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Monique Schwitter
Eine Liebes-Recherche

Die in Zürich geborene Autorin Monique Schwitter hat mit "Eins im Andern" einen Roman vorgelegt, der es in sich hat. Trotz eines harmlos anmutenden Plots: Eine Frau, die Schriftstellerin ist, arbeitet an einem Roman. Sie will sich ablenken, googelt ein wenig und erfährt, dass einer ihrer früheren Geliebten verstorben ist.

Von Claudia Kramatschek | 22.09.2015
    Zwei Jugendliche laufen Hand in Hand durch eine Unterführung
    Monique Schwitter beschwört mit ihrem neuen Roman ein magisches Denken: Die Liebe ist nur zu verstehen als ein Kreislauf von Kommen und Gehen. (imago/Westend61)
    "Ich bin darauf vorbereitet, gar nichts zu finden und unbefriedigt abzubrechen. Auch mit Hinweisen auf eine Frau und Kinder rechne ich. Warum sollte nicht auch er inzwischen Familie haben? Sogar auf Fotos bin ich gefasst. Nicht aber darauf. Darauf nicht."
    Der Mann hat sich nämlich umgebracht - just zu der Zeit, als die Ich-Erzählerin ein Kind erwartet hat. Ausgelöst durch den Schock dieser Kontingenz beginnt die Ich-Erzählerin, sich an die Männer zu erinnern, die sie im Laufe ihres Lebens geliebt hat. Fortan übernimmt im Roman, den man in den Händen hält, das Leben die Regie über das Schreiben. Aus dem geplanten Buch über die Liebe wird eine persönliche Liebes-Recherche über die Männer und damit die Liebesarten, die der Ich-Erzählerin im Laufe ihres Lebens begegnet sind. Ist es Zufall, dass diese Ich-Erzählerin auffallend biografische Ähnlichkeiten mit der Autorin Monique Schwitter aufweist?
    "Dieses Googeln nach einem bestimmten Namen an einem Abend, an dem ich eigentlich eine kurze Pause machen wollte, also diese Erfahrung gab es tatsächlich. Ich maß der erst mal für meine Arbeit gar keine Bedeutung zu. Es war eher so, dass ich dachte: Och, weiß ich jetzt nicht, ob ich darauf reagieren muss. Das sind ja immer die Fragen: Welche Zwangsläufigkeiten nimmt man auf? Worauf geht man ein? Es gibt so viele Versuche des Lebens oder der Wirklichkeit, die so nach einem greifen beim Schreiben. Und es geht ja immer auch darum, das, was man an Form probiert, auch gegen diese Anfechtungen des Lebens und der Wirklichkeit sage ich jetzt mal zu verteidigen."
    Fakt und Fiktion
    Dem vermeintlichen Plauderton der Ich-Erzählerin sollte man deshalb nicht in die Falle gehen. Fakt und Fiktion überlagern sich nämlich mehrfach in diesem kunstvoll gewobenen Roman, der eines am wenigstens ist: eine persönliche Beichte. "Eins im Andern" ist vielmehr ein strenges Spiel mit der Form: Eingebettet in den Erzähldurchlauf eines Jahres und damit von zwölf Kapiteln, dekliniert Monique Schwitter die Frage durch, was das ist, die Liebe in all ihren Erscheinungen - und das wiederum anhand von zwölf fiktiven Männern, für die sie Anleihe bei den zwölf Aposteln nimmt. Petrus etwa heißt die erste Liebe, Philipp der Mann, mit dem sie inzwischen verheiratet ist.
    "Zwölf Namen, zwölf Männer. Einer nach dem anderen. Die Liebe kommt, die Liebe geht. Eins geht ins Andere über, eine Liebe in die andere. Oder bleibt sie immer dieselbe, bleibt sie sich treu? Ändern sich nur ihre Gefäße?"
    Wie ein Echo meint man, den 1. Brief an die Korinther zu hören: Und wenn ich der Liebe nicht hätte, so wär' ich ein Engel aus tönernem Erz. Und dann ist da noch das Cover des Romans, auf dem eine kitschige Schmerzensmadonna in Knallfarben prangt. Monique Schwitter:
    "Zum einen bin ich selber katholisch geprägt und hat die christliche Ikonografie für mich tatsächlich eine Bedeutung, seit ich als Kind unglaublich gerne in die Kirche bin und auch nach diesen Bildern und Geschichten gesucht habe, die sich mir eingeprägt haben und die mich wahrscheinlich ein Leben lang begleiten werden. Nur genauso intensiv, wie es diese Erfahrung damit gab, gab es auch die Erfahrung des Verlustes dieser Ikonografie. Aber es hat sich eine unglaubliche Faszination für Aberglauben in mir entwickelt, das war in meiner Jugend. Und um nun endlich auf diese zwölf zu kommen: Die spielt halt in beiden Bereichen eine Rolle, die ja in gewisser Weise auch unvereinbar sind. Also: Es gibt insofern eine große Faszination für die zwölf, seit Langem. Und für die Apostel sowieso. Denn die Apostel heißen ja Jünger. Und ich stelle diesen Begriff jetzt so heraus, weil ich das immer toll fand, als ich das gehört habe als Kind: die Jünger. Die hatten für mich immer so etwas ganz Lebendiges, Bewegliches, aus denen wird noch was. Die sind: jünger! Die sind: jünger als ich? Die sind: jünger als wir alle. Die werden erst noch jemand. Das fand ich immer toll. Überhaupt finde ich, als Autorin gesprochen, die Aufgabe, Männer zu erschaffen, eine große und gute Aufgabe. Und da waren sie mir sozusagen eine willkommene Vorlage."
