Dienstag, 23. April 2024

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Montgomery

Der Vormittag gehörte dem Geld, und die Idee des Geldes war für ihn an Reinlichkeit, Ordnung und Frieden geknüpft. Das Karussell des Geldes wollte jeden Morgen neu in Schwung gebracht werden. Hier durfte man nicht die Beherrschung verlieren oder sich über die kleinen Niederlagen, die der Geschäftsalltag mit sich brachte, entrüsten. Zorn, Erregung, impulsiver Tatendrang waren abträglich. Er begegnete dem Geld mit Geduld und Ehrerbietung, denen, die es zu vergeben hatten, mit fröhlicher Angriffslust. Geld, das war für ihn kein hartes oder gar peinliches Wort; in keiner der Sprachen, die er sprach, pflegte er es auf modische Weise zu veralbern.

Florian Felix Weyh | 23.03.2003
    Es sind derer zwei, die der römische Filmproduzent fließend beherrscht: Italienisch ohne jede regionale Färbung, fast wie aus Büchern erlernt, und ein weiches, melodiöses Deutsch. Wer ihm im Gespräch zuhört, vermag seine Abstammung zu erahnen: Der Liebhaber des Geldes ist ein Schwabe. Ein Stuttgarter Schwabe, um genau zu sein, das macht einen feinen Unterschied. Die Bewohner der Landeshauptstadt und vormaligen fürstlichen Residenz sind zwar nicht offen dünkelhaft gegenüber ihren Verwandten vom Lande, doch halten sie sich für die Hanseaten unter den Württembergern. Ehrbare, jeder Verschwendungssucht abgeneigte Kaufleute, auf die ein altertümliches Wort zutrifft: Der Stuttgarter Schwabe ist keinesfalls geizig, engstirnig oder borniert, sondern reell.

    Mit vierzehn Jahren hatte er in einem Schulaufsatz ein Selbstzeugnis von sich entwerfen müssen. Meine Brust und meine Oberarme könnten kräftiger sein, hatte es da geheißen, aber ich habe Beine, mit denen ich gut rennen kann. Mein Charakter ist im allgemeinen ruhig, manchmal habe ich mich aber leider nicht in der Gewalt. Ich hoffe, dass ich es noch schaffe, mich besser zu zügeln. Ich höre nicht hin, wenn man mich beleidigt, und kann gut ohne Freunde auskommen. Im Geist gelingt es mir leicht, mich über diese elende Erde zu erheben, und zwar ziemlich hoch über sie hinaus.

    Kontakte meiden, wegrennen, sich über die Wirklichkeit hinwegträumen? Das scheint weniger typisch für einen Fabrikantenenkel aus Stuttgart-Degerloch, der in einer Villa hoch über der Weinsteige aufwächst und die schlechte Luft des städtischen Talkessels nur von Einkaufstouren her kennt. Auch heute noch prägt eine solche Herkunft die Biographie, wie erst in den Jahren des Wirtschaftswunders, in denen unser Held aufwächst? Ein Knabe, der sich 1963 so abweichend selbst charakterisiert, muss unter einer gründlichen Verstörung leiden. Sie verdankt sich dem Vater - vielmehr dem, was der Vater seinem Sohne in einer plötzlichen Anwandlung zufügt: den Namen.

    Aus Begeisterung für den jungen Montgomery Clift in Red River, der dahergeritten kam auf der Leinwand des New Eden am Burgholzhof und ihm vormachte, wie sich ein kleiner schmächtiger Kerl wehrt, hatte er die für seinen zweiten Sohn vereinbarten Vornamen, Karl Eberhard Friedrich - Karl nach dem alten Stahl, Eberhard nach dessen Vater und Friedrich nach dem im ersten Weltkrieg gefallenen Bruder -, auf dem Standesamt fallen lassen und Montgomery dafür eingesetzt. Schwabenohren hörten in diesem Namen natürlich keinen anderen als den des Helden von El Alamein, der ihren geliebten und verehrten Rommel in die Knie gezwungen hatte. Für den alten Stahl, der sich um die Weitergabe des eigenen Vornamens geprellt sah und das zugunsten eines Namens, der ihm ständig die Schmach Rommels in Erinnerung brachte, war dies ein doppelter Affront.

