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Mozarts Tito am Staatstheater Braunschweig
Feines psychologisches Porträt über Liebe, Verrat und Einsamkeit

Jürgen Flimm scheidet in Kürze als Intendant der Staatsoper Unter den Linden aus, aber als Regisseur will er auch weiterhin tätig bleiben. Am Staatstheater Braunschweig hat er Mozarts Spätwerk "La Clemenza di Tito" neuinszeniert und dabei die Polit-Intrige in eine heutige gehobene Gesellschaft verlegt.

Von Agnieszka Zagozdzon | 19.02.2018
    Das Staatstheater Braunschweig strahlt am Mittwoch (09.04.2008) zur Dämmerung in Braunschweig.
    Staatstheater Braunschweig (picture alliance/dpa - Peter Steffen)
    Musik: Ausschnitt Arie des Sesto "Parto, parto"
    Vergebens versucht der junge Sesto, seine Angebetete Vitellia umzustimmen: während er seine Liebe zu ihr besingt, verteilt Vitellia schusssichere Westen und Maschinengewehre an ihre Kämpfer und studiert eine Karte von Rom um den besten Angriffspunkt zu finden. Denn Vitellia will den regierenden römischen Kaiser Titus – oder Tito, wie er in Mozarts Oper heißt - umbringen um selbst auf dem Thron zu sitzen; und Sesto soll ihr dabei helfen. Nur leider ist Sesto ein enger Freund von Tito und steckt somit in einem unlösbaren Loyalitätskonflikt.
    Regisseur Jürgen Flimm verlegt die auf historischen Fakten basierende römische Polit-Intrige in eine heutige gehobene Gesellschaft: elegant gekleidete Menschen bewegen sich in geschmackvoll eingerichteten Räumen.
    "Das kann man sich so vorstellen: alle sind steinreich und haben auch irgendwie nichts zu tun. Und da Vitellia nun unbedingt Kaiserin werden will, macht sie eben einen Putsch und gefährdet damit Alles – das ist sehr, sehr unüberlegt von ihr."
    Kaiserlicher Gutmensch mit Frauenprobleme
    Kaiser Tito selbst ist bei Flimm vor allem durch seine unglücklichen Liebesbeziehungen geprägt: seine erste große Liebe, Berenice, muss er gleich zu Beginn fortschicken.
    "Und das war ein ziemlicher Schock für ihn – dadurch ist er in eine gewisse Leere geraten."
    Die noch zusätzlich verstärkt wird, als seine nächste Wahl, Sestos Schwester Servilia, seinen Heiratsantrag zurückweist, weil sie bereits einen anderen Mann liebt.
    "Dann haben wir überlegt und habe gesagt: Da kann man doch nicht innerhalb von einer Sekunde sagen 'Hallo, natürlich, geht doch'. Das unser Sänger dann sehr gut: Er macht da eine Riesenpause und sucht nach Worten und findet sich fast nicht mehr."
    Musik: Ausschnitt Szene Tito - Servilia
    "Ich habe gesagt: Du hast nur eine Chance rauszukommen aus dieser totalen Blamage, wenn du dich oben drauf setzt; wenn du jetzt beleidigt bis, das bringt dir nix. Also setzt dich oben drauf und sei wahnsinnig gut. Also setzt er sich oben drauf und ist ein wahnsinniger Gutmensch – die leibgewordene Menschenkette mit Kerzen, sozusagen."
    Der junge südafrikanische Tenor Khanyiso Gwenxane, der in dieser Inszenierung in der Rolle des Tito debütierte, zeigte immer wieder die verletzliche und menschliche Seite dieses zwar moralisch überlegenen, aber irgendwie auch unnahbaren Herrschers; auch stimmlich bewies er eine wundervolle Wandelbarkeit.
    Höhergelegter Orchestergraben
    Dass er und das übrige meist sehr junge Sängerensemble so facettenreich agieren konnten lag vor allem an der hervorragenden musikalischen Leitung von Srba Dinić, seit dieser Spielzeit Generalmusikdirektor am Staatstheater Braunschweig. Dabei standen alle Beteiligten dieser Produktion vor einer besonderen akustischen Herausforderung, erklärt Dinić:
    "Wir spielen im hochgefahrenen Orchestergraben - das ist neu - normalerweise ist der Orchestergraben tief; aber ich wollte unbedingt, dass das Orchester präsent ist, dass das Orchester Glanz hat und dass die Musiker die Sänger gut hören können. Im Gespräch mit Jürgen Flimm fand er das eine sehr gute Idee weil er findet, dass das Orchester eigentlich ein Teil der Inszenierung und der Bühne sein muss. Und ich finde, der Klang hat mehr Glanz, ist präsenter und das Orchester ist in einem sehr guten Zustand und sie sind bereit, sich manchmal auch zu opfern und wirklich sehr, sehr leise zu spielen."
    Und zu keinem einzigen Zeitpunkt drohte das Orchester die Sänger auf der Bühne zu übertönen – denn was Srba Dinić und das Staatsorchester Braunschweig boten war Klangbalance in Perfektion.
    Sängerische Frauenpower
    In sängerischer Hinsicht dominierten vor allem die Frauen den Premierenabend – die Sopranistinnen Jelena Banković als Servilia, Milda Tubelytè als Annio, Jelena Kordić als leidgeprüfter Sesto und Narine Yeghiyan als machthungrige Vitellia waren sowohl stimmlich als auch darstellerisch schlichtweg großartig.
    Musik: Ausschnitt Arie der Vitellia "Non più di fiori"
    Mit der Verpflichtung von Jürgen Flimm bescherte Operndirektorin Isabel Ostermann dem Staatstheater Braunschweig eine weitere außergewöhnliche Produktion in dieser ohnehin schon äußerst hochkarätigen Saison. Für Flimm selbst war dies übrigens erst das zweite Mal, dass er Mozarts "Clemenza die Tito" inszenierte; das erste Mal, 2012 an der Wiener Staatsoper, war für ihn nicht zufriedenstellend, wie Flimm im Nachhinein zugibt. Nicht so bei seiner jetzigen Inszenierung für das Staatstheater Braunschweig:
    "Ich bin viel zufriedener. Nicht 100 Prozent, das sind wir ja nie - aber viel zufriedener als in Wien, das muss ich sagen."
    Politisches und Persönliches vermischt
    Dabei waren es nicht nur die modernen Kulissen sondern vor allem die wesentlich deutlicher herausgearbeiteten persönlichen Beziehungen der Figuren untereinander, die Flimm stärker als damals in den Fokus stellte, um dadurch auch die Aktualität des Werks hervorzuheben:
    "Wenn Sie mal gucken, wie sich die privaten Stränge mit den politischen Strängen treffen, dann ist das hochinteressant. Wir müssen ja jetzt nur nach Berlin gucken, was sich da alles abspielt. Da spielen, glaube ich, viel mehr persönliche Befindlichkeiten mit rein als alles andere. Das passiert dauernd, das überlagert sich dauernd und es gibt dauernd solche Schnittpunkte - da spielt schon vieles hinein. Das ist zeitlos und jetzt ist es einem noch aktueller, finde ich."
    Dem Zuschauer, der zunächst von den visuell wunderbaren Kulissen und den hervorragenden musikalischen Leistungen geradezu überwältigt wird, mögen solche Gedanken vermutlich allerdings erst im weiteren Verlauf des Werks kommen. Denn hauptsächlich ist Jürgen Flimm in seiner Inszenierung ein feines psychologisches Porträt über Liebe, Verrat und Einsamkeit gelungen, das vom Premierenpublikum in Braunschweig mit langanhaltendem Applaus gefeiert wurde.