    Der einzige Apostel, der im Reigen fehlt, ist Paulus. Den Roman prägt seine Figur trotzdem, durch und durch. Denn Monique Schwitter spannt ihren Liebesreigen bewusst zwischen den Polen von Liebe und Verrat auf - und beleuchtet, jenseits aller moralischen Wertungen, was das sein kann: Verrat und Treue im 21. Jahrhundert und damit im Zeitalter von Dating-Chatrooms und Patchworkfamilien.
    "Die Liebe, sagt Nathanael und macht eine lange Pause, in der er nicht atmet, hör mir auf damit! Wir stapfen im Regen durch den lichten Buxtehuder Wald und suchen das Grab seiner Mutter. Nathanaels Mutter ist nicht tot, nur dement, aber ihr Mann Achim plant bereits ihre Bestattung. Fairerweise muss man sagen, dass es dabei auch um seine eigene, ja sogar um die seiner Freundin Julika geht, denn sie alle sollen, das ist der Plan, zu Füßen desselben Baumes im Buxtehuder Forst begraben werden, wo Julikas Mann Fredi bereits ruht."
    Schwitter: "Ich fühle mich ja von der Liebe pausenlos aufgefordert, seit ich das erste Mal gehört habe, dass es sie geben soll, als Kind. Ich wusste ja gar nicht, was das sein soll. Und ich glaube, dass es nicht nur mir so ging. Was ist das und wann ist das da? Ich glaube ja nicht, dass man jemals in so einen Zustand kommt, wo man weiß, was das ist, sondern man wundert sich ja immer."
    Spannungsverhältnis zwischen Verrat und Treue
    Die Kunst des Romans besteht darin, wie Monique Schwitter das Spannungsverhältnis zwischen Verrat und Treue immer wieder in szenischen Verdichtungen ins Bild setzt: In der Episode rund um besagten Nathanael - ein schwuler Freund, der immer mal wieder den Sandmann für ihre Kinder spielt - wird die Ich-Erzählerin auf die Krise angesprochen, die sie in ihrer Ehe durchlebt. Ihr Mann hat sich nämlich als hoch verschuldeter Spieler erwiesen - und doch hält sie zu ihm, noch in der eigenen Not: "Hab fein Acht", so belehrt sie die anmaßende Nachbarin, mit den Worten des Sandmanns. Apropos Sandmann: Monique Schwitter streut nicht nur mit leichter Hand intertextuelle Anspielungen ein, so etwa auf das Undine-Motiv. Kunstvoll ist auch, wie der Roman, je weiter man sich seinem Ende nähert, sich einem ganz anderen Gegner als der Liebe stellt: und das ist der Tod. Denn der zwölfte Apostel trägt ein gänzlich unerwartetes Antlitz, auch für die Ich-Erzählerin.
    "Ich glaube, ich schreibe dem Tod entgegen, diesem unerträglichen Nichts. Das ist ein Gegner, der sich nicht stellt. Und deshalb muss ich immer wieder so etwas wie die Liebe dahin setzen. Die stellt sich erst mal auch nicht und die hat, wie wir wissen, viele oder gar kein Gesicht. Aber es ist einfacher, sich darüber zu nähern. Und im Übrigen glaube ich, dass sie auch miteinander zu tun haben, diese beiden Dinge: die Liebe und der Tod."
    Eins im andern, bedeutet also auch: Jeder Mann ersetzt nur den, der am Anfang stand, die Liebe in diesem Fall den Tod. Etwas kommt, weil etwas ging. Deshalb hieß der Roman ursprünglich auch "Buch vom Gehen"; deshalb geistert Becketts "Kommen und Gehen" leitmotivisch durch den Roman. Der thematisiert auf einer metafiktionalen Ebene zu seinem Ende hin auch zunehmend das Schreiben selbst. Denn Monique Schwitter beschwört mit "Eins im Andern" letztlich ein magisches Denken: Die Liebe ist nur zu verstehen als ein Kreislauf von Kommen und Gehen. Dieser Kreislauf aber ist nur in Leben verwandelbar durch das Schreiben als ein Akt der Liebe, der präsent macht, was abwesend ist.
    "Genau: Was ist da, was ist nicht da? Die Schrift als das, was wir sehen vor dem riesigen Meer der Abwesenheit Sind es die Buchstaben, die wir greifen können? Frage? Sind das Stellvertreter des Nichts? Oder des Etwas? Und was ist das dann? Ist das dann das Gegenteil von Nichts? Oder ist das ein Gruß aus dem Nichts? Dieses Nichts - und daraus treten diese Buchstaben. Aber dann auch wie so Rettungsfantasien: Ja, die Schrift ist doch eigentlich unsere Rettung!"
    Retten kann einen beispielsweise dieser so schwergewichtige wie herrlich leichtfüßige Roman. Mit diebischer Abgründigkeit flüstert auch er uns nämlich zu: Habt fein Acht, ich hab euch etwas mitgebracht.
    Monique Schwitter: "Eins im Andern", Roman, Droschl Verlag 2015, 232 Seiten, 19 Euro.