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Mr. Europe in der Defensive

Hart bleiben oder weich werden – diese Frage stellt sich in diesen Krisenzeiten für die gemeinsame europäische Währung. Besonders der Vorschlag von Jean-Claude Juncker, gemeinsame Euro-Anleihen zu schaffen, stieß auf energischen Widerstand aus Deutschland und Frankreich. Seither ist der Premier aus Luxemburg verärgert: Früher guter Vermittler, fühlt er sich heute an den Rand gedrängt.

Von Doris Simon | 16.12.2010
    Es ist auf den Tag fast 14 Jahre her: Frankreich und Deutschland hatten sich auf dem EU-Gipfel in Dublin heillos zerstritten über den Stabilitätspakt für die kommende Währung Euro. Alle anderen Staats- und Regierungschefs waren inzwischen schlafen gegangen, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl am frühen Morgen entschied, jetzt müsse man den Junior aus dem Bett klingeln. Junior war Kohls Spitzname für den luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker. Der sprach nicht nur deutsch und französisch, sondern verstand auch die Eigenheiten Frankreichs und Deutschlands und kannte die Empfindlichkeiten der Herren Kohl und Chirac. Junckers Kompromissvorschlag rettete den Dubliner Gipfel und den Stabilitätspakt. Vier Jahre später, als der EU-Gipfel von Nizza dramatisch zu scheitern drohte, konnte sich Juncker, nie um Worte und Witz verlegen, den Hinweis nicht verkneifen, so schlimm wäre es unter seinem Vorsitz nicht gekommen:

    "Wir befinden uns nicht im Vorsitz, den hat Frankreich. Wären wir dort, wären wir heute nicht da, wo wir heute sind."

    Doch inzwischen ist Jean-Claude Junckers Vermittlungstalent zwischen den zwei Schwergewichten in der EU nicht mehr gefragt: Die Europäische Union ist heute viel stärker als früher eine Gemeinschaft der Großen und der Kleinen. Und dass es in der Eurokrise um viel Geld geht, hat diese Entwicklung weiter verstärkt. Angela Merkel und Nicholas Sarkozy räumen Probleme direkt aus, sie haben die Wirtschafts- und Währungspolitik zur Sache der Staats- und Regierungschefs gemacht, für Eurogruppenchef Juncker ist in diesem Konzept keine bedeutende Rolle vorgesehen.

    Die zwei Großen bestimmen die Richtung, inklusive abrupter Kurswechsel wie im Oktober im Deauville, als Merkel ihre Stabilitätsverbündeten völlig überraschend im Regen stehen ließ, darunter auch den Luxemburger Juncker. Die Kleinen fügen sich, fast immer: Nur beim Oktobergipfel hagelte es Proteste auch treuer deutscher Verbündeter wie der Niederländer und der Finnen, als die Bundeskanzlerin darauf beharrte, Defizitsündern das Stimmrecht zu entziehen. Das geht für viele Mitgliedsländer direkt an die Substanz der Europäischen Union, zumal sie aus Erfahrung wissen, dass eine solche Sanktion nur sie treffen würde: Für die Großen findet sich immer eine Ausnahme. Nicht alle sagen es so deutlich wie Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn:

    "In der Auseinandersetzung über gemeinsame Euro-Anleihen der Eurozone spiegelt sich das gestörte Verhältnis zwischen der führenden Nation in der EU und dem von den Deutschen früher so geschätzten Vermittler Juncker besonders klar wider: Berlin bürstete den Junckerschen Vorschlag so drastisch ab, dass der luxemburgische Premier ungewöhnt heftig zurückschlug. Die Bundesregierung denke ein bisschen simpel und habe eine uneuropäische Art, europäische Geschäfte zu erledigen. Die Eurobonds stehen heute nicht auf der Tagesordnung des Europäischen Gipfels, aber ein Thema werden sie sicher sein."