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Motivaufnahmeleiter
Die gute Fee am Set

Was macht eigentlich ein Motivaufnahmeleiter? Philip Gritzka weiß es, denn beim Film ist es sein Job. Er bereitet den Drehort vor und sorgt dafür, dass man dort auch filmen kann. Ein vielfältiger Beruf, der im Idealfall unsichtbar bleibt: "Wenn alles gut läuft, dann bemerkt niemand, dass man seine Arbeit getan hat."

Philip Gritzka im Corso-Gespräch mit Änne Seidel | 11.08.2015
    Eine Filmklappe, wie sie bei Dreharbeiten verwendet wird.
    Im Ostseebad Rostock-Warnemünde (Mecklenburg-Vorpommern) wird am 03.02.2015 an einer neuen Folge "Polizeiruf 110" gearbeitet (picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck)
    Änne Seidel: Philip Gritzka, Motivaufnahmeleiter. Ich nehme mal an, nur die wenigsten wissen, was genau sich hinter dieser Berufsbezeichnung verbirgt. Ich weiß schon mal, dass es zu Ihren Aufgaben gehört, Briefe an die Anwohner eines Drehortes zu schreiben, in denen Sie ihnen androhen, ihre Autos abzuschleppen zu lassen. Aber das ist nicht alles.
    Philip Gritzka: Ich würde zumindest sagen, es ist eher die freundliche Aufforderung, die Autos wegzuparken, damit wir sie nicht abschleppen lassen. Aber ich denke mal, das ist auch immer Frage der Perspektive darauf. Ja, der Motivaufnahmeleiter ist ein Berufszweig innerhalb der Filmwelt, den es noch gar nicht so lange gibt und den viele auch fälschlicherweise mit dem Job des Location-Scouts verwechseln.
    Location-Scout ist der, der im Vorfeld, im Auftrag des Szenenbilds und der Regie, Drehorte sucht. Ich hingegen komme dann erst, wenn der Drehort ausgesucht wurde, dann komme ich und sorge dafür, dass die Logistik bis zum Drehtag gegeben ist.
    Seidel: Das heißt, Sie sind gar nicht nur der böse Briefeschreiber, sondern letztendlich auch so etwas wie die gute Fee am Set, die dafür sorgt, dass immer alles an Ort und Stelle steht.
    Gritzka: Auch das wiederum ist eine Frage der Perspektive. Wie viele produktionelle Jobs ist mein Job eher einer von denen, die erst auffallen, wenn man Fehler macht. Wenn alles gut läuft, dann bemerkt auch niemand, dass man da ist und dass man seine Arbeit getan hat. Nur wenn es dann schiefläuft, wenn dann zum Beispiel Parkplätze fehlen, wenn eine Sperrung nicht rechtzeitig beantragt wurde, oder wenn - wofür man selten was kann - plötzlich eine Baustelle neben dem Motiv aufgemacht wird und die Bohrmaschine allen Ton übertüncht, dann ist das Geschrei plötzlich groß und dann weiß man auch, dass ein Motivaufnahmeleiter ganz, ganz schnell vor Ort sein sollte.
    Deutschland ist Filmland
    Seidel: Sie haben gerade schon gesagt, dieser Beruf des Motivaufnahmeleiters ist noch ein relativ junger Beruf, zumindest bei deutschen Produktionsfirmen. Warum ist er denn entstanden?
    Gritzka: Weil sich das Filmgeschäft in Deutschland in den letzten Jahren auch zunehmend professionalisiert hat. Es gibt immer mehr ausgebildete Filmschaffende, zumindest in den kreativen Berufen und in der Produktion selbst. Hinzu kommt, dass sich die Technik professionalisiert und die Ansprüche an sich steigen auch. Jetzt würde man vielleicht denken, dass die Technik, die immer digitaler wird, immer kleiner, dass dann auch Filmteams mobiler werden. Nein, das Gegenteil ist der Fall, wie ich in letzter Zeit aus Erfahrungen schließen musste.
    Zwar wird die Technik kleiner, aber: Wir drehen jetzt digital, wir sind nicht mehr auf Filmmaterial angewiesen, das verbraucht werden kann. Man kann so viel drehen, wie man will, also versucht man auch, für jede Gelegenheit gewappnet zu sein, und hat kistenweise Technik dabei.
    Wo man früher mit vielleicht 60 Metern Fuhrpark auskam, also ein Lkw für Licht und alles andere noch mal auf zwei, drei, vier Wagen verteilt, kommt man inzwischen mit einem Fuhrpark von 20 Lkw an, wenn es hochkommt, um einen Film zu drehen. Und das muss halt auch entsprechend vorbereitet werden.
    Seidel: Wenn Sie jetzt ein neues Filmprojekt angehen, der Regisseur hat Ihnen mitgeteilt, wo er gerne drehen möchte. Was tun Sie dann als Allererstes?
