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Mondmission ist "Hirngespinst"

Der Raumfahrtexperte der Grünen, Peter Hettlich, bezeichnet die Pläne für eine unbemannte Mondmission als "Hirngespinst" und "reines Wahlkampfgetöse". Für die zu erwartenden Investitionskosten von 1,5 Milliarden Euro gebe es keinerlei Deckung im Haushalt. Auch der wissenschaftliche Nutzen sei fraglich.

Peter Hettlich im Gespräch mit Gerd Breker | 13.08.2009
    Jochen Spengler: Der Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt und CDU-Politiker Peter Hintze hat gestern angeregt, eine deutsche Mission zum Mond mit Kommunikationssatelliten, automatischem Landesystem und mobilem Forschungsroboter zu planen. Die Kosten dafür bezifferte er auf 1,5 Milliarden Euro. Die Idee ist unter anderem bei der FDP auf positive Resonanz gestoßen.

    Mein Kollege Gerd Breker hat gestern Abend den Raumfahrtexperten der Grünen, Peter Hettlich, gefragt, ob die Raumfahrtpläne in diesen Krisenzeiten nicht ein überaus positives Zeichen sind.

    Peter Hettlich: Da kann man eigentlich nur staunen und kann sich eigentlich nur wundern, denn vor einem Jahr hat genau diese Bundesregierung das Projekt, was sie mal ursprünglich angedacht hatte, diesen sogenannten "Leo", eine deutsche Mondsonde, begraben, aus finanziellen Gründen. Und damals hat das Ding schlappe 500 Millionen Euro gekostet. Jetzt wird heute von etwa 1,5 Milliarden Euro Investitionskosten gesprochen. Da kann man sich eigentlich nur wundern, weil genau das Wirtschaftsministerium diese Sache eben halt gestrichen hatte.

    Gerd Breker: Können wir denn jetzt davon ausgehen, dass eine Kosten-Nutzen-Analyse für den Steuerzahler mit positivem Ausgang dem Wirtschaftsministerium vorliegt?

    Hettlich: Nein. Ich muss Ihnen auch ehrlich sagen, das ist nichts anderes als Wahlkampfgetöse von einem Staatssekretär, der gerade, was den Bereich Raumfahrtpolitik angeht, eine äußerst unglückliche Figur abgegeben hat, wenig Ahnung hat. Ich weiß nicht, wen man damit jetzt im Wahlkampf beeindrucken kann.

    Breker: Offen geblieben ist ja in den Äußerungen von Peter Hintze, wie denn die 1,5 Milliarden zu bezahlen sind. Er hat lediglich gesagt, wer fünf Milliarden Euro für die Abwrackprämie mobilisieren kann, der wird auch 1,5 Milliarden für die Technik der Zukunft aufbringen können.

    Hettlich: Das ist ja immerhin ein witziges Argument, dass er da selber irgendwie offensichtlich die Abwrackprämie auch ein bisschen kritisch mal beleuchtet, was wir als Grüne immer getan haben. Aber Tatsache ist halt einfach auch: Für diese 1,5 Milliarden, die da zu Buche stehen, gibt es überhaupt keinerlei Deckung, auch im Haushalt.

    Wenn ich mir anschaue, was im Haushalt jedes Jahr drin steckt, inklusive der ESA-Mittel, dann sind das etwa 500 Millionen Euro. Für nationale Programme sind es noch viel weniger. Das liegt irgendwo in der Größenordnung bei knapp 200 Millionen Euro. Wenn sie so ein Projekt planen, dann würden sie das ja über einen Zeitraum von fast zehn Jahren machen müssen, inklusive Unwägbarkeiten von Kostensteigerungen und so etwas. Ich halte das für ein echtes Hirngespinst und ich frage mich wirklich, was da an wissenschaftlichem Nutzen rauskommen soll, dass man so ein derart ambitioniertes Projekt anschiebt, und vor allen Dingen als nationaler Alleingang. Das ist mir völlig schleierhaft.

    Breker: Angeblich soll der Nutzen ja darin liegen, dass wir Antworten finden auf die Frage, woher wir kommen und wohin wir wollen. Das sollte uns doch was wert sein.

    Hettlich: Diese Frage stelle ich mir auch. Ich bin seit 40 Jahren Amateurastronom und der Mond ist das erste Objekt, was man sich als junger Mensch anschaut. Natürlich ist das faszinierend.

    Aber ich sage mal so: Auf diesem Weg diese Antworten zu finden, da sind schon andere Nationen unterwegs. Die Amerikaner sind aktuell gerade am Mond mit dem LRO und mit einer sogenannten Sonde LCROSS. Die Inder sind dort, die Chinesen waren dort, die Japaner waren dort. Und ich frage mich eigentlich, warum wir nicht als Deutsche im europäischen Kontext mit der ESA zusammen eine Mondmission entwickeln. Da hätte ich überhaupt nichts dagegen. Aber ich halte es für absolut albern, einen nationalen Alleingang hier zu starten. Wir stecken viel Geld auch in die ESA. Wir sind da häufig Projektführer und unsere Wissenschaftler können sich nicht beschweren, dass sie bei den ESA-Projekten irgendwie zu kurz kommen.

    Breker: Offenbar hat man mit der ESA und auch mit der NASA überhaupt noch nicht gesprochen.

