Donnerstag, 18. April 2024

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Mozarts "Die Entführung aus dem Serail"
Ab in den Pascha-Palast

Wolfgang Amadeus Mozarts "Entführung aus dem Serail" ist aufgeladen mit Erotik. Rodrigo Garcia hat sich an der Deutschen Oper Berlin dieses Singspiel aus dem Jahr 1782 nun vorgenommen und präsentiert dabei viel nackte Haut. Altersempfehlung der Intendanz: ab 16.

Von Julia Spinola | 18.06.2016
    Belmonte fährt mit einem lärmenden Monstertruck auf die Bühne. Ein weißer Heißluftballon dient als Leinwand für allerlei Videoprojektionen. Dort sieht man, dass sich auf dem Rücksitz zwei kiffende Mädels lümmeln: die eine blond, die andere dunkelhaarig. Ein in Zeitraffer ablaufender Softporno zeigt, wie sich Belmonte mit allen beiden vergnügt: in jeder erdenklichen Stellung und recht unersättlich.
    Mozart guckt dabei aus einem Bilderrahmen zu, bis sein Porträt durch das ständige Geruckel irgendwann schief hängt. Als Zuschauer ist man derweil damit beschäftigt, die Rollen zuzuordnen: Handelt es sich um das vorweggenommene Ende der Oper, das Belmonte mit Konstanze und Blonde glücklich vereint auf dem Heimweg zeigt? Aber warum haben sie Pedrillo abgehängt?
    Noch im Wagen beginnt Belmonte, seine Auftrittsarie zu singen. Das ist akustisch gesehen keine gute Idee, weil der Tenor Matthew Newlin ohnehin schon Mühe hat, mit seiner leichten, in der Höhe ein wenig irisierenden Stimme über das Orchester zu kommen. Kathryn Lewek wiederum muss mit ihrem frischen, etwas wildwüchsigen Koloratursopran die erste Arie der Konstanze joggend und hüpfend singen. Da bleibt ihr manches Mal der Atem weg. Die berühmte Marternarie immerhin hat ihr der Regisseur gegönnt.
    Rodrigo Garcia hat die Handlung in ein trashiges Heute verlegt und lässt sie in einem Drogenlabor spielen. Brav bricht er, wie man es von einem Skandalregisseur erwartet, mit den Konventionen des Stücks. Zunächst schon bezüglich der Geschlechterrollen: Drogenbaron Bassa Selim ist eine 1,80 Meter große, durchtrainierte, sehr elegante dunkelhäutige Frau – gespielt vom Model Annabelle Mandeng.
    Erotisch geht es im Dunstkreis synthetischer Drogen munter durcheinander nach dem Motto: Nimm dir, was du kriegen kannst. Denn Garcia hat entdeckt, dass die Koloraturen bei Mozart oft klingen, wie Jubelkaskaden der Lust, die man szenisch prima mit lasziven Körperbewegungen illustrieren kann.
    Sein Frauenbild ist konsequent sexistisch. Ansonsten kann der Opernneuling mit den singenden Menschen auf der Bühne noch nicht so viel anfangen. Wacker hangelt er sich von Arie zu Arie, mit Gags, die mal ganz unterhaltsam, mal jedoch furchtbar banal und abgegriffen sind.
    Konstanze singt popowackelnd wie ein Schlagersternchen ins Mikro, Pedrillo rockt seine Romanze an der E-Gitarre runter. Osmin outed sich als bananenfressender Schimpanse, der am Ende mit einem Maschinengewehr herumfuchtelt. Prächtig gesungen wird er von Tobias Kehrer.
    Vor allem in den englisch gesprochenen, knappen und vollständig neu geschriebenen Dialogen legt die Inszenierung immer wieder Deutungsfährten aus, die dann verlässlich im Slapstick versanden. Bassa Selim erscheint als Ikone der Warenwelt, als angebetete Konsummarke. Bücher werden zerrissen, die Regression auf eine schlichte Bedürfnisbefriedigung angepriesen. Zwischendurch stecken Osmin und Blonde ihre Köpfe in ein Spaßposter, auf dem – warum auch immer – die Komikfiguren Willi Kojote und Roadrunner abgebildet sind. Und zu alledem hetzt Donald Runnicles am Pult des Orchesters durch Mozarts Musik, die einen vor dieser ganzen Ramschkulisse eigentümlich fremd und sinnentleert anblickt.
    Für eine handwerklich dürftige und inhaltlich belanglose Inszenierung wie diese ist das allzu hoher Preis. Das Publikum hätte den Klamauk wohl mit heiterer Gelassenheit hingenommen, wenn der Regisseur ihm die Möglichkeit dazu geboten hätte. Der aber kniff und kam beim Schlussapplaus einfach nicht auf die Bühne. Das hat man ihm als Feigheit ausgelegt und übel genommen. Zu Recht.