    Gritzka: Normalerweise tief durchatmen. Jedes Projekt stellt andere Anforderungen, je nachdem, wo man dreht. Also manche Projekte drehen grundsätzlich bei Nacht, auf der Straße, mitten im Wohngebiet, unter der Woche. Was natürlich heißt: Man hat sehr viel mit Genehmigungen zu tun. Also sollte man schnell mit der Stadt sprechen und horchen: Lassen sich diese Dreharbeiten hier durchführen? Man sollte mit den Anwohnern sprechen und die vorbereiten, dass deren Nachtruhe für die kommenden Wochen durchaus beeinträchtigt sein könnte, und versuchen, da Kompromisse zu finden.
    Seidel: Ich nehme an, die Anwohner sind dann auch nicht unbedingt immer so begeistert, wenn da so ein großes Filmteam einfällt.
    Gritzka: Nein, und gerade in Köln, wo wir uns ja gerade befinden, leider Gottes nicht. Köln ist eine kleine, enge Stadt, in der unendlich viel gedreht wird, wie es mir scheint. Also man kann kaum um eine Ecke biegen, ohne dass man wieder einen Filmfuhrpark stehen sieht oder wieder eine Straße gesperrt ist. Und das geht natürlich sehr zum Leidwesen fast aller Anwohner. Das geht auch zu meinem Leidwesen. Wenn ich abends nach Hause komme, nach einem langen Arbeitstag und plötzlich ist die Straße gesperrt und ich komme nicht rum, obwohl ich genau dasselbe mache und das meine Arbeit ist, dann rege ich mich trotzdem auf, dass ich vier, fünf Minuten warten muss. Deswegen kann ich es auch niemand anderem verübeln.
    Fingerspitzengefühl ist nötig
    Seidel: Haben Sie da inzwischen schon so eine Art Fingerspitzengefühl entwickelt, mit welchem Typ Anwohner Sie wie umgehen müssen?
    Gritzka: Ich glaube, man braucht ein generelles Gefühl in dem Job, damit das einigermaßen gut funktioniert und dieses Gefühl verfeinert sich auch, ist aber auch tatsächlich ein bisschen von der Tagesform abhängig, bei mir. Man weiß, man muss mit Leuten reden, Transparenz ist eigentlich die wichtigste Waffe, die man hat. Man muss die Leute immer darauf vorbereiten und am besten noch alles viel, viel schwärzer zeichnen, als es ist. Normalerweise sind die Erwartungen der Leute dann doch noch ein bisschen milder und es sind alle schockiert und überrascht, wenn so ein Filmteam dann ankommt mit 50 Leuten und eben 20 Lkw. Aber man entwickelt so eine gewisse Küchentischpsychologie, die dann tatsächlich auch einigermaßen gut funktioniert, wie gesagt, wenn man in Tagesform ist.
    Seidel: Und können Sie so etwas ausmachen wie regionale Unterschiede, je nach dem in welcher Region Sie drehen, sind die Leute da anders?
    Gritzka: Diese regionalen Unterschiede gibt es durchaus und auf die muss man auch Bezug nehmen. Just habe ich zum Beispiel an dem Film "Vampirschwestern 3" gearbeitet, da haben wir sehr viel hier in Nordrhein-Westfalen, im Ruhrpott gedreht, mit den Menschen kann ich ganz gut. Gerade im Ruhrpott ist dann noch mal ein bisschen erleichternder, im Vergleich zu Köln sind die Leute nicht so filmverbraucht, sind weitaus neugieriger. Mit denen kann man reden, mit denen kann man auf Augenhöhe operieren.
    Jetzt ist die Produktion in Bayern unterwegs. Da bin ich nicht mit dabei und da bin ich aus diversen Gründen sehr, sehr dankbar für. Zum einen: Ich hätte das alles parallel vorbereiten müssen, während wir hier gedreht haben. Zum anderen ist das ein Schlag Mensch, wo ich mit meiner rheinischen Frohnatur sicherlich nicht sehr weit gekommen wäre.
    Seidel: Haben Sie es denn schon mal erlebt, dass ein Dreh tatsächlich geplatzt ist, weil sich die Anwohner strikt geweigert haben, zu kooperieren?
    Gritzka: Ne, ich habe das nicht erlebt, Gott sei Dank. Und ich würde auf Holz klopfen jetzt gerade, dass es auch so weiter geht. Es gab Anwohner, die sich im Vorfeld quergestellt haben und manchmal sah es so aus, als würde das eine oder andere nicht funktionieren. Aber bis jetzt ist alles noch gut gegangen. Das ist auch eine der generellen Regeln beim Film, zumindest hier in Köln: Es ist noch immer alles gut gegangen, im Guten wie im Schlechten.
    Seidel: Aber Autos abschleppen, soweit ist es dann schon mal gekommen?