    Wer in Stuttgart den Namen Montgomery Cassini-Stahl trägt und einen italienischen Taugenichts zum Vater hat - jedenfalls in den Augen der Umwelt -, dem blüht in der Schule wenig Gutes. Froh kann er sein, dass man ihn nur als "Blechle" verspottet, weil er auch körperlich dem schmächtigen Vater gleicht und dem trutzigen mütterlichen Nachnamen "Stahl" keine Ehre macht. Zwar ist er dem an den Rollstuhl gefesselten älteren Bruder Robert mit dessen verkrüppelten Beinen überlegen, aber was heißt das schon bei solch schwacher Konkurrenz? Die Außenseiterrolle bleibt unabstreifbar, zusätzlich zum falschen Namen wird Montgomery auch noch die lumpige Gesinnung des Vater nachgetragen. Der nämlich macht sich trotz eindeutiger materieller Vorteile, die ihm die Heirat mit einer schwäbischen Honoratiorentochter bringt, nach wenigen Ehejahren aus dem Staub. Die mediterrane Offenherzigkeit des italienischen Fotografen scheitert an der kühlen Distanziertheit der Degerlocher Fabrikantentochter. Dabei ist Flucht aus dem Neurosenheim der richtige Schritt, denn sein jüngerer Sohn, in den er einige Hoffnungen setzt, kann sich der Atem abschnürenden Atmosphäre nicht entziehen und entwickelt rasch Symptome der Zwanghaftigkeit.

    Eine andere Eigentümlichkeit, die ihm schon als Kleinkind angehangen hatte, war der Umstand, dass er kein Glas auch nur anrühren mochte, aus dem bereits ein anderer getrunken hatte. Die Blitzsauberkeit des Glases war für den Vierjährigen die Voraussetzung, um es überhaupt an den Mund zu führen. Auch das erschien dem Großvater übertrieben, ein prinzliches Gehabe, vollkommen widernatürlich, es rief bei ihm den ersten Weltkrieg auf den Plan, wo er mit seinen Kameraden im Dreck gelegen und aus Pfützen gesoffen hatte. Es entging ihm dabei der Witz, dass sein Enkel anstandslos aus einer Pfütze getrunken hätte, nur eben nicht aus einem beschmutzten Glas.

    Als Außenseiterin und mit einem Außenseiter, dem gründlich verrückten Herrn Pong, gewann Sibylle Lewitscharoff vor fünf Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis. Ihre metaphernselige und sprachverliebte Prosa betörte Jury, Literaturkritik und Publikum gleichermaßen. Ein großes, wenn auch spät zur Geltung gebrachtes Talent kündigte sich an. Beim "Höflichen Harald", einem nachgeschobenen Verlegenheitsprodukt, machte sich allerdings Ernüchterung breit, denn im Gespinst aus Sprache und intertextuellen Bezügen vermisste man den Bezug zur Wirklichkeit. Wuchs da nur eine Spezialistin für "sakralen Nonsense" heran, wie ein Kritiker argwöhnte? Lange arbeitete Sibylle Lewitscharoff am vorliegenden Roman, und das ist gut so. Ihre erzählerische Könnerschaft, ihr Faible für ausgestorbene Worte haben endlich ein vitales Thema gefunden und schweben nicht mehr im luftleeren Raum der Selbstreferenzialität. Auch Montgomery Cassini-Stahl ist ein Außenseiter, doch keine Kopfgeburt mehr wie Herr Pong oder der "Höfliche Harald". Mit dem unabweisbar unschwäbischen Familiennamen Lewitscharoff und dem Standesamtsvermerk "geboren in Stuttgart 1954" lässt sich die geistige Verwandtschaft zwischen der Autorin und ihrem Romanhelden nicht übersehen. Seine Beobachtungen sind ihre Erfahrungen, wenn er etwa über andere Außenseiter in der Schulklasse nachdenkt:

