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Mormonen
Zwölf Stiernacken für die Toten

Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, besser bekannt als Mormonen, missionieren auch in Europa. Während des Kalten Krieges hatten sie es im Osten schwer. Nur in der DDR wurden sie geduldet. In den achtziger Jahren entstand im sächsischen Freiberg ein Tempel. Der wird nun erweitert, weil die Stadt im Erzgebirge zum Pilgerzentrum geworden ist.

Von Wolfram Nagel | 18.08.2016
    Der Freiberg-Tempel ist der 33. noch bestehende Tempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen).
    Freiberg-Tempel (Deutschlandradio / Wolfram Nagel)
    Golden glänzt der Engel Moroni auf dem schlanken Turm in der Sonne. Adrett gekleidete junge Männer und Frauen stehen für Erklärungen bereit. Missionare und Missionarinnen der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage", die in Freiberg Dienst tun, und Betreuerinnnen wie Schwester Fingerle, die aus Süddeutschland stammt: "Das ist eine sehr schöne Stadt, viel Geschichte und der Tempel ist nun die Krönung dazu."
    Ein paar Hundert Besucher halten sich auf dem parkartigen Gelände mit den sauber beschnittenen Kugelbäumen auf. Sie warten vor dem Informationszentrum, dem Gemeindehaus oder dem weißen Tempel-Gebäude auf die organisierte Führung. Manche waren schon 1985 hier, bevor das Mormonen-Heiligtum erstmals geweiht wurde.
    "Es ist sehr interessant auch für Außenstehende. Damals war' s was Mystisches. Ich war auch sehr jung damals. Und heute ist es Neugierde gewesen. Aber auch, ich bin beeindruckt so. Ja, ich bin selber gar nicht kirchlich und christlich, und hab mir gedacht, naja, guckst's halt mal an. Sie leben halt bewusster die Menschen, gefühlt, Alkohol weg, kein Rauchen, das merkt man halt schon."
    Auch der 54 Jahre alte Jens Schlegel kann sich gut an das Jahr 1985 erinnern, als 90.000 Besucher nach Freiberg gekommen waren, um den Tempel zu sehen. Der Handwerker wurde in die Mormonen-Kirche hinein geboren und arbeitet in einer kleinen Maler-Firma im Erzgebirge. "Da waren riesenlange Schlangen. Und die haben teilweise vier Stunden angestanden. Na ja, es war was Besonderes. Eine amerikanische Kirche, die einen Tempel in einem Ostblockstaat baut."
    Am 29. Juni 1985 meldete die Aktuelle Kamera im DDR-Fernsehen: "Ein Tempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage, der Mormonen, wurde heute in Freiberg eingeweiht. An dem feierlichen Akt nahmen der Stellvertreter des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Hermann Kalb, sowie Repräsentanten des Leitungsgremiums der Mutterkirche, die ihren Sitz in den USA hat, teil."
    Freiberg - eine starke Gemeinde
    Die Freiberger Mormonen-Gemeinde wurde 1896 gegründet, also vor genau 120 Jahren, nur wenige Jahre nach Gründung der Mutter-Kirche in den USA. Der 76 Jahre alte KFZ - Meister Frank Herbert Apel gehört seit Geburt dazu, wie seine vier Kinder und auch die Enkel und Urenkel. Für drei Jahre war Apel Präsident des Freiberg-Tempels, ein Ehrenamt auf Zeit. "1985 waren wir in Freiberg so 120, 110. Freiberg war schon immer eine starke Gemeinde, wie überhaupt die Kirche in der Südhälfte der DDR am stärksten war."
    Besonders im pietistisch geprägten Erzgebirge, dem sächsischen Biblebelt bis heute. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage ist stark auf Mission ausgerichtet. Alle jungen Männer müssen sich auf den Weg machen. Wohin, entscheidet die Kirchen-Zentrale in Salt Lake City.
    Zu DDR-Zeiten hatten die meisten der rund 4500 Kirchenmitglieder kaum die Möglichkeit, an Belehrungen in einem Tempel teilzunehmen, ihre Ehe für die Ewigkeit zu siegeln oder Verstorbene taufen zu lassen. Der nächste Tempel befand sich damals in der Schweiz. Besuchs-Anträge wurden von den Behörden meist abgelehnt, obwohl sich die Mormonen traditionell loyal zum Staat verhalten. Anfang der 1980er Jahre änderte sich dann die Kirchenpolitik. Davon profitierten auch die Mormonen. Der Freiberger Tempel war der erste in Deutschland und darüber hinaus in ganz Osteuropa.
