W. Riegel, P. Rühmkorf: "Zwischen den Kriegen"

Vom Bejahen des Endes und lyrischen Extravaganzen

05:28 Minuten
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Mit jedem neuen Abzug, jedem neuen Exemplar veränderte sich das Erscheinungsbild von "Zwischen den Kriegen". © Wallstein Verlag
Von Helmut Böttiger · 17.04.2020
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In einer kleinen Literaturzeitschrift konnte man Mitte der 50er-Jahre Peter Rühmkorf beim literarischen Wachsen zuschauen. "Zwischen den Kriegen" hieß sie und war eine Provokation. Nun nachgedruckt, ist sie noch immer eine aufregende Lektüre.
Die Zeitgeschichte kann lustige Volten schlagen. Anfang der 50er-Jahre erschien eine kleine, amateurhaft zusammengestoppelte Literaturzeitschrift abseits jeglicher Öffentlichkeit: mit 26 Nummern vom Dezember 1952 bis zum Januar 1956, in einer Auflage von 100 bis höchstens 150 Exemplaren.
Und heute druckt sie der fachwissenschaftlich hoch angesehene Wallstein Verlag skrupulös in Faksimile nach: als literaturgeschichtlichen Fund ersten Ranges, mit einer mustergültigen Kommentierung des Herausgebers Martin Kölbel.
"Zwischen den Kriegen" lautete ihr Name, und das war schon eine Provokation: mitten in die Verdrängung des von den Nationalsozialisten begonnenen Zweiten Weltkriegs, in die aufs Wirtschaftswunder hinfiebernde restaurative Bundesrepublik hinein.

Genese eines der bedeutendsten Dichter nach 1945

Herausgegeben wurde das Heft von dem früh verstorbenen Werner Riegel und seinem Freund Peter Rühmkorf. Das macht die Lektüre des Bandes so aufregend. Man erlebt hier die Genese eines der bedeutendsten Dichter nach 1945 hautnah mit.
Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Schülerzeitung: Die abgetippten Seiten der jeweiligen Nummern wurden mit einer Matrize vervielfältigt. Mit jedem neuen Abzug, jedem neuen Exemplar veränderte sich das Erscheinungsbild, es gab schräg bedruckte Seiten und Heftungsfehler. Das Cover, für das verschiedene Grafiker Linolschnitte herstellten, musste dabei besonders behandelt werden.
Riegel, 1925 geboren, und Rühmkorf, 1929 geboren, meinten es ernst. Im Editorial des ersten Heftes taucht bereits fünfmal die entscheidende Haltung auf, markiert durch das Wort "gegen".
Der Untertitel der Zeitschrift wurde bald von "Blätter in die Zeit" zu "Blätter gegen die Zeit" geändert. Das war gedacht als radikale Gegenbewegung zu Stefan Georges "Blätter für die Kunst", die in den 50er-Jahren für viele relevante Wortführer immer noch der Maßstab für die elitäre Kultur eines hohen deutschen Geistes waren.

Als der Finismus erfunden wurde

Rühmkorf war unter dem später berühmt gewordenen Pseudonym "Leslie Meier" für "lyrische Extravaganzen" zuständig, der große Außenseiter Hans Henny Jahnn war immerhin mit zwei Beiträgen vertreten, und im Februar 1953 wurde mit epochalem Aplomb der sogenannte "Finismus" erfunden: "Finismus ist kein Negativismus. Er verneint nicht, er bejaht das Ende."
Das knüpfte erkennbar an die von den Nazis gekappte Tradition des Expressionismus an - und es gab denn auch Sonderhefte zu Carl Einstein und Jakob van Hoddis. Spannend ist die Ambivalenz, mit der sich Rühmkorf an seinem großen Vorbild Gottfried Benn abarbeitet. In Nummer 22 findet sich ein höchst aufschlussreicher Essay von ihm darüber unter dem Titel "Faszination und Gefahr".
"Zwischen den Kriegen" war die Basis für eine aufregende bundesdeutsche Mediengeschichte. Rühmkorfs Freund Klaus Rainer Röhl, der anfangs auch mitgemischt hatte, aber weniger literarisch dachte, gründete 1955 den "Studenten-Kurier", der 1957 als "konkret" weitergeführt wurde und zum wichtigsten Sprachrohr im Vorfeld der 68er-Bewegung wurde.
Auch dort mischte Rühmkorf natürlich mit - unberechenbar und nicht zu fassen.

Werner Riegel und Peter Rühmkorf: "Zwischen den Kriegen. Blätter gegen die Zeit. Eine Zeitschrift"
Herausgegeben von Martin Kölbel
Wallstein Verlag, Göttingen 2020
626 Seiten, 50 Euro

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