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Molekulare Pflanzenzüchtung
Debatte um CRISPR/Cas-Pflanzen

CRISPR/Cas, Talen oder Zink-Finger-Nukleasen: Mit gentechnischen Werkzeugen lassen sich im Genom von Pflanzen gezielt Mutationen einleiten, ohne Spuren zu hinterlassen. Die USA will den Einsatz dieser Pflanzen nicht regulieren. Doch was dort bereits entschieden ist, wird in der EU noch heftig debattiert.

Von Lucian Haas | 03.05.2018
    Genschere IGI. Beim Innovative Genomics Institute, IGI, in Berkeley wird an der Weiterentwicklung der Genschere geforscht. In den kleinen Reagenzgläsern befinden sich Tausende von Crispr/Cas9-Molekülen. Sie können die DNA in jeder Zelle durchschneiden und so den "Code des Lebens" umschreiben.
    Crispr/Cas9-Moleküle können die DNA in jeder Zelle durchschneiden und sie so umschreiben (Deutschlandradio / Peter Kreysler)
    Die USA werden bei vielen Pflanzensorten, die mit modernen gentechnischen Methoden gezüchtet wurden, auf besondere Regeln der Zulassung und Kennzeichnung verzichten. Das offizielle Schreiben des US-Agrarminister Sonny Perdue stellt klar:
    "Das US Department of Agriculture reguliert keine Pflanzen, die auch über traditionelle Züchtungsmethoden hätten entwickelt werden können - soweit es sich nicht um Pflanzenschädlinge handelt."
    Erbgut verändern ohne Spuren zu hinterlassen
    Neue molekulare Züchtungstechniken können das Erbgut gezielt verändern, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. Sie wirken wie natürliche Mutationen. Die bekannteste Methode ist die Gen-Schere CRISPR/Cas.
    "Das gilt auch für eine Reihe neuer Techniken, die zunehmend von Pflanzenzüchtern eingesetzt werden, um neue Pflanzensorten zu erhalten, die sich nicht von traditionell gezüchteten Sorten unterscheiden lassen."
    Die traditionelle Züchtung ist aufwendig und produziert eine Fülle von Mutationen, nur ein Bruchteil schafft es auf den Acker. Jetzt stellt sich die Frage: Ist es noch Gentechnik, wenn die Züchter das gleiche Ergebnis viel schneller erreichen, indem sie zur Genschere greifen und das pflanzeneigene Erbgut gezielt an den passenden Stellen zurechtstutzen? Den Pflanzen sieht man nicht an, wie eine Mutation in ihrem Erbgut zustande kam. Der Pflanzenpathologe Karl-Heinz Kogel, der an der Uni Gießen selbst mit der CRISPR-Genschere an schädlingsresistentem Getreide arbeitet, begrüßt die neue Linie der USA:
    "Das ist eine wissensbasierte Entscheidung und aus wissenschaftlicher Sicht meines Erachtens eindeutig richtig. Es ist ein großer Fortschritt, weil dadurch natürlich eine ungeheure Innovationskraft entsteht für die Pflanzenzüchtung."
    Kennzeichnen oder nicht?
    Was in den USA nun also entschieden ist, darüber wird in der EU noch heftig debattiert. Soll ein Weizen, der pilzresistent geworden ist, indem drei seiner eigenen Gene stillgelegt wurden, als gentechnisch veränderter Organismus gelten - nur weil bei der Züchtung Genscheren als Werkzeuge eingesetzt wurden? Oder zählt das Ergebnis, weil die gleiche Mutation auch auf natürlichem Weg hätte entstehen können? In den nächsten Wochen wird eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes erwartet.
    Mitte Januar hatte der Generalanwalt des EuGH, Michal Bobek, in einem Vorentscheidungsersuchen so argumentiert: Pflanzen seien nur dann als gentechnisch veränderte Organismen einzustufen, wenn ihr genetisches Material so verändert worden sei, wie es auf natürliche Weise nicht möglich ist. Ein Weizen mit gezielt mutierten eigenen Genen wäre demnach nicht mehr als gentechnisch verändert zu kennzeichnen, ein Weizen mit eingefügten Fremdgenen von Bakterien hingegen schon. Karl-Heinz Kogel: "Wenn man dieser Opinion folgt, dann stehen wir auch in Europa vor einem Durchbruch in der Pflanzenzüchtung."
    Die ersten Pflanzensorten bald auf dem Markt
    Der Ausgang des Verfahrens ist freilich noch offen. Allerdings bringen die USA mit ihrem Vorstoß die Europäische Union unter Zugzwang. Denn jetzt ist klar: Wenn Züchter in den USA mit gentechnischen Verfahren wie CRISPR/Cas, Talen oder Zink-Finger-Nukleasen die DNA von Pflanzen in naturidentischer Weise verändern, dann werden diese Pflanzen wie traditionell gezüchtete Sorten eingestuft. Würde Europa in diesem Punkt anders entscheiden als die USA, entstünde eine politisch vertrackte Lage. Viele Pflanzensorten und -produkte, die in den USA ohne Auflagen angebaut und gehandelt werden dürfen, müssten in Europa eigentlich zugelassen und gekennzeichnet werden. Karl-Heinz Kogel:
    "Das wäre ein großes Problem, was kaum zu lösen ist. Weil diesen Pflanzen ist ja nicht mehr anzusehen, wie sie hergestellt wurden. Es ist ein Produkt, das naturidentisch ist. Sie hätten im Grunde keine Möglichkeit, das zu kontrollieren."
    Die CRISPR-Pflanzen aus den USA könnten also völlig unbemerkt nach Europa kommen. Vermeiden ließe sich das theoretisch nur, wenn der Agrarhandel mit den USA in bestimmten Sektoren vollständig eingestellt würde, sagen Experten. Doch das wäre aus politischer Sicht wohl weder praktikabel noch opportun:
    "Dass die EU hier bald eine offizielle Linie finden muss, wird deutlich, wenn man die laufende Entwicklung in den USA betrachtet. Dort sollen noch in diesem Jahr die ersten Pflanzensorten auf den Markt kommen, die unter Einsatz von Genscheren gezüchtet wurden, aber rechtlich nicht weiter reguliert werden. Dazu zählen Sojabohnen mit Salz- und Trockentoleranz, Leindotter mit erhöhtem Ölgehalt, Mais mit veränderter Stärke-Zusammensetzung oder Pilze, die nicht mehr braun werden.