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Molekül gegen Raucherkrebs

Medizin. - Forscher wenden zunehmend die Genomanalyse an, um bei Tumoren Angriffspunkte für potenzielle Therapien zu finden. So haben Max-Planck-Forschern in Köln mit Hilfe der Erbgutanalyse einen neuen Ansatz zur Behandlung von Lungenkrebs gefunden.

Von Martin Winkelheide | 27.05.2011
    Im Keller des Max-Planck Instituts für neurologische Forschung in Köln. Dr. Roman Thomas öffnet eine schwere Eisentür. Hier lagert in großen Gefrierschränken der Schatz seiner Arbeitsgruppe.

    "Das sind minus 80 Grad, also minus 80 Grad Gefrierschrank, das reicht."

    Viele Hundert kleine Plastikröhrchen. Sie enthalten Krebszellen. Proben von Patienten mit Lungenkrebs. Roman Thomas interessierte sich für eine besondere Form von Lungenkrebs, das so genannte Plattenepithelkarzinom. Häufig bekommen Raucher diese Krebsform, die sich schlecht behandeln lässt. Eine herkömmlich Chemotherapie wirkt in der Regel nur für kurze Zeit. Was unterscheidet ein Plattenepithelkarzinom von einem anderen Lungenkrebs, wollte Roman Thomas wissen. Die Antwort suchte er im Erbgut der Tumorzellen, im Genom.

    "Wir wollten spezifisch Gene identifizieren, die beim Plattenepithelkarzinom in veränderter Form vorliegen, die man eventuell auch therapeutisch nutzen kann."

    Roman Thomas sequenzierte daher mit seiner Arbeitsgruppe die Genome von 155 Plattenepithelkarzinom-Proben – und zum Vergleich 77 andere Lungenkrebse, so genannte Adenokarzinome. Erfasst sind die Daten in einer großen Datenbank.

    "Das ist so eine Art 'google maps' für das Krebs-Genom, was wir hier haben."

    In Roman Thomas Büro, auf dem Flachbildschirm seines Computers sind viele dünne Linien zu sehen, manche sind rot, andere sind blau.

    "Wenn man hier draufschaut, sieht man, dass diese Tumore zum Beispiel von der Geographie her ein ganz charakteristisches Bild haben, was sie von den anderen Lungentumoren unterscheidet, ja…"

    Bei der Auswertung der Daten entdeckte er: Ein bestimmtes Gen ist bei Plattenepithelkrebsen häufig verändert, ein Gen mit Namen FGFR 1. Und oft sind gleich mehrere Kopien des veränderten Gens im Erbgut eingebaut. Mal zehn, mal 20, 30 oder sogar 40 Kopien. Thomas:

    "Ein genetischer Mechanismus, mit dem der Tumor sagt: Ich mag dieses Gen, ich möchte mehr davon haben, und anstatt einfach nur mehr davon abzulesen, vervielfältigt er direkt diesen ganzen Genabschnitt und hat dann dadurch viele Kopien von dem Gen zu Verfügung."

    Im Umkehrschluss bedeutet das: FGFR1 ist wichtig für den Tumor. Die Tumorzellen können nicht mehr unkontrolliert wachsen, wenn mit einem Wirkstoff das Protein FGFR1 blockiert wird.

    "Den Wirkstoff gibt es schon. Der wird auch getestet zur Zeit bei Brustkrebs und Magenkrebs."

    Ob der Wirkstoff Patienten mit Plattenepithelkarzinom hilft oder nicht, das testet Professor Jürgen Wolf in einer ersten klinischen Studie. Er leitet das Labor für Translationale Krebsgenomik am "Centrum für Integrierte Onkologie" in Köln.

    "Der wird gezielt, jetzt nicht bei allen Lungenkrebspatienten getestet, sondern nur bei den Patienten, die diese genetische Aberration haben. Das sind bei den Plattenepithelkarzinom-Patienten ungefähr 18 bis 20 Prozent – nach dem bisherigen Wissen."

    Weltweit suchen Forscher nach den genetischen Besonderheiten von Tumoren. Von Lungenkrebs, Darmkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs oder Hautkrebs. Bislang sind einige Hundert Krebs-Genome sequenziert worden. So werden immer mehr Angriffspunkte für eine gezielte Krebstherapie entdeckt, sagt Professor Michael Stratton vom Wellcome Trust Sanger Institute. In einigen Jahren, glaubt er, werden Mediziner aus einigen Dutzend neuen Krebs-Wirkstoffen auswählen können.

    "Ohne Zweifel liegt die Zukunft in Kombinationstherapien. Sie werden nach und nach die Überlebenschancen der Krebspatienten erhöhen. Dank dieser maßgeschneiderten Therapien."

    Das Ziel der neuen maßgeschneiderten Krebsbehandlungen heißt nicht Heilung sondern Tumorkontrolle. Patienten sollen – wie bei anderen chronischen Erkrankungen – möglichst lange und möglichst gut trotz und mit ihrer Krankheit leben können.