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Monsterforscher
Ungeheuer sind Seismografen unserer Angst

Der Teufel, Frankenstein und Adolf Hitler: Grauenvolle Menschen und Figuren sind Teil unserer Geschichte. Buchautor Hubert Filser hat den Schrecken und die Faszination von Monstern untersucht. "Die Erfindungen beruhen auf unseren eigenen Ängsten", sagte Filser im Dlf. Sie seien Seismografen der Angst.

Hubert Filser im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 23.10.2017
    Der Clown Pennywise (Tim Curry) in einer Szene der Stephen-King-Verfilmung "Es" von 1990.
    Szene aus der Stephen-King-Verfilmung "Es" (1990): Das Böse in Gestalt des Clowns Pennywise (Tim Curry) terrorisiert eine Kleinstadt (imago / United Archives)
    Adalbert Siniawski: Am Wochenende trafen sich tausende Horrorfans zum Angstkongress - der ersten Fear Convention in Bonn. Von der Faszination rund um die Zombie-Serie "The Walking Dead" war vorhin schon die Rede. Und in den US-Kinos bricht die Neuverfilmung von Stephen Kings Horror-Geschichte "Es" Kassenrekorde. Das alles zeigt offenbar: "Menschen brauchen Monster". Auf diese Formel bringt der Wissenschaftsautor Hubert Filser das Phänomen. Ich habe ihn gefragt, wie er sich den großen Erfolg der Neuverfilmung von "Es" erklären kann.
    Filser: Na ja klar, das ist an sich eine tolle Geschichte, die da verfilmt wurde - zum zweiten Mal ja, wiederverfilmt. Das ist ja eine Figur, die wir ja eher so im Kindermilieu kennen, den Clown Pennywise, der Kinder begeistert, erheitert. Interessanterweise spüren dann als allererste auch die Kinder in diesem Film, dass irgendetwas mit dem nicht stimmt. Und diese leichte Abweichung von der Normalität, von dem, was man erwartet, was man sich erhofft - nämlich Kinder, die sich unterhalten lassen wollen, bespaßen lassen wollen - das ist das, was diese Unruhe in uns erzeugt. Und das ist ein sehr, sehr tiefgehendes Gefühl. Das dockt an unsere ältesten Ängste an. Und deswegen sind diese Figuren so wirkmächtig, so stark und irritieren uns nachhaltig.
    Wir haben noch länger mit Hubert Filser gesprochen - hören Sie hier Langfassung des Corsogesprächs
    Siniawski: Ein Prinzip ist die Ambivalenz, beschreiben Sie im Buch. Also dieser Horror-Clown ist auch so eine Art ambivalente Figur. Irgendwie vertraut und menschlich, aber innen doch unberechenbar und böse. Ist das so ein generelles Motiv für die Faszination Monster?
    Filser: Ja, absolut. Ich habe es ja ein bisschen schon angedeutet: Man erwartet etwas von ihm, was er dann nicht einlöst. Und diese enttäuschte Erwartungshaltung löst eigentlich die Unsicherheit bei uns aus. Also, das ist ein urzeitliches Phänomen letztlich, das wir uns immer auf unsere Umwelt, auf die Gefahren der Umwelt vorwiegend, einstellen wollen. Und wenn irgendetwas passiert, was wir so nicht gedacht haben - also, wenn eine Stimme anders ist, wenn ein Aussehen leicht abweicht, also wenn sich jemand, wie bei den Zombies etwa, komisch bewegt, also so schlurfend, langsam - dann kommt so ein Alarmsignal in uns hoch. Also: Pass auf, da ist irgendetwas, das könnte für dich gefährlich sein. In der Urzeit war das lebensgefährlich. Heute ist dieser Reflex übrig geblieben, sodass wir eben auch heute noch denken: Pass lieber auf, bevor da irgendetwas mit dir passiert, womit du nicht gerechnet hast.
    Wie funktioniert Angstlust?
    Siniawski: Und doch verspüren wir da doch so eine Art Lust. Psychologen erklären die Faszination der Gruselgeschichten mit dem Angst-Lust-Prinzip. Wie wirkt es?
    Filser: Indem wir die Angst überwinden und uns ihr stellen, es sorgt ja für so einen richtigen Adrenalinschub, machen wir auch eine Erfahrung. Und diese Erfahrung bedeutet: In der Überwindung dieser Angst haben wir etwas unglaublich Tolles geleistet. Und das erzeugt eben dieses Lust-Gefühl.
    Das gab es schon in der Antike, in den klassischen Dramen ist damit gearbeitet worden. Also dieser Katharsis-Effekt im Endeffekt. Also das ist etwas, was wir wissen, was wir suchen, was wir vor allen Dingen natürlich in einem gesicherten Ambiente suchen heutzutage, in der modernen Zivilisation, dass wir Bungee-Jumpen gehen oder eben in einen Horrorfilm gehen und dann wissen: Okay, da passiert uns nicht wirklich etwas, aber es könnte doch. Und aus dieser Möglichkeit resultiert eben diese Angst, die wir aber dann eben überwinden.
