Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Molière in Stuttgart
Kurzweilig, aber oberflächlich

In Wolfgang Michaleks Inszenierung von "Der Menschenfeind" am Staatstheater Stuttgart gerät die Hauptfigur Alceste zur Nebenfigur. Überhaupt hat die oberflächlich geratene Nummernrevue mit dem Stück des französischen Schriftstellers Molière wenig zu tun.

Von Christian Gampert | 08.07.2017
    Blick auf das Stuttgarter Staatstheater.
    In Stuttgart bekommt das Publikum von "Der Menschenfeind" einiges geboten - mit Molière hat das aber wenig zu tun. (dpa / picture alliance / Wolfram Kastl)
    Kurzweilig ist es ja schon, was das Stuttgarter Staatstheater da im Foyer des Schauspielhauses veranstaltet. Mit Molière hat es allerdings nur am Rande zu tun. Regisseur Wolfgang Michalek hat erst gar nicht versucht, die subtil gereimte Salonkomödie auf ihre Feinheiten zu untersuchen; auch der moralische Rigorismus der Hauptfigur interessiert ihn eigentlich nicht – obgleich aktuelle Bezüge ja auf der Hand liegen.
    Politische Rechthaber gibt es genug, auch in deutschen Landen; allerdings kommen sie meist nicht so leichtfüßig daher wie bei Molière.
    Nein, Michalek hat das Theater gleich ganz an die Musik verkauft. Bei Molière rudert eine erhaben lächerliche Gestalt namens Alceste gegen die Zeitläufte an, gegen Heuchelei und Korruption – und absurderweise liebt er eine Frau, die die Inkarnation all der schlechten Eigenschaften ist, die er bekämpft. Die Salonschlange Célimène nämlich möchte die Tändeleien der kurzweiligen und wechselnden Flirts lieber ad ultimo fortsetzen, statt sich mit dem verbiesterten Moralismus ihres Verehrers zu arrangieren.
    Ranschmeißerische Nummernrevue
    Bei Michalek nun kommt Célimène als Mischung von Claire Waldoff und Marylin Monroe mit dem Fahrstuhl ins Foyer gefahren und teilt mit, dass sie einen Mann will, einen richtigen Mann – der noch küssen will und kann. Da ist sie bei Alceste ersichtlich falsch – allerdings hat sie sich auch ins falsche Stück verirrt. Denn die Célimène der ungemein präsenten Birgit Unterweger ist keineswegs eine kapriziöse Spielerin, sondern ein Vamp, eine Powerfrau. Und sie darf das Publikum anmachen und eine halbe Stunde lang die schönsten Chansons von Friedrich Holländer und Konsorten darbieten.
    Die Regie tut bei dieser ranschmeißerischen Nummernrevue so, als sei das ein Unterhaltungsprogramm an Bord der sinkenden Titanic; dabei schwitzen wir, jenseits aller Eisberge, im Foyer des Staatstheaters vor uns hin. Zwar hat Hans Magnus Enzensberger den "Untergang der Titanic" 1978 als Langgedicht und Gesellschafts-Metapher in den Kulturbetrieb eingeführt, und derselbe Enzensberger hat ein Jahr später den "Menschenfeind" hinterhältig aktualisiert ins Deutsche gebracht. Aber reicht das als Inszenierungs-Ansatz?
    Es fehlt an Tiefgang
    Nein, es reicht nicht. Die Inszenierung gefällt sich in Gesangsdarbietungen und schrillen Oberflächlichkeiten, die gut für die Abteilung Kostüm und Maske sind, aber schlecht für Molière. Der arme Alceste wird bei Christian Czeremnych zu einer bedauernswerten Nebenfigur, die in ihrem gelben Anzug aussieht wie eine Mischung aus Malvolio, Kurt Cobain und David Bowie und am Schluss mit sehr hohen Hacken der Welt entsagt - als androgyner Ziggy Stardust, ein gescheiterter Messias.
    Sein Nebenbuhler, der schreckliche Dichter Oronte, verfügt bei Peer Oscar Musinowski über ein einziges Stilmittel, ein abendfüllendes Zähneblecken, eine Mischung aus Beißzwang und Zahnpasta-Reklame. Wenn die beiden über Lyrik streiten, wird nicht debattiert, sondern gebrüllt.
    Nicht mehr als ein aufgepepptes Mauerblümchen
    Auch die intrigante Arsinoe ist bei Lucie Emons nur ein aufgepepptes Mauerblümchen mit Monsterbrille und dunkel geschminkten Grunge-Augen. Einzig den genialischen Begleit-Pianisten Michael Lieb kann man guten Gewissens weiterempfehlen. Aber auch er muss sich dem strengen Regime von Birgit Unterweger unterwerfen, die als Sex-Königin des Sommertheaters sich alle Männer untertan macht.
    Insofern: eine nette Solo-Show für Frau Unterweger. Wir aber fühlen mit Alceste, der da sagt: Ich kann die Menschen überhaupt nicht leiden, am liebsten würde ich sie ganz vermeiden. Zumindest im Foyer des Stuttgarter Staatstheaters.