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Moralisches Gewissen der Bundesrepublik

Kein anderer deutscher Schriftsteller der Nachkriegszeit verkörperte derart das moralische Gewissen der Bundesrepublik wie Heinrich Böll. Als er 1972 den Nobelpreis für Literatur erhielt, galt diese Auszeichnung auch dem "Herzton" seines moralischen Engagements. Geboren wurde Heinrich Böll heute vor 90 Jahren in Köln.

Von Christian Linder | 21.12.2007
    "Gewalt, Zerstörung, Schmerz, Missverständnisse liegen auf dem Weg, den einer daherkommt, aus den Schichten vergangener Vergänglichkeit in eine vergängliche Gegenwart."

    Als Heinrich Böll sich 1972 für den Literaturnobelpreis bedankte, blickte er zurück auf seinen weiten Weg in die Bundesrepublik. Geboren am 21. Dezember 1917 in Köln, verspürte er schon früh den Wunsch zu schreiben und hat nach Ende des 2. Weltkriegs, den er als Soldat an verschiedenen Fronten erlebte, sofort damit begonnen.

    Sein Frühwerk - Kurzgeschichten, Erzählungen und Romane wie "Wanderer, kommst du nach Spa…", "Der Zug war pünktlich" oder "Das Brot der frühen Jahre" - besitzt eine regionale Authentizität. Das Rheinische und vor allem die Trümmerlandschaft des zerstörten Köln sind seine Themen. Sein Nachkriegsengagement hat Böll eingeleitet mit einem Bekenntnis zur Trümmerliteratur. Er brauchte bis zuletzt den Staub der Trümmer. Er hat selber ein schönes und überzeugendes Bild dafür gefunden: einer seiner Söhne schüttete Säcke mit Schutt auf seinem Schreibtisch aus. Dann fing Böll an zu schreiben.

    Der Zugang vieler Leser zu Böll war in den ersten Nachkriegsjahren die gemeinsame Erfahrung des Krieges, die Erfahrung von Hunger und Not und der Wichtigkeit der konkreten elementaren Lebensdinge wie Brot, Unterkunft und Zigaretten – es geht in diesen frühen Texten immer um eine Sakralisierung des Alltags.

    Zugleich lag die Spannung darin, dass natürlich auch Gegensätze schon da waren. Der Schwarzmarkt zum Beispiel: einerseits beschafften sich die Menschen das Reale, das sie zum Leben brauchten, andererseits war darin aber auch schon Spekulation und Geschäft. Dieses Doppelgesichtige, das die Fakten anzunehmen begannen – das hat ihn interessiert. In den 50er Jahren fasste Böll seinen Blick auf die Welt in den "Frankfurter Vorlesungen" dann auch in eine Theorie :

    "Was Heimat war, Wohnen, Nachbarschaft, die Menschlichkeit des Abfalls, das könnte deutlich werden an denen, die keine Heimat mehr haben, obwohl sie nicht vertrieben worden sind. Die Humanität eines Landes lässt sich daran erkennen, was in seinem Abfall landet ..."

    Dass sich Böll seit den frühen 50er Jahren nicht nur in sein Arbeitszimmer einschloss und Kurzgeschichten, Erzählungen und Romane wie "Ende einer Dienstfahrt", "Ansichten eines Clowns" oder "Gruppenbild mit Dame" schrieb, sondern mit Aufsätzen, Reportagen und Reden in die aktuellen politischen Diskussionen eingriff, hat zum großen Teil seinen Ruf als engagierter Schriftsteller begründet.

    Er hatte nie, wie viele andere seiner Kollegen, Berührungsangst mit dem Schmutz des Alltags. Nur so konnte er der große – auch umstrittene – gesellschaftskritische Autor der Nachkriegszeit werden:

    "Immer noch herrscht Misstrauen unter den Demonstrativ-Deutschen, als wäre die Kombination westlich und deutsch doch nur eine Täuschung der inzwischen unheilig gewordenen Nation. Wo doch gewiss sein müsste: Wenn dieses merkwürdige Land je so etwas wie ein Herz gehabt haben sollte, lag's da, wo der Rhein fließt."

    In Bonn, in großen prunkvollen Villen mit Rheinblick, spielt sein letzter, kurz nach seinem Tod am 16. Juli 1985 posthum erschienene Roman "Frauen vor Flusslandschaft". Eine dieser Frauen sitzt jeden Abend um acht am Rhein, wenn im Fernsehen die Tagesschau läuft. Sie ist – wie Böll selbst am Ende seines Lebens – all der öffentlichen Bilder und Informationen überdrüssig geworden:

    "Freiheit, Flaute, Flankenschutz für die Nato, Frohsinn, Feindseligkeiten, Moskau natürlich, Förderungen, Fußballerwaden, Fürstenhochzeiten. Zum Schluss dann die Feine, die Törichte, die Kultur, oder als lyrisches Finale ein tiefbesorgter Bankier, der um sein Frühstücksei zu bangen scheint. Nur das eine verkünden sie nicht: dass wir sterblich sind, vergänglich und zu Höherem bestimmt."