    Dann gab es noch die Söhne der Vertriebenen: Rudolph, Arnolt, Hermann. Sie hausten in einer Pappendeckelsiedlung und sprachen kein Schwäbisch. Ihre Mitschüler hatten sich die Abneigung der Eltern zu eigen gemacht und behandelten sie entsprechend. Angeblich hatte jeder Vertriebene ein Rittergut im Osten verloren, und nun wurden die Schwaben im Rahmen des Lastenausgleichs gezwungen, diesen Hochstaplern ihre Güter zu ersetzen. Schwerer wog, dass sie an der Niederlage Deutschlands schuld waren. Die Vertriebenen waren samt und sonders Nazis, neunundneunzigprozentige. In Stuttgart hingegen hatte es exakt zwei gegeben: Gauleiter Murr und Kultusminister Christian Mergenthaler. Alle übrigen waren widerwillig in die NSDAP eingetreten, weil man ihre Familien bedroht hatte. Die nationalsozialistische Ideologie passte nicht zu dem eigenbrötlerischen, freiheitsliebenden Charakter der Stuttgarter. Nach 1945 berief man sich auf jenen legendären Techniker vom Süddeutschen Rundfunk, der während einer Rede Hitlers 1933 das Übertragungskabel durchtrennt hatte. Alle Stuttgarter waren im Grunde solche heimlichen Kabeldurchtrenner. Sie hatten den Mann entweder persönlich gekannt oder standen in verwandtschaftlicher Beziehung zu ihm. Die Vertriebenen hatten nichts Entsprechendes vorzuweisen. Sie waren mit ihrem ewig gestrigen Aussatz behaftet und beklagten sich unaufhörlich.

    Giftige Worte zum Verhältnis zwischen Vertriebenen und ihren erzwungenen Gastgebern im Süden und Westen Deutschlands sind in der Nachkriegsliteratur selten geblieben. Früh schon, aber ohne größere Resonanz hat Arno Schmidt seine "Umsiedler"-Provokation gezündet, in jüngerer Zeit brachte Hans Ulrich Treichel das eigenartig tabubelastete Thema im Roman "Der Verlorene" zur Sprache. Eigenartig, weil es Millionen von Nachkommen der Vertriebenen gibt, die - so sollte man meinen - zwei Generationen später durchaus ein Recht hätten, die Frage nach dem damals so gefeierten "Lastenausgleich" neu zu stellen: War nicht der ärmste schwäbische Bauer, der in den boomenden siebziger Jahren seine Äcker als Bauland verkaufen konnte, jedem noch so reichhaltig entschädigten Rittergutsbesitzer aus dem Osten überlegen? Hatte nicht nur die östliche Hälfte Deutschlands den Krieg verloren, während der ländliche Südenwesten unbeschadet davonkam? Auch Sibylle Lewitscharoff umgeht die offene Konfrontation. Ihr Schwabenhass kommt literarisch entschärft daher und ruht auf den Schultern von Montgomery Cassini-Stahl. Aus dem schmächtigen Degerlocher Knaben wird ein berühmter römischer Filmproduzent. Wie alle Großmogule des Kinos trägt er ein ruinöses Lieblingsprojekt mit sich herum, das freilich entlarvende Züge besitzt. Er will die wirkliche, wahre und aufrichtige Geschichte von "Jud Süß" erzählen. Ein historischer Monumentalschinken, der ihn finanziell überfordert, aber eine Herzensangelegenheit darstellt. Veit Harlan hat aus dem Stoff den widerwärtigsten Propagandafilm des Dritten Reichs gemacht, während der schwäbische Italiener in Lewitscharoffs Roman im selben Stoff - reziprok angewandt - den Offenbarungseid alles Schwäbischen entdeckt. Jene Stuttgarter Honoratioren, denen er mütterlicherseits selbst abstammt, zeigen nämlich hinter der biederen Maske der Bürgerlichkeit ihre ungezügelte Niedertracht.

    Cassini ärgerte die Heimtücke, mit der sie zu Werk gegangen waren, noch nach zweihundertfünfzig Jahren. Allesamt Beutelschneider, die sich zu kurz gekommen wähnten, Kirchenratsmitglieder, pietistische Geheimräte, Oberhofrichter, Oberhofkanzler und gewöhnliche Schranzen. Ihre Gemeinheit war in den Gesichtern der Nachfahren am Leben. All diese Bilfinger-, Gaisberg-, Harpprecht-, Zech-, Röder-, Wallbrunn- und Schützgesichter mit ihrem säuerlichen Hass, sie waren zu besichtigen in der Tabakhandlung Gohl in der Epplestraße, beim Hundezüchter Haug in Hohenheim, bei den Lehrern Hitzacker und Spohn in der Albschule, beim Pfleiderer, sofern er selbst am Tresen stand, und bei den beiden Ramparter vom Baugeschäft Ramparter & Sohn.

