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Momentaufnahme 1991
Helmut Kohl und Straßburg

Straßburg und Helmut Kohl - zu seinen Lebzeiten war die Stadt im Elsass ein symbolträchtiger Ort für den Kanzler a.D.. "In einer Stadt wie Straßburg", pflegte er zu sagen, lerne man schnell, was nationale Egoismen anrichten könnten. Die Hauptstadt Europas stand auch für Krieg und Frieden, große Europapolitik und ein bisschen Kulinarisches.

Von Ursula Welter | 30.06.2017
    Mit jeweils einem Glas Bier stärken sich der französische Staatspräsident Jacques Chirac (r) und Bundeskanzler Helmut Kohl bei ihrer ersten Begegnung in Straßburg in einem Bistro.
    Mit einem Glas Bier stärken sich der französische Staatspräsident Jacques Chirac (r) und Bundeskanzler Helmut Kohl bei ihrer ersten Begegnung in Straßburg in einem Bistro. (AFP/EPA Eric Cabanis)
    Helmut Kohl: "Und in einer Stadt wie Straßburg…"
    Straßburg. Hauptstadt Europas, der Kultur, der Gastronomie…
    Die Weinstube "Chez Yvonne" für die gerne geworben wird, wenn für Straßburg geworben wird, kannte auch Helmut Kohl. Hier aß er gut und gerne mit Jacques Chirac, dem französischen Staatspräsidenten, der Madame Yvonne für deren Diskretion schätzte: "Er wusste, ich bin verschwiegen", erzählte die Dame gerne, die ihre Eltern im Zweiten Weltkrieg verloren hatte und doch erleben durfte, wie deutsche und französische Spitzenpolitiker bei Wein und gutem Essen gemeinsam Politik gestalteten.
    Straßburg, das war für den Pfälzer Kohl aber nicht nur Kulinarisches: "Meine sehr verehrten Damen und Herren!"
    12. November 1991. Im Gebäude des Europarats hält Helmut Kohl eine Dankesrede. Er ist gerade mit dem "Europapreis für Staatskunst" ausgezeichnet worden.
    Straßburg steht für deutsch-französische Freundschaft
    "Dass wir heute hier in Straßburg, an diesem Ort, zur Preisverleihung zusammen gekommen sind, ist gewiss auch ein Zeichen für die ganz besondere Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft, die eine wichtige Voraussetzung für die europäische Einigung war und ist. Wer wie ich aus einer Grenzregion kommt, der kann erst richtig ermessen, was es bedeutet, dass wir heute gemeinsam mitten in Europa leben."
    Polen ist Mitglied des Europarats geworden. Der Mauerfall liegt zwei Jahre zurück. In Moskau ist ein Putsch abgewendet worden, die ehemalige Sowjetunion zerfällt. Europa steuert auf die Währungsunion zu, Deutschland hat sich bereit erklärt, die D-Mark abzuschaffen, aber Helmut Kohl hat darauf bestanden, dass der Währungs- auch eine Politische Union zur Seite gestellt wird. Bei einem Gipfeltreffen in Straßburg, 1989, war das gewesen.
    Währungsunion ohne Politische Union wäre falsch
    Jetzt, zwei Jahre später, mahnt der Kanzler, in derselben Stadt, dass es ihm ernst sei mit der Forderung nach mehr Integration, nach Vertiefung der EU auch auf politischer Ebene: "Eine Wirtschafs- und Währungsunion ohne den notwendigen politischen Rahmen wird auf Dauer zum Misserfolg verurteilt sein!"
    Der bevorstehende Gipfel von Maastricht sei der Testfall, sagt Helmut Kohl in diesem November 1991, und droht: "Um es klar auszusprechen: Die Bundesrepublik Deutschland wird keiner Vereinbarung zustimmen, in die nicht einigermaßen adäquat Politische Union und Wirtschafts- und Währungsunion zusammengehen, denn alles andere wäre falsch!"
    Der Vertrag von Maastricht sollte kommen, die Politische Union in Teilen auch, aber vieles bleibt unerfüllt, unausgegoren. Und vieles von dem, was Helmut Kohl Anfang der 90er-Jahre in Gang setzte, blieb unterwegs stecken. So könnte auch 2017 formuliert worden sein, was Kohl 1991 sagte:
    Europa braucht gemeinsame Verteidigung
    "Die jüngste deutsch-französische Initiative hat das Ziel, in dem für das europäische Schicksal entscheidenden Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik zu einem möglichst engen Schulterschluss zu kommen."
    "Für mich ist klar, ein vereintes Europa ist auf Dauer ohne Gemeinsame Europäische Verteidigung nicht denkbar."
    Und auch das Drängen der USA auf mehr Eigenverantwortung beschäftigte einen Helmut Kohl in den 90er-Jahren so, wie es eine Angela Merkel heute beschäftigt: "Es geht darum, den europäischen Pfeiler auszubauen, wie es im Übrigen unsere amerikanischen Partner seit langen, langen Jahren verlangen."
    Und auch das war Helmut Kohl in Straßburg 1991. Der Kanzler der Einheit forcierte die Erweiterung der Europäischen Union.
    "Es ist jetzt schon klar, dass noch in diesem Jahrzehnt die Europäische Gemeinschaft weitere Erweiterungen erfahren wird, und dass jene, die in Deutschland davor gewarnt haben zur Süderweiterung "Ja" zu sagen, weil dadurch die Gemeinschaft "südlastig" würde, sich getäuscht haben."
    "Südlastig", weil Spanien und Portugal in den 80er-Jahren hinzugekommen waren. Jetzt sagte Kohl voraus, dass mit der Erweiterung Richtung Norden, Schweden, Finnland, Österreich und später Richtung Osteuropa, dieser Vorwurf der "Südlastigkeit" ausgehebelt werde.
    Ich lade alle ein, mitzutun
    An jenem Novembertag 1991 stand also ein Bundeskanzler am Rednerpult, der voller Zuversicht war. "Wer hätte von diesem rasanten und freiheitlichen Wandel des Kontinents zu träumen gewagt?", fragte Helmut Kohl, um dann mit einem Pathos, das viele seiner Reden in jener Zeit prägte, zu mahnen: "Ich hoffe, wir verlieren dabei die Fähigkeit zum Staunen und damit auch die Fähigkeit zur Dankbarkeit nicht."
    "Die Einladung der Geschichte ist für jedermann erkennbar. Ich möchte uns alle einladen, daran mitzutun."