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Mondsüchtig

Ich heiße Bartomeu. Meine Mutter war einmal in einen Bartomeu verliebt. So beginnt der Roman der 1946 auf Mallorca geborenen Schriftstellerin, in dem dieser Bartomeu, von Freunden zärtlich Tomeva genannt, von seinem Leben und seiner großen Liebe erzählt. Und von seinem Scheitern. Denn wie ein roter Faden zieht sich der Versuch Bartomeus durch seine Geschichte, Joseph Conrads Roman "Lord Jim" auf eine ihm eigene Weise neu zu erzählen: die Geschichte des Schiffsoffiziers, der sich in die Welt seiner Abenteuer träumt und in dem Augenblick, wo sein Schiff zu sinken droht und beherztes Eingreifen notwendig wäre, kläglich versagt und auf den Boden der Tatsachen geholt wird. Doch Bartomeus Versuch scheitert. Scheitert er auf dem Gebiet der Literatur, auf der Metaebene, oder ist er auch im Leben ein Versager, wie Lord Jim?

Detlef Grumbach | 15.09.2003
    Ich habe den Roman von Joseph Conrad zwei Mal gelesen. Es ist zwar nicht mein Lieblingsroman, da gibt er’s andere, aber ich habe ja den Roman ja nicht ausgewählt, sondern Bartomeu. Und "Lord Jim" ist vor allem der Roman eines sehr einsamen Mannes, und deshalb passt er zu der Persönlichkeit Bartomeus. Die Einsamkeit des Helden war für mich das Entscheidende.

    Bartomeu, der wie ein Omen nach einer unglücklichen Liebe der Mutter genannte Junge, wächst in der Franco-Ära auf – und ist schwul. Er erzählt seine Geschichte mit Ende vierzig, nachdem Fabrizio, seine einzige große Liebe, an Aids gestorben ist. Auch er selbst ist mit dem HI-Virus infiziert. "Mondsüchtig" – so der Titel des Romans – ist als Hommage an die Freunde der Autorin entstanden, die ihre Liebe lange verstecken und um sie kämpfen mussten, die dann, kaum hatten sie sich gesellschaftlich mehr Freiheiten erstritten, von dieser tückischen Krankheit bedroht wurden. Doch erzählt der Roman nicht die Geschichte des Kampfes und des Leids, sondern rückt eher die Frage in den Mittelpunkt, wie die Figuren damit umgehen. Richten sie sich ein in ihrer Zweisamkeit oder konfrontieren sie ihre Umwelt mit ihrem Anderssein, lehnen sie sich auf gegen das Schicksal oder nehmen sie es hin. Und wie wird Bartomeu mit der Einsamkeit des Hinterbliebenen fertig, mit der Frage nach seiner Schuld, danach, ob er Fabrizio hätte retten können?

    Ich freue mich sehr, dass Sie das als Metapher verstanden haben, weil für mich Aids auch eine Metapher ist. Es ist einfach nur irgendeine Krankheit, eine Krankheit die auch in der ersten Welt todbringend war. Das ist sie hier so nicht mehr, auch wenn man sie noch nicht vollständig heilen kann. Aber die Krankheit dient mir dazu, den Schmerz eines Menschen im Angesicht seiner dieser Bedrohung zu beschreiben. Ich habe Aids ausgewählt, so wie ich auch Krebs oder einen Herzinfarkt hätte nehmen können. Und ich habe die Homosexualität und Aids gewählt, um generell über Liebe und Tod zu schreiben.

    Der Tod ist allgegenwärtig in dieser Liebesgeschichte, die Frage lautet nur, ob die beiden ihn, wie die meisten anderen Jüngeren oder auch Gleichaltrigen, vergessen können oder nicht. Kein Aids-Roman also, sondern – manchmal durchaus etwas spröde formuliert – ein philosophischer Versuch über die Absurdität, die Liebe und den Tod im Leben zusammen zu führen. Sie waren dreißig, als sie im Sommer 1989 einander vorgestellt wurden und sich verliebten, alles hätte perfekt sein können. Doch schon am ersten Abend eröffnet Fabrizio dem Freund, er habe "el sida". "La sida" korrigiert Bartomeu ihn, La sida heiße es im Katalanischen. Von ihrer ersten Begegnung an stehen hier zwei Lebensentwürfe einander gegenüber: Fabrizio räumt dem Tod einen Platz in seinem Leben ein, weigert sich, von den neuen Behandlungsmethoden zu profitieren. "Die einzige Krankheit, unter der er nicht litt, war die Verzweiflung", so heißt es über ihn. Bartomeu dagegen behandelt das Bedrohliche zunächst als Phänomen der Grammatik, schient es beiseite und stellt sich ihm später, wenn er selbst krank wird, mit aller Kraft entgegen. Aber wer von beiden ist wirklich der Stärkere? Maria-Antonia Oliver, die selbst an einer schweren Krankheit gelitten hat und die Arbeit an diesem Roman deshalb für vier Jahre unterbrechen musste, hält die Antwort auf diese Frage in beunruhigender Weise in der Schwebe.

    Ich weiß es auch nicht, wer der Stärkere von beiden ist. Ich freue mich, wenn der Leser sich darüber seine eigenen Gedanken macht und jeder Leser eine neue Lesart herausfindet. Das ist für mich das Wesen von Literatur, dass jeder Leser seine eigene Welt einbringt und den Text neu interpretiert.

    In Deutschland ist Maria-Antonia Oliver bislang als Frauen-Krimi-Autorin bekannt, wird gelegentlich mit Doris Gercke, Ingrid Noll und Christine Grän in einem Atemzug genannt, aber nur deshalb, weil bisher nur drei Krimis übersetzt waren: "Miese Kerle", Drei Männer" und "Mallorca, Mord inbegriffen". Aber über 15 Bücher verschiedener Genres hat sie in ihrer Heimat publiziert, in Katalonien, und das Katalanische ist auch die Sprache, in der sie schreibt. Dass sie in spanischer Sprache ein größeres Publikum erreichen könnte, für Kollegen durchaus ein Argument, nimmt die stolze Katalanin dabei gerne in Kauf:

    Ich schreibe auf Katalanisch, weil das meine Sprache ist, und weil ich in keiner anderen Sprache schreiben kann. Auf Katalanisch kann ich mich so ausdrücken, wie ich denke, wie ich fühle. Das kann ich in keiner anderen Sprache. Ich habe auch schon auf Spanisch geschrieben, wie viele Autorinnen und Autoren meiner Generation, aber das ist mir nicht gelungen. Diese Sprache habe ich nicht mit der Muttermilch aufgesogen, aufgesogen habe ich Katalanisch. Ich freue mich, dass meine Bücher ins Spanische übersetzt werden, aber das sind Übersetzungen wie ins Deutsche oder in andere Sprachen.