    Nein, das wird man in Württemberg nicht gerne lesen, auch wenn es reine Literatur ist und einem keineswegs sympathischen Helden in den Mund gelegt wird. Montgomery Cassini-Stahl zählt zu jenen Romanfiguren, die dem Leser durch ihre exzentrische Skurrilität näher rücken, ohne dass sich je ein warmes Gefühl für sie einstellte. Dafür sorgt die Autorin schon zu Beginn des Buches, indem sie ihn zum kindlichen Mörder erklärt. Er habe, so die Unterstellung, als Neunjähriger den gelähmten Bruder ins Schwimmbecken gekippt und dort ertrinken lassen. Ganz unpsychologisch heißt es:

    Vermutlich erwuchs ihm aus dem Brudermord eine prekäre Art von Glück, weil er es schaffte, ihn gründlich zu vergessen.

    Aber das weist auf eine erzählerische Schwäche hin, bei der man sich nicht lange aufhalten sollte. Zu vier Fünfteln ist Sibylle Lewitscharoffs Roman "Montgomery" überaus gelungen. Dass ein ehemaliger Schulkamerad des Produzenten die vorliegende Biographie inklusive Brudermord aufgeschrieben und teilweise erfunden haben soll, mag für die Autorin im Schreibprozess notwendig gewesen sein, erweist sich jedoch für den Leser als vollkommen überflüssiger Kunstgriff. Distanz zum merkwürdigen Helden stellt sich auch ohne Rahmenhandlung ein, befremdende Szenen existieren reichlich, denn trotz aller lebensnahen Detailschilderung schwäbischer und römischer Lebensverhältnisse verweist der Roman unverkennbar auf ein literarisches Vorbild. Montgomery Cassini-Stahl hat einen berühmten Geistesverwandten und teilt mit ihm ein ganz besonderes Schicksal: die kontrollversessene Haushälterin. Wie in Elias Canettis "Blendung" die Wirtschafterin Therese den Sinologen Kien umgarnt, heiratet und schließlich in den Wahnsinn treibt, führt bei Montgomery Cassini-Stahl Pasqualina das häusliche Regiment. Und zwar in aller Radikalität.

    Natürlich kannte Pasqualina den Inhalt sämtlicher Schubladen. Sie kannte jedes Foto und las jeden Brief. Manchmal nahm sie seinen Pass aus der Schublade, steckte ihn in ihre Handtasche und trug ihn für die Nacht nach Hause. Wie oft nahm sie das Dokument in die Hand! Sein in Plastik eingeschreintes Foto zeigte ihn mit hohen runden Brauen und Augen, die schräg über sie hinwegschauten. Das schmale Ohr war an den Kopf geschmiegt. Eine tiefe Linie zog sich vom Nasenflügel zum Mundwinkel. Der Mund stand ein wenig offen und ließ einen Teil von der unteren Zahnreihe sehen. Er schien den Beamten, für die das Dokument ja bestimmt war, etwas Präzises mitzuteilen. Seine Stimme, die von schneidender Eigentümlichkeit war, konnte sie sich jederzeit in den Kopf holen.

    Peter Kien und Montgomery Cassini-Stahl haben einiges gemeinsam. Trivialpsychologische Klischees lassen sich auf sie nicht anwenden, ihr Wesen ist vom Autor gesetzt, nicht aus der Handlung abgeleitet, ihre Empfindsamkeit richtet sich nicht auf die äußere Welt, sondern nur auf sich selbst. Der hypochondrische Montgomery vermag Nahrung nur innerhalb eines streng abgezirkelten Tagesplans zu sich zu nehmen, körperliche Nähe ist ihm ein Graus, und dass er nach der vollzogenen Liebesnacht mit einer jungen Holländerin in einen Rausch der Sinnlichkeit gerät und dabei einem Herzinfarkt erliegt, unterstreicht posthum die Ungebührlichkeit derartigen Verlangens. Denn eigentlich stellt er sich, sehr zum Leidwesen Pasqualinas, taub und blind für weibliche Reize.

    Wäre ein Gott vom Gras aufgeschwebt, um ihn wissen zu lassen, dass die Frau in seiner Wohnung ihn bis zur Aufzehrung liebe und ihre Finger in allen seinen Sachen habe, er hätte die braunen Augen voll Verwunderung aufgeschlagen. Für gewöhnlich ein erstklassiger Menschenkenner, der jeden Zug eines Gegners wie ein Schachspieler vorausberechnen konnte, zog er vor manchen Menschen, insbesondere Frauen, wenn er nur die Spur einer Unmäßigkeit an ihnen witterte, seine Fühler vollkommen ein. In der Kunst der dienlichen Ignoranz hatte er es zum Meister gebracht.

