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Monolog des PC-Erfinders

Konrad Zuse erfand den Computer und die erste Programmiersprache. Kapital schlagen konnte der Deutsche daraus nicht - das taten andere - etwa ein gewisser Bill Gates. Ein real-fiktiver Monolog gibt Einblick in Zuses Genie und Frustration.

Von Ursula März | 12.08.2009
    Friedrich Christian Delius wurde 1943 als Sohn eines Pfarrers in Rom geboren, er lebt auch heute in Berlin und Rom. Seine Neigung zum Empirischen, zu dokumentarischen und historischen Stoffen deutet sich in seiner berühmt gewordenen germanistischen Promotion "Der Held und sein Wetter" bereits an.

    In seinem letzten Buch, 2006, schrieb er über seine Mutter, "Bildnis der Mutter als junge Frau". In seinem neuen Buch "Die Frau, für die ich den Computer erfand," erzählt er von einem Mann ebenfalls aus der Elterngeneration und ebenfalls eine authentische Figur.

    Konrad Zuse, 1910 in Berlin geboren, 1995 bei Fulda gestorben, war ein deutscher Bauingenieur, Erfinder und Unternehmer (Zuse KG, nach dem 2. Weltkrieg gegründet) und war der erste, der in Deutschland einen modernen, kommerziell verwertbaren Computer gebaut hat. Zuse hat die Methode der computergerechten Gleitkommazahlen auf Basis der Komponenten von Mantisse und Exponent theoretisch entwickelt und praktisch realisiert. Mit diesem Verfahren berechnet heute jeder Computer Gleitkommazahlen, vom Taschenrechner bis zum Cluster. Durch seine Spezifizierung der Programmiersprache "Plankalkül" entwarf er die erste universelle Programmiersprache der Welt. Er studierte an der TH Berlin-Charlottenburg erst Maschinenbau, dann Architektur und schließlich Bauingenieurwesen. 1935 schloss er sein Studium ab und arbeitete als Statiker bei den Henschel-Flugzeugwerken in Schönefeld.

    Nur ein Jahr später begann er selbstständig im leer geräumten Wohnzimmer der Eltern am Bau eines programmierbaren Rechners zu arbeiten. Da die Berechnungen der Flugstatik sehr monoton und mühselig waren, hatte er begonnen zu überlegen, ob und wie sie zu automatisieren wären. Kurzum: Der Computer wurde aus Faulheit und Überdruss am Öden heraus erfunden. Wie ja eigentlich alles.

    Während er den ersten Computer baute, wusste er, durch das NS-Regime und den Zweiten Weltkrieg international abgeschnitten, nichts von ähnlichen Forschungen in Amerika und denen Alan Turings in England.

    1969 schrieb er das Buch "Rechnender Raum", 1993 erschien "Der Computer - Mein Lebenswerk". 2003 wurde er im ZDF auf Platz 15 der bedeutendsten Deutschen gewählt.

    Albert Einstein, den Popstar der Geschichte der Naturwissenschaften, kennt jedes Kind. Aber wer kennt Konrad Zuse? Von zwölf Gebildeten werden sechs oder sieben antworten, sie wüssten, wer und wie herausragend der deutsche Bauingenieur, Erfinder und Unternehmer Konrad Zuse, geboren 1910, gestorben 1995, war. Die anderen könnten seinen Namen googeln, und wären seiner Lebensleistung damit schon ganz nah. Denn niemand anders als Konrad Zuse machte sich Mitte der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts im Wohnzimmer seiner Familie in der Kreuzberger Methfesselstraße daran, jenes Gerät zu erschaffen, mit dem wir heute schreiben, rechnen, mailen, chatten, surfen. Das Gerät namens Computer. Der Name stammt allerdings von der amerikanischen Konkurrenz.