    Gritzka: Ja. Und gerade in Köln kommt man da selten drum herum. Ich muss zum Beispiel daran denken, eine meiner Horrorgeschichten war, da war ich Motivaufnahmeleiter für die "SOKO Köln", Fernsehserie vom ZDF, die viel hier in Köln dreht. Die "SOKO" als Fernsehserie kann es sich zum Beispiel nicht leisten, dass man schon am Vortag Fahrzeuge abparkt, abends, und dann eine Nachtwache stellt, wie es manchmal bei Filmproduktionen gemacht wird. Sondern nein, man kommt morgens an: Ab sieben Uhr ist das Ordnungsamt erst unterwegs, ab sechs Uhr dreißig kamen unsere Fahrzeuge aber schon. Die Straße war noch voller Autos, unsere Lkws haben die Straße blockiert, niemand konnte abfahren, niemand konnte anfahren und es hat den Dreh wirklich zwei Stunden gekostet, bis man einigermaßen operieren konnte, dass dann Autos abgefahren sind.
    Und dazu muss ich sagen: Einer der ganz Bösen, die sich quer über meine Parkverbotszone geparkt haben, war ein anderer Kollege vom Film, den ich auch tatsächlich kannte, der mit seinem Sprinter sich da reingeparkt hat, weil er dachte: Na ja, ich kenne die Filmnasen ja, die fangen ja eh nicht so früh an. Da hat er sich getäuscht, fast hätte ich ihn abschleppen lassen.
    Seidel: Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen? Sie haben ja ganz normal studiert, Philosophie, Geschichte und Geografie - damit kann man dann alles oder nichts machen. Wie sind Sie zu Ihrem jetzigen Beruf gekommen?
    Gritzka: Es war tatsächlich auch eine Ansammlung von Zufällen. Wobei ich sagen muss: Der generelle Wunsch, zum Film zu kommen, der bestand bei mir schon sehr früh. Ich wollte auch früher mal selbst Regie studiert haben, aber mit Anfang 20 hat mir dann doch der Mut gefehlt und ich bin auf die Geisteswissenschaften ausgewichen, wie alle, die nicht so recht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.
    Jetzt war ich mit meinem Studium fertig, war ein Magister der Philosophie, habe die letzten Ersparnisse, dich ich hatte, über den Sommer hinweg, wie man es als Geisteswissenschaftler so tut, vertrunken. Und dann klingelte Gott sei Dank das Telefon bei mir und eine Freundin fragte: Philip, hast du nicht Lust, Produktionsfahrer bei uns zu werden, bei einer Kinoproduktion, die anstand. Als Philosoph, Barkeeper oder Taxifahrer, viel mehr Optionen hat man nicht. Also: Taxifahren und Film, ist super! Und so bin ich gelandet und dann ging's tatsächlich fast nahtlos weiter von Produktion zu Produktion zu Produktion.
    Kontakt zu Anwohnern
    Seidel: Was reizt Sie denn persönlich mehr an diesem Beruf, ist das eher dieser logistisch-organisatorische Part, oder dann doch, ja man kann ja fast schon sagen die psychologische Arbeit am Anwohner, die sie leisten müssen?
    Gritzka: Definitiv letzteres. Jetzt war ich Langzeitstudent der Philosophie, Sie hatten es ja schon gesagt, und ich muss gestehen: Ich war immer gerne Student, ich habe selten gerne studiert. Das heißt, das Organisatorische, das Strukturelle gehörte nicht unbedingt zu meinen Stärken. Der Kontakt zu den Menschen dann schon eher, den man an der Bar, am Tresen gepflegt hat, während seinem Studium, der setzt sich quasi an der Straße fort.
    Die Schauspieler Alexander Scheer (als Blixa Bargeld, l-r), Marc Hosemann (als Nick Cave) und Tom Schilling (als Robert) in einer Szene des Films "Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!".
    Auch für "Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!" hat Gritzka die Drehorte vorbereitet (picture alliance / dpa / Nik Konietzny)
    Seidel: Sie haben in den letzten Jahren an sehr unterschiedlichen Filmen mitgewirkt. Einen haben Sie schon genannt: "Die Vampirschwestern 3", ein Fantasy-Kinderfilm. Dann gab's da aber zum Beispiel auch noch: "Tod den Hippies!! Es lebe der Punk" von Oskar Roehler und "Der Staat gegen Fritz Bauer", also ein Film, der Ende der 50er-Jahre spielt. Das ist eine ziemliche Spannbreite, vermutlich auch, was die Drehorte angeht. Gab's mal einen, an den Sie nie zurückkehren würden, weil er ihnen viel zu viel Arbeit gemacht hat?
    Gritzka: Ich habe tatsächlich schon darüber nachgedacht, ob ich richtig, richtig schlimme Erfahrungen gemacht habe, richtig schlimme Drehorte hatte. Die hatte ich bestimmt, aber das Gedächtnis ist ja so ein bisschen selektiv, und irgendwie ist jeder Drehort eigentlich schön gewesen, sobald man mal weg war.
    Seidel: Philip Gritzka, Psychologe, Transportunternehmer und gute Fee am Set - Motivaufnahmeleiter, das ist seine offizielle Berufsbezeichnung, Herr Gritzka, herzlichen Dank fürs Corso-Gespräch!