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Moskauer Künstler gegen Putin

Am 11. Dezember gingen in Russland tausende Bürger auf die Straßen, um friedlich gegen dreiste Wahlfälschung zu protestieren. Allein in Moskau waren es mehr als 50.000 meist junger Menschen, darunter viele Kulturschaffende. Sie haben die Nase voll von "gelenkter Demokratie".

Von Anastasia Boutsko | 18.12.2011
    "Es ist total beleidigend, für dumm gehalten zu werden."

    Meint Sofia Musalevskaja. Dies sei die allererste Demonstration in ihrem Leben gewesen, sagt die Moskauer Kunststudentin, die ungefähr so alt ist wie die russische "Perestrojka". "Ich habe diese Halunken nicht gewählt", steht auf ihrem selbst gemalten Plakat unter dem Logo der Putin-Partei "Einiges Russland". "Ich habe diese Halunken gewählt" - es folgen Zeichen anderer Parteien. Sonst sind Sofias Passionen Tanzen und Reisen. Als Grafikdesignerin verdient sie in einer Werbeagentur recht gutes Geld.

    "Es ist kein Aufstand der Hungrigen. Das ist ein Aufstand der Satten."

    Meint der berühmte Fernsehjournalist und Filmer Leonid Parfenov.

    "Diesen Menschen geht es gut. Sie können sich teure Kleidung und Smartphones leisten. Aber: Die haben plötzlich festgestellt, das sie keine Freiheit haben."

    Der Stimmungsumschwung kam wirklich überraschend. Bei den letzten Parlamentswahlen vor vier Jahren hatte sich kaum jemand geregt, obwohl die Fälschungen noch viel krasser waren. Auch die Inthronisation von Dmitri Medwedew löste nur im Netz eine Welle von Sarkasmus aus. Was ist geschehen?

    Eine neue Generation selbstbewusster junger Bürgern ist herangewachsen, die auf gar keinen Fall die nächsten zwölf Jahre ihres jungen Lebens unter Putin verbringen wollen. Sie sind intelligent und weltoffen, viele sind in der Kreativbranche tätig. Sie haben die Nase voll von Korruption, Lüge und "gelenkter Demokratie", vor allem aber - von Entmündigung durch Leute mit Feldwebelgehabe. Putin ist nicht cool - er ist bieder. In seinem letzten "Fernsehgespräch mit dem Volk" am vergangenen Donnerstag verglich er die weißen Bändchen - Erkennungszeichen der Demonstranten - mit Kondomen; die Protestler nannte er "Banderlogen" - so heißen die unangenehm nervigen Affen aus Rudyard Kiplings "Mowgli". Das war eine Kriegserklärung. Nun nennt sich das halbe russische Internet "Banderlogen".

    Übrigens kümmert sich auch Putin um Unterstützung durch Kulturschaffende. Während seinem vierstündigen "Volks-Talk" saßen die Kreml-Nahen - etwa der Chef-Dirigent des Landes Valery Gergiev oder der Filmfürst Nikita Mikhalkov - im Publikum und machten wichtige Gesichter.

    "Zu sagen, Putin ist an allem schuld, ist aber dumm. Genau so dumm wie die Behauptung, Putin wäre unser alles" und alternativlos"."

    Meint die kluge "Grand Dame" der russischen Literaturszene Tatjana Tolstaja.

    ""Revolution ist sinnlos. Keine Revolution hat unserem Lande je was Gutes gebracht. Was wir brauchen, ist eine Evolution ohne krummen Rücken. Das System Russland ist sehr kompliziert, wie ein Fingerabdruck: der wächst immer wieder nach. So was kannst du nicht mit einem romantischen Gefühlsausbruch verändern."

    Warnt die Schriftstellerin.

    "Ich gehe zu keinen Meetings."

    Bekennt Pavel Pepperstejn, einer der Künstler, die bei der letzten Biennale in Venedig im russischen Pavillon zu sehen waren.

    "Die Situation ist komplett faul, wir befinden uns zwischen Szylla und Charybdis."

    "Es gibt momentan keinen, dem wir mündige Bürger folgen würden, und das ist das größte Problem."

    Meint der Schriftsteller und Publizist Andrej Loschak.

    "So kann ich nicht ausschließen, dass es nur so ein spontaner Ausbruch bleibt, der sich schon in den Weihnachtsferien auflöst."

    Aber für den 24. Dezember ist ein Großdemonstration angekündigt. Mindestens in Moskau.

    "Und in Russland ist es nun mal so: alles fängt in Moskau an!"

    Meint Boris Akunin, der populärste Autor historischer Detektivromane. Er arbeitet im Unruhestand in Südfrankreich an seinem neuen Buch, ist aber Hals über Kopf nach Hause zurückgekehrt und verbringt nun den trüben Dezember in Moskau. Es bleibt spannend.