Dienstag, 23. April 2024

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Monolog an den Abtrünnigen

Christina Friedrich inszeniert hier nicht wie sonst auf der Bühne. Sie platziert ihre literarische Protagonistin im Gespräch mit einem Anderen und lässt sie monologisieren über das Ende ihrer Liebe. Ausschweifend, exzessiv. Das - kann - gut sein.

Rezensiert von Sabine Peters | 24.04.2009
    Die vielen coolen Alpha-Mädchen in der Literatur, die beim Vögeln rauchen und auch sonst weniger Liebe und Leidenschaft als Berechnung und Berechenbarkeit zeigen, können einen unendlich langweilen. Wo bleibt das Gefühl? Die Romantik? Wo bleibt das Pathos? Hatte Marie-Luise Kaschnitz recht, als sie in einer ihrer Erzählungen einmal schrieb, die Menschen würden kälter mit jeder Generation? Oder ist das letztlich nur der ewige Groll der Älteren über "die Jugend von heute", den man seit der Antike kennt?

    Die Schauspielregisseurin Christina Friedrich, die in Thüringen geboren wurde und an verschiedenen Theatern inszenierte, hat jetzt ihr literarisches Debüt vorgelegt, es heisst: "Morgen muss ich fort von hier". Die Sprecherin ihres Romans ist eine von Leidenschaft geschüttelte Frau, die ihren inneren Monolog an ihren Liebsten, ihren Betrüger, ihren Abtrünnigen, ihren Verflossenen richtet.

    Wenn man der Ansicht ist, dass coole Frauen oder Männer in der Literatur oft bestenfalls lau wirken, muss man natürlich umgekehrt fragen, was es mit heißblütigen, entfesselten, maßlos Liebenden auf sich hat. Also: Versteht man, was die Hauptfigur in Christina Friedrichs Roman von einer glücklichen Frau in eine ratlose, entmutigte, ängstliche, verzweifelte, rasende und dann apathische Gestalt verwandelt? Ist der Exzess, der in ihrem Roman ausbricht, für die Leser nachvollziehbar?

    Es gibt in diesem Buch keine klar gegliederte, chronologische Handlung, auch wenn am Schluss der endgültige Abschied steht, verbunden mit der Hoffnung, zur Ruhe zu kommen – Christina Friedrich hat ihren Text eher kreisförmig angelegt: Das weibliche Ich bewegt sich um eine leere Mitte, in der einmal das Glück, die Liebe stand. Man erfährt ein paar vage äußere Umstände: Mann und Frau sind beide berufstätig; die Frau hat aus einer früheren Beziehung eine Tochter. Als die Liebe kriselt, suchen Mann und Frau eine Therapeutin auf; aber die scheint auf Seiten des Mannes zu stehen. Der Mann geht fremd, schwört, die Affäre zu beenden und setzt sie fort. Das erfährt die Frau durch verräterische Zeichen, fremde Kleider, heimliche Telefonate und dergleichen. Härter noch trifft sie seine Unnahbarkeit; sie verliert ihren Stolz, sie durchlebt all die Stationen des Wartens, Hoffens, Enttäuschtwerdens, die Roland Barthes in seiner poetischen Studie "Fragmente einer Sprache der Liebe" gezeichnet hat.

    Christina Friedrich hat ihr Buch in der Form einer Anrede geschrieben. Die Rede an den abwesenden Anderen hat in der Form selbst – vom Ich zum Du - immer schon etwas Intimes, und die religiöse Literatur hat neben viel Kitschig-Erbaulichem große Beispiele für die einsame Rede eines Ich hervorgebracht, das sich an seinen Gott wendet. Bei Christina Friedrich wird der Leser zum Zeugen der gänzlich unzensierten, unwidersprochenen Suada der betrogenen Frau, die den vergötterten Mann entzaubert sieht; jetzt macht sie ihren Gefühlen Luft. Diese Gefühle sind selbstverständlich nicht nur Trauer, Angst, Verzweiflung, Entsagung, Verzicht. Die hier Sprechende ist oft kleinlich, engherzig, sie versucht, den Geliebten anders zu machen, als er ist, sie äußert Rachewünsche - und all das mögen keine "schönen und guten" Gefühle sein, aber "wahr" sind sie eben doch. Die Wut und Wehleidigkeit, die Reflexionsarmut und Egozentriertheit des weiblichen Ich sind daher nicht das Problem des Textes; um solche moralische Kategorien muss man sich hier nicht scheren. "Morgen muss ich fort von hier" ist ein Roman mit großen poetischen Ambitionen, und eben die werden zum ästhetischen Problem. Die Autorin hat ihr Buch vor allem in der zweiten Hälfte hoffnungslos überfrachtet. Es finden sich zwar einige Wortspiele, Bilder und Vergleiche, die einem in allem Pathos einleuchten, etwa, wenn sich das glückliche Paar in der Hoch-Zeit der Liebe buchstäblich als die Mitte der Erde wahrnimmt. Aber warum muss die Autorin wirklich alle Register ziehen? Mythen, Märchen, Sagen, Kirchenlieder und literarische Größen werden herbeizitiert beziehungsweise halluziniert. Auf einer Wanderung durch innere und äußere Landschaften begegnet die Frau der kleinen Meerjungfrau, weißen Wölfen, einer Eule, Karoline von Günderrode, den Heiligen Drei Königen, sie findet – horribile dictu - in einem Karton das von Maria und Joseph vergessene Neugeborene, von dem es heisst, es solle "uns" retten. Darüber hinaus identifiziert die Sprecherin sich und ihresgleichen mit den Botticelli-Frauen, Zitat, "in großen Muscheln stehen wir nackt, unser Haar mit Seerosen und Lilien geschmückt. Wir tanzen." Wundert es da noch, dass Frauen und Mädchen mit Blüten verwandt zu sein scheinen?

    Was verwundert, ist, dass Christina Friedrich unlängst die skandalträchtigen "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche in Halle inszeniert hat – aber vielleicht muss man einfach sagen: Die Extreme berühren sich, Körpersäfte und Seerosen, Muscheln in jeder Form, es ist alles, alles Natur und Kreatur. Verena Stefan ist für ihre Naturmetaphorik in dem Text "Häutungen" von 1975 seinerzeit auch innerhalb der Frauenbewegung scharf kritisiert worden, dabei lassen sich bei ihr durchaus auch emanzipatorische Elemente finden. Romane müssen davon nicht durchdrungen sein – sie sollen literarisch überzeugen, Punkt. Der Furor, den Christina Friedrich artikuliert, wirkt allzu oft unfreiwillig komisch, oder er mutet peinlich an. Das ist schade. Denn gerade ein heftiges Gefühl wie der Schmerz über das Verlassenwerden will sorgfältig gestaltet sein, diszipliniert noch in aller Ausschweifung und aller Rasanz.

    Christina Friedrich: Morgen muss ich fort von hier. Roman. C.H. Beck, 205 Seiten, 17,90