    Damit ist auch schon Konrad Zuses Lebensdrama angedeutet. Denn der Mann, der am 12. Mai 1941 seine "Z 3", die erste digitale Rechenmaschine der Welt, vorführte, genauer gesagt: den ersten vollautomatischen in binärer Gleitkommarechnung arbeitenden Rechner mit Speicher und einer Zentralrecheneinheit aus Telefonrelais - dieser Mann, der auch die erste universelle Programmiersprache der Welt erfand und in einer Hitliste der wichtigsten Deutschen Platz 15 einnimmt, erlebte die Kränkung, in seinem Rang als epochaler Pionier verkannt zu werden. Er bereitete den Boden, auf dem Bill Gates sein Imperium errichten konnte. Und stritt nach 1945 fast drei Jahrzehnte mit Patentämtern und Gerichten. Noch 1967 entschied ein Gericht: "Eine patentwürdige Erfindung liegt nicht vor".

    Eine Jahrhundertfigur. Ein Mensch, in dessen Biografie sich Triumph und Debakel, Erfolge und Niederlagen, exzellente Persönlichkeit und historische Fatalität den Platz streitig machen. Dass Zuses Geschichte geschaffen ist für die Literatur, liegt auf der Hand. Dass Zuses Geschichte auf einen Schriftsteller wie F.C. Delius zuläuft, eigentlich auch. Delius ist spezialisiert auf die literarische Verarbeitung real-historischer Stoffe und zeitgeschichtlicher Figuren. In seinem ersten Roman "Ein Held der inneren Sicherheit" befasste er sich 1981 mit der Entführung Hanns Martin Schleyers, in "Mogadischu Fensterplatz" mit der Flugzeugentführung von 1977, sein erstes Theaterstück, "Waschtag", 1988, basiert auf Albert Speers "Spandauer Tagebuch", der Roman "Mein Jahr als Mörder", 2004, ist so halb fiktiv, halb dokumentarisch wie eigentlich jede literarische Arbeit des 1943 geborenen Schriftstellers. Er ist ein Archäologe deutscher Geschichte. Ein Autor, der sich für Recherchen so viel Zeit nimmt wie fürs Schreiben. Und F.C. Delius ist ein höflicher Erzähler, der seinen Figuren gern den Vortritt lässt.

    Im neuen Roman, "Die Frau, für die ich den Computer erfand", ist nur eine einzige Stimme zu hören, gibt es nur eine Auskunftsquelle, nur eine Figur, deren monologische Rollenprosa die Seiten füllt: Konrad Zuse selbst. In der Einseitigkeit dieser Form liegt der Reiz des Romans, aber auch das Risiko der Verengung. Die (fiktive) Bühne, auf der F.C. Delius den Erfinder Konrad Zuse als Berichterstatter seines Lebens auftreten lässt, ist so präzis umrissen wie leicht skurril: Eine Nacht lang, von abends sechs Uhr bis morgens sechs Uhr, antwortet der Erfinder Konrad Zuse den Fragen eines Journalisten, der im Roman nur als stumme Instanz anwesend ist. Es ist eine Vollmondnacht im Juli des Jahres 1994. Ein Gespräch bei Vollmond – das ist Zuses Bedingung. Schnell lernt man ihn als Charakter kennen, der dem Poetischen ebenso zuneigt wie dem Pedantischen. Als Mann von Größe, der sich für allerlei enervierende Kleinlichkeiten nicht zu schade ist. Je länger er spricht, je tiefer sich die Nacht neigt, desto lieber hört er sich sprechen. Man lauscht einem Genie, das sich bisweilen an den eigenen Onkelwitzen berauscht. Einem epochalen Wissenschaftler, in dem ein nicht unsympathischer, aber auch leicht penetranter deutscher Spießer steckt. Größten Wert legt dieser Konrad Zuse, wie F.C. Delius ihn sieht, auf das Faustische seiner Existenz. Immer wieder kommt er darauf zu sprechen, ob sein Zuhörer ihn in diesem Punkt auch richtig verstanden hat. Denn großen Wert legt Zuse auch auf das Sinn- und Deutungsmonopol seiner Lebensgeschichte. Ein Faust mit dem erhobenen Zeigefinger des Oberlehrers.

