschlag überschattet wurde.
    Mohammed stammte aus einer Sippe, in der es üblich war, dass der Mann nach der Heirat an den Wohnsitz der Frau zog. Innerhalb der Familie verkörperte aber der Ehemann und Vater die unumstrittene Autorität. An der Spitze der Sippe und des Stammes gab der Scheich Ton an, der auch für die Armen zu sorgen und Fremden Gastfreundschaft zu gewähren hatte.
    Nach den ältesten Überlieferungen aus dem späten 7. Jahrhundert starb Mohammeds Vater Abd Allāh nach kurzer Krankheit wenige Monate vor der Geburt Mohammeds in Yathrib - dem späteren Medina - im Kreise der Familie seiner Mutter Amina. Bis in das 9. Jahrhundert wurde dort noch Abd Allahs Grab gezeigt. Mohammed verbrachte anschließend mehrere Jahre in der Familie seiner, die dann starb, als ihr Sohn gerade sechs Jahre alt war. Vor allem sein Onkel Abu Tālib zog Mohammed auf und nahm ihn schon früh mit auf Handelsreisen.

    Auf diese Weise wurde er schon früh in die Welt der Kaufleute eingeführt, in der er auch später die Kaufmannswitwe Chadidscha kennenlernte. Die etwa vierzigjährige Geschäftsfrau machte den Fünfundzwanzigjährigen zu ihrem Geschäftspartner. Höchstwahrscheinlich unter der Maßgabe, dass die Gewinne anteilmäßig entsprechend ihrem Kapital und der Leistung Mohammeds aufgeteilt wurden. Diese Form der Geschäftsverbindung war in der arabischen Gesellschaft sehr gebräuchlich. Mohammeds Fähigkeiten, seine Aufrichtigkeit und sein gesellschaftliches Ansehen brachten ihm den Würdenamen al-Amīn ein, "der Zuverlässige". Chadidscha heiratete schließlich den wesentlich jüngeren Mohammed.

    Er brachte seiner Ehefrau tiefe Zuneigung entgegen und solange sie lebte, nahm er keine andere Frau. Chadidscha gebar ihm sechs Kinder, von denen nur eine Tochter, Fatima, am Leben blieb und selber Nachkommen hatte. Als Chadidscha nach 25 Ehejahren starb, nahm Mohammed sich zahlreiche andere Frauen. Außerdem besaß er auch Sklavinnen als Konkubinen. Seine Lieblingsfrau Aischa heiratete er, als diese erst sechs Jahre alt war. Er vollzog die Ehe, als Aischa neun war. Die Frauen Mohammeds werden von der Mehrheit der Muslime "Mütter der Gläubigen" genannt. Wenn die Zahl der Frauen Mohammeds kritisiert wird, dann wird oft übersehen, dass die Vielehe im damaligen Arabien üblich war. Mohammeds Ehe mit Chadidscha stellte so gesehen eine Ausnahme dar. Seine späteren Ehen waren vor allem von dem Bemühen getragen, Witwen und Waisen von gefallenen Mitmuslimen zu versorgen und rivalisierende Stämme zu versöhnen.
    Mit etwa 40 Jahren, also um das Jahr 610, nahm Mohammed immer häufiger Anstoß an dem oberflächlichen Treiben und unsozialen Verhalten der mekkanischen Gesellschaft. Er zog sich damals zu Meditationen in die Einsamkeit in eine kleine Höhle am Berge Hira zurück, die etwa drei Kilometer von Mekka entfernt ist. Dort erhielt er - nach der Überlieferung - einen göttlichen Auftrag, wie er im Koran in Sure 74 niedergeschrieben ist:

    "Der du dich in dein Gewand gehüllt hast! Stehe auf und warne! Preise deinen Herrn! Reinige deine Kleider! Meide den Schmutz!"

    Reine Gewänder - und wohl auch eine entsprechende Gesinnung - waren für das wichtigste Ritual der mekkanische Frömmigkeit erforderlich: die Umkreisung der Kaaba. Die Hervorhebung der reinen Kleidung ist aber zugleich auch eine Kritik an der nicht unüblichen nackten Umkreisung der Kaaba, wie sie bei manchen Gruppen, der üblich war.