    Hettlich: Ja, das habe ich mir schon gedacht. Das ist eben halt wie vor zwei Jahren, als das wie "Kai aus der Kiste" eben auf einmal hervorkam, dieses "Leo"-Projekt. Da wurde das ja schon mal kurz im "Bericht aus Berlin" diskutiert und dann auch mal kurz in einer Fragestunde, die ich dann initiiert hatte, dann auch mal damit abgekanzelt, dass man eigentlich gar nicht wüsste, wie man es finanzieren sollte.

    Es gibt aus meiner Sicht überhaupt keine Substanz dahinter. Es gibt ein paar Leute, die da drücken, der Herr Wörner, Professor Wörner vom DLR beispielsweise, aber natürlich vor allen Dingen die Raumfahrtindustrie, namentlich der einzige große Konzern, der hier eine Rolle spielt, EADS-Astrium. Die suchen natürlich nach neuen Aufträgen und da ist ihnen so eine Mondsonde recht.

    Breker: Aber der Mond als Ziel, das ist nicht nur nachvollziehbar, sondern auch sinnvoll?

    Hettlich: Ja, auf jeden Fall. Ich bin überhaupt nicht gegen unbemannte Satelliten-Missionen zum Mond, zum Mars, zur Venus, zum Merkur oder auch zu den äußeren Planeten. Ich denke auch, dass die Missionen, die wir bisher erlebt haben, übrigens auch häufig mit ganz wesentlicher deutscher Beteiligung, tolle Ergebnisse hergebracht haben und viele neue Erkenntnisse.

    Aber warum wir auf einmal jetzt zu so einem Wettlauf zum Mond wieder starten, dahinter steckt natürlich irgendwo "Europa will auch zum Mond fliegen, mit Menschen", das ist natürlich für mich irgendwie schleierhaft. Das sind auch Fantasien von Ingenieuren, die irgendwie noch nicht realisiert haben, dass eigentlich die ganzen Apollo-Missionen letztendlich eine sehr teuere Sache waren, aber relativ wenig Erkenntnisgewinn gebracht haben.

    Breker: Offenbar hat man den Mars im Blick.

    Hettlich: Ja. Das ist möglicherweise das, was dahinter steckt, dass man eine bemannte Marsmission macht. Sollte es diese Operation tatsächlich geben, dann wird sie, ich würde mal sagen, im dreistelligen Milliarden-Dollar-Bereich liegen und dann wird sie auf keinen Fall irgendwie im europäischen Kontext laufen, sondern wenn überhaupt international.

    Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Nach der Erfahrung mit der Internationalen Raumstation bin ich da skeptisch, ob sie mit 100 Milliarden oder 200 Milliarden US-Dollar beispielsweise überhaupt zum Mars und zurückkommen. Ich glaube, das ist eine Reise, die ist im Augenblick erst mal völlig in den Sternen geschrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, wo beispielsweise die Amerikaner, aber auch andere Länder das Geld auftreiben für so eine Mission, wo man sich auch wirklich fragen muss: Das Risiko für die Menschen, die dort hinfliegen, ist unkalkulierbar und der wissenschaftliche Nutzen eher zweifelhaft.

    Breker: Auf den Weg gebracht werden, Herr Hettlich, müsste dieses Programm ja sowieso von der nächsten Bundesregierung, gleich, wie die dann auch aussieht. Ist das jetzt ein Beitrag zum Wahlkampf, oder richtungsweisend?

    Hettlich: Nein, das ist ein wirklicher Beitrag zum Wahlkampf. Irgendwie könnte man schon fast darüber lachen. Das mutet wie ein Verzweiflungsschlag an. Ich weiß nicht, was der Bundesregierung sonst noch einfällt an wirklich epochalen Botschaften, die sie dem Volk in einer Wirtschafts- und Finanzkrise von historischem Ausmaß bringt.

    Ich kann Ihnen nur sagen, nach dem Jahr 2010, wenn die ganzen schönen Konjunkturprogramme ausgelaufen sind, dann wird hier in diesem Land ein Heulen und Zähneknirschen losgehen. Dann werden wir nämlich sehen, was alles gestrichen wird an Projekten: schöne Straßenprojekte und die schönen ambitionierten Infrastrukturprojekte. Dann kommen natürlich auch solche Projekte vom Finanzminister, ob der ein schwarzer, ein roter oder ein gelber Finanzminister ist, auf den Prüfstand und dann werden solche Projekte, die einen zweifelhaften wissenschaftlichen Nutzen und viel zu hohe Kosten haben, gekippt.

    Breker: Soll also von Problemen hier unten abgelenkt werden?

    Hettlich: Ich denke auch. Nur hat das wohl offensichtlich gar nicht funktioniert. Ich halte das für eine alberne Sache und ob das Herr Hintze jetzt tatsächlich vorangetrieben hat?

    Ich habe eben noch mal geguckt im Internet. Am 17. Juli, fast genau heute der Jahrestag, hat die Bundesregierung selber verkündet, dass sie deutsche Mondlandemissionen nicht mehr weiter verfolgt, und das hat das Wirtschaftsministerium - da ist Herr Hintze glückloser Staatssekretär jetzt vier Jahre gewesen - selber verkündet. Und ich frage mich, was eigentlich in dem letzten Jahr an neuen Erkenntnissen in der Bundesregierung dazugekommen ist, dass sie so ein Projekt noch mal auf die Beine stellen wollen - und dazu auch noch dreimal so teuer wie das Projekt, was sie damals schon nicht finanzieren konnten.

    Spengler: Das war der grüne Bundestagsabgeordnete Peter Hettlich im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker.