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Moldawien
Ein Land im Schatten der Krim-Krise

Mit Blick auf die Krim-Krise wächst auch in Moldawien die Angst vor einem Konflikt mit Russland. Moldawiens Pulverfass ist die abtrünnige, pro-russische Republik Transnistrien. Und auch das kleine Turkvolk der Gagausen hat in einem Referendum Ende Februar eindeutige Präferenzen für Russland gezeigt.

Von Andrea Rehmsmeier | 10.03.2014
    Im Presseraum des moldawischen Parlaments drängeln sich die Journalisten. Die Liveübertragung aus dem Sitzungssaal zeigt hitzige Debatten. In Chisinau liegen die Nerven blank: Denn Sewastopol ist nah – per Luftlinie sind es gerade mal 600 Kilometer bis zu dem ukrainischen Krisenherd. Der Parlamentsvorsitzende Igor Corman, langjähriger moldawischer Botschafter in Deutschland, lässt zwar keine Zweifel am Europakurs der Regierung aufkommen. Fingerspitzengefühl ist dennoch gefragt, weiß er. Denn eine allzu forsche Westintegration könnte sich schnell als Bumerang erweisen. Moldawiens Pulverfass ist die abtrünnige, pro-russische Republik Transnistrien. Und auch das kleine Turkvolk der Gagausen hat in einem Referendum Ende Februar eindeutige Präferenzen für Russland gezeigt.
    "Die Ukraine ist unser Nachbarland. Und wir haben auch ein Problem, wenn wir über die Transnistrien-Region sprechen. Das heißt: Separatismus. Und wir hoffen, dass auch letztendlich alle Politiker in Gagausien verstehen: Wir müssen Lösungen finden für die konkrete reale Probleme der Bürger in der Autonomie. Und ich kann nicht sagen, dass eine Gefahr besteht, dass in dieser Autonomie auch eine separatistische Bewegung beginnt. Obwohl es gibt Kräfte von außen, die das unterstützen. Wir wissen das. Aber ich glaube, unsere konstruktive Haltung wird dazu beitragen, die Lage zu stabilisieren. "
    Von Chisinau aus führt eine holprige Landstraße 100 Kilometer in Richtung Süden – durch menschenleere Wiesen, ärmliche Siedlungen und winterlich graue Weinfelder. Gagausien ist ein Landstrich mit Eigenheiten: Das Gebiet hat eine eigene Regierung, und wird weitgehend autonom verwaltet. Gerade mal 160.000 Menschen leben hier, die meisten gehören dem Turkvolk der Gagausen an – sie sprechen eine alte Turk-Sprache, dennoch sind die meisten russisch-orthodoxe Christen. Auf dem zentralen Platz des Verwaltungszentrums Comrat steht eine überlebensgroße Lenin-Statue.
    Russland sympathischer als Europa?
    Schlimm, einfach schlimm! Das sagt eine Passantin über die Ereignisse in der Ukraine. Wenn die Krim an Russland angegliedert würde, dann würde alles besser werden, glaubt sie. Irgendwie sei ihr Russland sympathischer als Europa.
    Ihr Sohn, erzählt die gebürtige Gagausin, arbeitet als Gastarbeiter in Russland – wie so viele hier. Darum hat sie sich bei dem Referendum im Februar für eine Zollunion mit Russland ausgesprochen.
    Tatsächlich erzielte die Meinungsumfrage ein Ergebnis, das verdächtig an längst verflossene Sowjetzeiten erinnert: 98,5 Prozent pro Russland. Hatte Moskau seine Finger im Spiel bei diesem sagenhaften Wahlausgang? Die Antwort auf diese Frage kennt Mihail Formuzal. Er ist in Gagausien das Staatsoberhaupt, "Baschkan" nennen seine Landsleute diese Funktion. Und er beteuert: Das gagausische Referendum sei ein Vorbild an Basisdemokratie.
    Trotz Regen und Kälte seien die Menschen zu den Urnen geströmt, sagt er, denn die Integration mit der EU mache ihnen Angst. Sie fürchteten, dass die Republik Moldau im Laufe des europäischen Integrationsprozesses an Rumänien angeschlossen werde.
    Dabei ist der Baschkan von Gagausien eigentlich alles andere als ein Anti-Europäer. Im Gespräch entpuppt er sich als belesener und weit gereister Mann, der seinen Sohn zum Studium nach Deutschland geschickt hat. Was aber denkt er, wenn er jetzt in den Fernsehnachrichten russisch-sprachige Militärs mit Kalaschnikows auf den Straßen der Krim patrouillieren sieht? Sieht so das Russland aus, mit dem das kleine Turkvolk der Gagausen eine enge Union eingehen möchte?
    Die Informationen seien zu widersprüchlich, um sie zu bewerten, sagt der Baschkan. Gagauisen sei nicht die Krim. Er sieht die Zukunft seines kleinen Volkes in Russland ebenso wenig wie in Brüssel, sondern nur in der Republik Moldau.