    Für einen sachlich schlanken Bericht seiner Abenteuer gibt sich Konrad Zuse nicht her. Der Fluss seiner chronologischen Erzählung wird gekräuselt mit Affekten verschiedener Richtungen und Windstärken: Stolz spricht aus dem Pionier, aber auch Kränkung, Triumphgefühl ebenso wie die Bescheidenheit des Handwerkermeisters, der nie anderes wollte, als in seiner Werkstatt tüchtig zu sein. Mal gibt sich Zuse dem Journalisten gegenüber besserwisserisch und zugeknöpft, mal erwartungsvoll zugänglich. Natürlich habe er in den Kriegsjahren auch an der Waffenproduktion des NS-Regimes mitgearbeitet, quittiert er die heikle Frage nach seinem politischen Überleben, er sei schließlich seit 1935 als Statiker bei den Henschel Flugzeugwerken in Schönefeld bei Berlin beschäftigt und im Übrigen ein richtiger Nazi so wenig gewesen wie ein richtiger Antinazi. Beides nicht, weil er neben der Leidenschaft für seine Rechenmaschinen einfach keine Zeit hatte. Der Zweite Weltkrieg war für ihn vor allem eins: der Feind seiner Erfindung. Die "Z3", die heute als erster funktionstüchtiger Computer der Welt gilt, als die erste Maschine, die den theoretischen Forschungen des Engländers Alan Turings (von dem Zuse nichts wusste) genügte, diese "Z3" wurde 1945 durch einen Bombenvolltreffer zerstört. Kurz darauf zerlegte Konrad Zuse das Nachfolgemodell, die teilweise vollendete "Z4", packte sie in Kisten und brachte sie mit einem Militär-LKW nach Süddeutschland. In einer Turnhalle in Hinterstein wurden die Kisten vor dem Zugriff der Alliierten versteckt. Zuse baute die "Z4" fertig, sie war der Grundstein seines Firmenunternehmens, in dem er bis 1967 insgesamt 251 Computer herstellte. In späteren Lebensjahren widmete sich Konrad Zuse einer anderen Leidenschaft, unter dem Pseudonym Kuno See schuf er abstrakte Bilder und Porträts berühmter Zeitgenossen.
    All dies ist fraglos höchst spannende Geschichte.

    Und doch leidet der Roman unter einem bisweilen ermüdenden Spannungsverlust - der nicht dem Autor Delius anzulasten ist, sondern dem redundanten Räsonnieren, Interpretieren, Poetisieren seines Redners. Wir haben es nun mal nicht mit einer konventionellen Biografie zu tun, sondern mit einem rhetorischen Selbstporträt. Auch auf die Frau, dem das Buch seinen Titel verdankt, kommt Zuse in rührender Selbstverliebtheit an jeder Ecke seines Monologs zu sprechen. Zu gut gefällt ihm die Idee der Kopf- oder Tagtraumliebe, die die virtuelle Parallelwelt, die mit dem Computer erfunden wurde, gleichsam vorwegnimmt. Denn die Frau, für die er den Computer erfand, war keine hübsche Berlinerin, keine Zeitgenossin Konrad Zuses, sondern die britische Mathematikerin Ada Lovelace, Tochter Lord Byrons, die von 1815 bis 1852 lebte, die mit ihren Kommentaren zur mechanischen Rechenmaschine als erste Programmiererin der Geschichte gilt. Mit ihr führte Konrad Zuse ein geistiges Liebesleben, ihr vertraute er sich an, wenn er Rat suchte und im Wohnzimmer der Eltern vom Morgengrauen bis Mitternacht sägte, rätselte und bastelte. Denn der junge Mann hatte nicht nur keine Zeit, Nazi oder Antinazi zu sein, er hatte auch keine Zeit, ein Fräulein in der Berliner Gesellschaft zu finden, das von Mathematik mehr als das Schulübliche verstanden hätte. Menschlich ist das alles gut zu verstehen. Das Menschliche indes wird vorgetragen von einem alten Mann, der erzählt, wie alte Menschen gern erzählen: im Maßstab der Bedeutung und Ausführlichkeit, die sie selbst ihren Erinnerungen beimessen. F.C. Delius hat einen Roman aus dem Mund eines alten Mannes verfasst und wurde eben diesem Maßstab gerecht. Wir hören Konrad Zuse, wie Delius ihn sprechen lässt. Ein gewisser Reduktionseffekt, eine Verschmälerung des gewaltigen literarischen Stoffes ergibt sich aus dieser übersubjektiven Form fast zwangsläufig.

    Friedrich Christian Delius: "Die Frau, für die ich den Computer erfand". Rowohlt Verlag 2009