    Nach dem Erlebnis auf dem Berg Hira sind regelmäßig Offenbarungen an Mohammed überliefert. Bald darauf fing er an, seine mekkanischen Mitbürger vor dem baldigen Gericht Gottes zu warnen. Hauptinhalte seiner Predigt in jener Zeit waren der Glaube an den einen und einzigen gütigen Schöpfergott und der Aufruf zu einem besseren, sozialeren Lebenswandel. In Sure 102 heißt liest man zum Beispiel:

    "Im Namen Allahs des barmherzigen Erbarmers. Das eifrige Streben nach Mehrung des Reichtums beherrscht euch, bis ihr die Gräber erreicht. Gewiss! Ihr erfahrt es bald nochmals, ihr erfahrt es bald, wie töricht ihr gewesen seid."

    Mohammed sah sich von Gott beauftragt, als "Warner" die von ihm kritisierte Glaubens- und Lebensweise seiner Umwelt zu ändern. Er konzentrierte sich dabei vor allem auf drei Schwerpunkte, die man als "Kampfansagen" betrachten kann: gegen den Polytheismus - gegen die gesellschaftliche Ungerechtigkeit und gegen die Unwissenheit mit all ihren nachteiligen Folgen.

    Zunächst fand die Botschaft in Mekka wenig Anklang. Mohammeds erste Anhänger waren seine Frau Chadidscha und sein junger Vetter und spätere Schwiegersohn Ali. Anschließend folgten ihm jüngere Leute aus vornehmen und weniger einflussreichen Familien. Vielfach waren es auch engere Verwandte der Gegner Mohammeds. Zahlreiche Angehörige der unteren sozialen Schichten, Handwerker und Freigelassene äthiopischer oder byzantinischer Herkunft interessierten sich für Mohammeds Botschaft. Auch Christen aus Äthiopien liefen zu ihm über und wurden Muslime.
    Die Mekkaner jedoch bestritten die Echtheit von Mohammeds göttlicher Sendung. Sie warfen ihm vor, er sei bloß ein Dichter, der unter dem Einfluss der Dämonen stehe. Man lehnte den Propheten aber auch deshalb ab, weil er mit seiner Botschaft die wirtschaftlichen Unternehmungen in der Stadt mit seiner beißenden Kritik angriff.

    Schließlich verließ Mohammed Mekka und wanderte im Jahr 622 mit seinen Getreuen nach Medina aus. Dieses Jahr der Hidschra, der "Auswanderung", gilt bis heute als das Jahr, mit dem die islamische Zeitrechnung beginnt.

    In Medina zeigte sich Mohammed weniger als religiös inspirierter Gerichtsprediger, denn als Staatsmann und Politiker. Im Jahre 623 erließ er eine Gemeindeordnung für Medina, die sich mit Glaubensfragen und Problemen des sozialen Zusammenlebens der islamischen Gemeinschaft, der Umma beschäftigte.

    Bei der Auseinandersetzung mit den weiterhin erbitterten mekkanischen Gegnern kam es zu mehreren Feldzügen. Gleichzeitig spitzten sich aber auch in Medina die Konflikte mit der jüdischen Bevölkerung zu. Denn die Juden ließen sich nicht von Mohammed überzeugen, dass die beiden Religionen Judentum und Islam in vielen Punkten übereinstimmten.
    Mohammed kehrte dann im Jahr 630 anlässlich eines Beduinenstreits nach Mekka zurück, wo ihm inzwischen nur noch wenig Widerstand geboten wurde. Er behandelte außerdem die meisten Gegner mit unerwarteter Milde. Als er dann zwei Jahre später, 632, starb, galt Mohammed bereits als Führer fast der gesamten arabischen Halbinsel.
    Auf die Frage, wer Mohammed war, sind verschiedene Antworten möglich, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man fragt. Für die über eine Milliarde Muslime auf aller Welt, deren Glaube sich an Mohammed und seiner Botschaft orientiert und die ihr tägliches Leben an dieser Gestalt ausrichten, ist Mohammed mehr als nur "Objekt der Geschichte". Er ist "Gegenstand des Glaubens". Mohammed ist für Muslime der "Gesandte" des einen Gottes. Für die Forschung ist er zweifellos eine der bedeutendsten Gestalten der Religionsgeschichte.