    "Die Mormonen hatten in der DDR eine wohlgelittene Stellung vom Staat weil sie dem Staat gegenüber sehr aufgeschlossen sich gezeigt haben. Also Mormonen sind auch in der Regel drei Jahre zur Armee gegangen, es gibt viele Fälle, natürlich nicht alle, und so warn sie für die DDR die Vorzeigeorganisation, wo sie sagen können, kleine Religionsgemeinschaften werden bei uns nicht unterdrückt, sie haben ihre Freiheiten, sie dürfen sogar ihren Tempel bauen."
    Ein Fenster in den Westen
    Und für DDR-Bürger öffnete sich in Freiberg unerwartet ein Fenster in den Westen, so Harald Lamprecht. Der promovierte Weltanschauungsbeauftragte der sächsischen Landeskirche ist Experte für Sekten und religiöse Sondergemeinschaften in Ostdeutschland sagt: "Die Mormonen sind ja gewissermaßen die amerikanischste unter den christlichen Religions-gemeinschaften."
    Mit großem Wohlwollen befürwortete selbst Staats - und Parteichef Erich Honecker das Projekt. Der 1983 begonnene Tempelbau sollte zum Einen die Beziehungen der DDR-Regierung zu den USA verbessern helfen und gleichzeitig ein inneres Problem lösen, meint Jens Schlegel: "Der war der Kirche sehr wohlwollend gegenüber. Es kam ja auch von Seiten der Regierung: Warum ausreisen, warum irgendwo hin zu fahren. Dann doch den Tempel lieber hier zu bauen. Und der Staat hatte keine Angst mehr, dass jemand weg bleibt."
    Besucher vor dem Freiberg-Tempel.
    Besucher vor dem Freiberg-Tempel. (Deutschlandradio / Wolfram Nagel)
    Pilgerzentrum für Mormonen
    Heute kommen nicht nur viele neugierige Besucher aus Deutschland nach Freiberg sondern auch Kirchenmitglieder aus osteuropäischen Nachbarländern. Das Heiligtum wurde eine Art Pilgerzentrum für Mormonen. Deshalb musste es seit dem Mauerfall auch mehrmals erweitert werden, erklärt Kirchensprecher Frank Herbert Apel: "Zu jedem Tempel gehört ein bestimmter Tempelbezirk oder Distrikt. Zu uns gehören die Tschechen dazu, die Polen, die Ungarn, die Rumänen, und die kommen auch alle hierher. Und da war plötzlich der eine Belehrungsraum mit 40 Plätzen zu klein. Jetzt haben wir einen Zweiten und die Sieglungsräume sind vergrößert, alles ist etwas großzügiger."
    Auch nach der erneuten Weihe, die für den 4. September geplant ist, dürfen nur ausgewählte Kirchenmitglieder die Tempelräume betreten, beispielsweise den Taufraum mit dem von 12 Stiernacken getragenen Taufbecken für die Seelen der Verstorbenen.
    "Der Tempel ist für uns Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage der heiligste Ort, den wir auf Erden haben. Und wenn so ein Tempel geweiht ist, dann ist er nur zu betreten mit einem sog. Empfehlungsschein, der ausgestellt wir vom Bischof der Gemeinde, der für zwei Jahre gültig ist, und dann wieder erneuert wird, und sonst darf man nicht in den Tempel."
    Strenge Aufnahmebedingungen
    Seit Einweihung des Geländes am Freiberger Stadtrand hat sich die Zahl der Gemeindemitglieder fast verdoppelt. Doch angesichts der Missionsbemühungen in Ostdeutschland seit der deutschen Wiedervereinigung sei das nicht viel, meint Sektenforscher Lamprecht:
    "Es gab ja die Erwartung, daß nach der Wende nun der große Sektenboom los geht, wenn dieses religiös ausgedörrte Volk endlich endlich bewässert werden kann. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt, wobei man sagen muß, die Mormonen waren vorher schon da und sie sind immer noch da. Während andere Gruppen gekommen und wieder gegangen sind."
    Allerdings setzt die von der katholischen und evangelischen Amtskirche nicht als Kirche anerkannte Mormonen-Gemeinschaft auch strenge Bedingungen für eine Aufnahme.
    Jedes Mitglied lebe nach klaren Regeln, sagt Handwerksmeister Apel aus Freiberg im Erzgebirge:
    "Dass ich zum Beispiel bereit bin, das Wort der Weisheit zu halten. Wir trinken keinen Alkohol, keinen Bohnenkaffe, keinen schwarzen Tee, wir rauchen nicht, wir lieben auch nur eine Frau, um das noch mal zu betonen. Ich hab selbst viele Bekannte, die sagen, euere Philosophie, die gefällt mir, die ist herrlich, aber was ich alles machen muss, da lass ich' s lieber."