    Schon Herr Pong, der erste Lewitscharoff-Held, wusste die Fehler der Frauen sorgsam zu wägen, und die Charakterisierung des weiblichen Romanpersonals - natürlich beschäftigt Montgomery Sekretärinnen und Assistentinnen - verweist kaum auf übermäßige Geschlechtersolidarität der Autorin mit ihren Geschöpfen. Ja, man kann durchaus verstehen, warum der von vielen Gebresten geplagte Filmproduzent die Augen sorgsam vor den Kümmernissen weiblicher Angestellter verschließt. Aus seiner Perspektive fordern sie ihm einen ungeheuren Kräfteverschleiß ab - sei es auch nur, weil er den von der Vorzimmerdame auf den Tisch gestellten Geburtstagsblumenstrauß samt Vase aus dem Fenster werfen muss. Spricht das nun für seelische Grausamkeit, oder könnte Montgomery nicht im Gegenteil erwarten, dass man seinen Geburtstag wie gewünscht ignoriert? Schließlich zählt es zu den Naturrechten der Exzentriker, sich allen sozialen Verbindlichkeiten entziehen zu dürfen. Auch mit ihrem dritten Buch signalisiert die Autorin Verständnis für derartiges Abweichlertum. Wer zwischen den Zeilen zu lesen vermag, kann trotz aller Distanzierungsversuche eine leise Sympathie für ihren Helden heraushören. In einem Punkt jedoch hat sich Sibylle Lewitscharoff von allem Exzentrischen verabschiedet: Sprachlich bewegt sie sich mittlerweile auf der Ebene ausgewogener Professionalität. Nicht jede am Wegesrand lauernde Metapher muss gepflückt und in den Strauß eingebunden werden - wie das der Rezensent unbotmäßigerweise gerade demonstriert -, nicht jedes erlesene Fundstück vergangener Epochen hat Anspruch auf Wiederbelebung. So glimmt ein "acharnierter Nazi" in diesem Text nur noch wie ein geheimnisvoller Solitär auf und verlangt den Besitz eines exzeptionell guten Fremdwörterlexikons. Der Duden verzeichnet den Begriff nicht, wiewohl das seltsame Adjektiv schon von Marx und Hofmannsthal verwendet wurde: Erbittert ist der Mann. Doch was immer man den Schwaben an Negativem nachsagen mag, als Forscher und Erfinder sind sie aus der deutschen Geschichte nicht wegzudenken - Ideenreichtum plus Dickköpfigkeit schafft wirtschaftliche Prosperität. Bei einem Manne wie dem Gärtner im Stuttgarter Haushalt der Stahl-Cassinis scheint freilich die insistierende Natur zu überwiegen:

    Regelmäßig machte er Eingaben an den Gemeinderat, empfahl darin die massenhafte Aussetzung von gezüchteten Würmern. Es schreie zum Himmel, wie der Boden mehr und mehr verhärte. Wie er sich dem Leben verschloss. Stundenlang konnte er darüber reden. Seine Eingaben pflegte er mit Gerhardt Gohl, Wurmvater von Württemberg, zu unterzeichnen. Beim Umgraben der Erde taten ihm die Knochen weh, aber er führte sein Leiden auf die Wurmarmut, nicht auf sein Alter zurück. Es kam vor dass er mitten in der Arbeit innehielt, um den Boden zu untersuchen. Vom Anblick der wurmlosen Erdbröckel, die durch seine schwieligen Hände fielen, wurde er schwermütig. Bei nassem Wetter arbeitete er grundsätzlich nicht, und so war es nicht verwunderlich, dass ihm so wenig Regenwürmer unterkamen.

    Ach, wäre doch jede Abrechnung mit der eigenen Herkunft - oder dem Landstrich, der einem zur Heimat wurde - so milde spöttisch wie in diesem Roman! Man kann nämlich in Schwaben leben ohne Schwabe zu sein - und all diese Gestalten wie den "Wurmvater von Württemberg" mit einem Schmunzeln an sich vorüberziehen lassen.