    Siniawski: "Wir brauchen Monster, um unseren verborgenen Ängsten eine Gestalt zu geben." Jetzt übertragen auf diesen Clown noch mal: Lernen wir daraus - quasi stellvertretend mit der Beschäftigung mit "Es" - unsere eigenen unberechenbaren Mitmenschen oder das Böse in uns zu besiegen?
    Hubert Filser
    Der Wissenschaftsjournalist Hubert Filser (© Peter von Felbert)
    Filser: Also, besiegen - das hängt von jedem Einzelnen ab, wie er damit umgeht. Also ich plädiere dafür, dass wir uns damit auseinandersetzen, dass wir uns diesen Ängsten stellen, dass wir uns die anschauen können. Und dafür ist ja dieser gesicherte Rahmen extrem wichtig. Also das Monster bietet uns die Möglichkeit, in Ruhe etwas anzugucken, was eh da ist. Also das sind ja keine Figuren … Also wir nehmen Monster ja heutzutage oft als Geschöpfe wahr, die so ein Eigenleben haben. Haben die in gewissem Sinne, aber letztlich sind es ja doch noch Erfindungen.
    Und wenn wir uns diese Eigenschaften dieser unser eigenen Erfindungen, die auf unseren inneren Ängsten beruhen, eben angucken, bearbeiten wir diese Ängste eben auch. Oder können sie zumindest bearbeiten. Das sind Unsicherheiten, das ist etwas … Es sind ja auch oft Dinge, die wir nicht bewusst wahrnehmen. Das ist eigentlich die große Quelle der Monster. Die Chance, die sie uns bieten, ist, dass sie uns etwas zeigen, was wir nicht wissen, sondern nur erahnen, spüren. Also ich nenne die Monster auch Seismografen, wie so ein Erdbebenmesser, wie so ein Angstmesser, kann man sagen.
    "Im Endeffekt sind ja wird die Monster"
    Siniawski: Genau. Und Sie nennen in Ihrem Buch vier Kategorien von Monstern: Da sind die inneren Monster, vielleicht ist es dieser Clown eben, das Böse in uns. Dann gibt es die Naturmonster, also das Monster von Loch Ness als Beispiel, und weitere. Zur Kategorie "innere Monster" zählen Sie nicht nur die fiktiven, sondern auch reale - etwa Selbstmordattentäter. Und an anderer Stelle schreiben Sie: "Das Monster Hitler hat sein böses Gesicht gezeigt." Ist es legitim, Adolf Hitler und Anis Amri, den Attentäter, neben King Kong und Frankenstein zu stellen?
    Filser: Ja, das ist an der Grenze dessen. Ich habe da auch viel überlegt, wie stark man die realen Personen mit fiktiven Figuren zusammenbringen kann. Ich habe mich jetzt für diese Variante entschieden. Das ist sicher zu diskutieren. Also für mich ist sozusagen das Entscheidende nicht die reale Figur dann in dem Moment, wenn ich mir den Anis Amri oder Hitler anschaue, sondern auch das, was darauf projiziert wird. Das ist sozusagen eine Verbindung aus realer Figur und Projektion.
    Siniawski: Weil: Man könnte ja schon denken, man verharmlost mit dem Label "Monster" eben diese Personen und schiebt dieses Phänomen von sich weg - das war ein Einzelfall, das kann uns nicht wieder passieren.
    Filser: Nein, das ist nie ein Einzelfall. Das schreibe ich auch im Buch. Also, im Endeffekt sind ja wir die Monster. Wir sind die, die die erschaffen. Wir sind die, die die erfunden haben. Aus uns heraus kommen die zu allen Zeiten, in allen Gesellschaften. Ich meine, das ist ja auch interessant, dass jede Gesellschaft, zu allen Zeiten, also seit die vor 40.000, 50.000 Jahren entstanden sind, solche Monster kennt. Das bedeutet: Das ist etwas, das mit uns wahnsinnig viel zu tun hat. Es sieht dann im ersten Moment so aus, als sei das etwas, was wir dann externalisiert haben, also wofür wir dann eine Figur gefunden haben. Und dann können wir uns die Figur in Ruhe anschauen und dann vergisst man irgendwann, gerade wenn es so schrecklich gruselig ist, dass das eigentlich etwas ist, was aus uns herausgekommen ist. Aber das ist für mich die Grundbedingung. Es ist immer etwas, was mit uns zu tun hat. Wenn man es vereinfacht sagen würde: Wir sind die Monster selber.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Hubert Filser: "Menschen brauchen Monster"
    Piper Verlag, 2017. München: 288 Seiten, 20 Euro.
    Cover des Buchs "Menschen brauchen Monster" von Hubert Filser
    "Menschen brauchen Monster" von Hubert Filser (Piper Verlag)