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Mosambik
Die Wahlen und die Gewalt im Norden

In Mosambiks nördlicher Provinz Cabo Delgado gibt es seit zwei Jahren regelmäßig tödliche Überfälle auf die örtliche Bevölkerung. Ein wichtiges Thema im aktuellen Wahlkampf. Am 15. Oktober wählt das Land einen neuen Präsidenten, ein Parlament sowie Provinzparlamente. Gefragt ist ein Rezept, um die Ruhe in Cabo Delgado wiederherzustellen.

Von Stefan Ehlert | 12.10.2019
Einwohner der mosambikanischen Stadt Mókimboa da Praia während eines Festes am 7. März 2018
Die Einwohner von Mocímboa da Praia hoffen auf ein Ende der Terrorangriffe. Die Stadt wurde vor 2 Jahren erstes Ziel einer Folge von Anschlägen, die bis heute andauern. (AFP/Adrien Barbier)
Alles begann am 5. Oktober vor zwei Jahren. Es gab Tote und Verletzte, als eine Gruppe junger Männer die Polizeistation in Mocímboa da Praia angriff. Das ist eine Hafenstadt im Norden von Mosambik, in der Provinz Cabo Delgado. Von der Hauptstadt Maputo aus ist man dorthin mit dem Auto bis zu 40 Stunden unterwegs. Die Provinz mit zweieinhalb Millionen Einwohnern gehört zu den ärmsten im ohnehin armen Mosambik. Die Strände gelten als die schönsten Ostafrikas, aber das Zeitalter des Computers und des Internets hat dort kaum begonnen.
Viele Angriffe werden nicht bekannt
Auch deshalb sind konkrete Informationen nur sporadisch zu bekommen, aber bekannt ist: Die Attacken hörten nicht mehr auf. Dem ersten Angriff folgten mindestens 100 weitere. Wer nur die veröffentlichten Zahlen zusammenrechnet, kommt auf rund 300 Opfer, doch das, sagt der mosambikanische Soziologe João Feijó, sei viel zu niedrig geschätzt:
"Diese Zahlen sind völlig unrealistisch, viele weitere Attacken werden ja gar nicht erst bekannt."
João Feijó gehört zu einer Reihe von Forschern, die begreifen wollen, was sich da zusammenbraut in Cabo Delgado.
Mosambiks Präsident Filipe Nyusi auf einem Wahlplakat vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019
Mosambiks Präsident Filipe Nyusi von der Regierungspartei Frelimo (Deutschlandradio/Stefan Ehlert)
Belastung im Wahlkampf
Die Krise belastet den Wahlkampf von Präsident Filipe Nyusi, denn der stammt aus Cabo Delgado. Doch sogar er konnte das Töten in der eigenen Heimat nicht beenden. Nyusi gibt sich gern als Mann des Dialogs, er bot den Angreifern sogar Verhandlungen an. Aber mit wem will er verhandeln? Und worüber? Es ist nicht bekannt, was die Täter wollen, sie haben keinen Anführer und auch noch kein Video mit ihren Forderungen ins Netz gestellt. In dieser Woche hat Präsident Nyusi mit Blick auf die Wahl am kommenden Dienstag pressewirksam eine regelrechte Armeeoffensive angekündigt - nicht die erste. Der Sprecher der Regierungspartei Mosambikanische Befreiungsfront Frelimo rechtfertigte den Schritt:
"Die Armee ist dort eingesetzt. Es ist richtig, Cabo Delgado ist eine strategisch wichtige Provinz im Moment, wegen des Rohstoffreichtums. Die Ressourcen dort haben wie üblich den Appetit der Verbrecher geweckt, und wir als Frelimo stehen mit der Regierung dafür, die Verbrecher mit allen Mitteln zu eliminieren."
Berichte über zivile Opfer
Cabo Delgado verfügt über eines der größten Gasvorkommen weltweit. Mosambik kann mit Milliardeninvestitionen rechnen und will mögliche Sicherheitsrisiken beseitigen. Das Land kooperiert mit den Briten in der Sache, zudem kursieren Gerüchte, Russland habe Kräfte und Material geschickt. Doch der Politikprofessor Adriano Nuvunga vom regierungskritischen Zentrum für Demokratie und Entwicklung CDD in Maputo meint, bislang habe die harte Gangart den Konflikt eher verschärft als beigelegt:
"Das war nicht die Ursache, aber die Art, wie die Sicherheitskräfte reagiert haben, hat zu der schwierigen Lage, zu diesem Bruch beigetragen."
Denn es gab auch Berichte über unschuldige Opfer dieser Militär-Interventionen. Viele Verdächtige, die vor Gericht gestellt wurden, erwiesen sich als unschuldig, oder ihnen konnte nichts nachgewiesen werden. Leider drang aus den Prozessen kaum etwas nach außen, was zur Aufklärung über die Täter beitragen könnte. Laut einer Studie des Instituts für Sozial-und Wirtschaftsforschung in Maputo gehören die jungen muslimischen Täter einer ethnischen Minderheit in der Provinz an.
Religion nicht der Auslöser
Man weiß aus Interviews mit Zeugen auch, dass die jungen Männer jahrelang von konservativen Predigern indoktriniert wurden. Aber, sagt Sheik Abdul Carimo Sau vom Rat der Muslime in Mosambik, mit dem Islam habe das Morden in Cabo Delgado nichts zu tun:
"Gar nichts. Die Religion des Islam gibt es dort seit mehr als tausend Jahren und wir hatten noch nie so einen Konflikt, warum sollte das jetzt damit zu tun haben?"
Schuld seien ausländische Kräfte, meint Sheik Carimo. Somalier, Tansanier und andere steckten hinter den Verbrechen. Tatsächlich nennen die Dörfler in Cabo Delgado ihre Peiniger Al-Shabaab - so heißen auch die Islamisten in Somalia. Doch der Zusammenhang ist nicht belegt, und so einfach sei die Krise nicht zu erklären, widerspricht Adriano Nuvunga von Zentrum für Demokratie und Entwicklung:
"In Cabo Delgado gibt es eine ganze Mischung von Ursachen. Den Staat gibt es da nicht, schon seit langem, deswegen konnte sich die Kriminalität ausbreiten."
Viele offene Fragen
Drogenschmuggel, Menschenschmuggel, der illegale Abbau von Rohstoffen wie Holz oder Rubine – für all das ist Cabo Delgado bekannt, und einflussreiche Kräfte des Establishments in Maputo sollen darin verwickelt sein. Kriminelle Geschäfte und Terror gehen fast immer Hand in Hand, ob in Nigeria mit Boko Haram oder bei den Jihadisten in Mali. Doch von Terror will noch niemand sprechen in Mosambik. Offiziell heißen die Angreifer im Norden "Aufständische", denn sie haben keinen Anführer und keine politische Agenda. Es ist noch nicht einmal bekannt, ob sie "Allahu Akbar" rufen, bevor sie Dörfer niederbrennen und Frauen vergewaltigen. Ist es eine Gruppe? Sind es zwei? Man weiß es nicht. Die Zahl der Militanten soll zwischen 300 und mehr als 1000 liegen. Präzise Erkenntnisse sind das nicht.
Arm trotz Rohstoffreichtum
Immerhin: Für Verbindungen zu international operierenden Terrorgruppen wie Al-Kaida oder Islamischer Staat liegen bislang keine Belege vor. Stattdessen gibt es jede Menge Gerüchte, zum Beispiel, dass private Sicherheitsfirmen den Konflikt schürten, um sich Aufträge der Öl- und Gasfirmen zu sichern. Der zu erwartende Reichtum, sagt der Soziologe João Feijó, sei natürlich auch den jungen Männern von Cabo Delgado nicht verborgen geblieben:
"Das hat Hoffnungen auf große Investitionen und tolle Perspektiven ausgelöst, aber die Erwartungen haben sich nicht erfüllt."
Arm, arbeitslos, perspektivlos und wütend seien viele der jungen Männer in der Provinz – das sei der eigentliche Nährboden für ihre Radikalisierung. Ein Risiko für die Investoren und das Milliardengeschäft mit dem Gas sieht er in ihren Attacken aber nicht:
"Das Risiko ist relativ. Die Angriffe richten sich ja nie gegen die Investoren, sondern nur gegen die armen Leute."