Kalaripayattu im Aufschwung

Kämpfen für die Balance

05:15 Minuten
Kalari-Schüler nehmen beim Training gemeinsam eine Pose ein.
Die britischen Kolonialherren unterdrückten das Lehren und Ausüben von Kalari. Erst mit der indischen Unabhängigkeit erlebte die Kampfkunst wieder einen Aufschwung. © Antje Stiebitz
Von Antje Stiebitz · 05.07.2020
Audio herunterladen
Im Westen ist die indische Kampfkunst Kalaripayattu fast unbekannt. Doch auch in Deutschland erfreut es sich zunehmend Beliebtheit - vor allem, weil es das schon etablierte Yoga ergänzt.
Ein überdachter Sportplatz in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi im Norden des Landes. Der Kalari-Trainer Shinto Mathew gibt Anweisungen. Seine zwölf Schüler halten – tief in den Knien - die Elefantenposition. Der Schweiß rinnt ihnen über das Gesicht:
"Es gibt nur zwei Regeln: Entweder man engagiert sich oder man hört ganz früh wieder auf. Viele sind gekommen, waren aber nach einer Woche oder einem Monat wieder weg. Sie waren gut, aber sie sind gegangen. Entweder man bleibt und wird diszipliniert oder man geht."

Schrittweises Erlernen

Die 26-jährige Kajol gehört zu den fortgeschrittenen Schülerinnen des Gurus Shinto Mathew. Sie hat die Grundausbildung der indischen Kampfkunst absolviert und lernt jetzt, wie man mit Waffen umgeht.
Kalaripayattu, kurz Kalari, kennt vier Unterrichtslevel: Anfänger lernen zunächst längere Bewegungsabfolgen, die Beinübungen, Drehungen und Sprünge beinhalten. Auch Tierpositionen gehören dazu. Etwa der Elefant, die Schlange oder der Eber.
Danach lernen die Schüler den Umgang mit Holzwaffen, schließlich mit Metallwaffen. In der letzten Stufe kämpfen sie mit den bloßen Händen. Am besten ist es, erklärt Shinto Mathew, wenn Kinder im Alter von sechs Jahren beginnen:
"Kalari ist nicht nur eine Kampfkunst. Kalari ist eine Art Turnen und stärkt den Körper. Wenn die Kinder in diesem Alter beginnen, ist es sehr leicht für sie, die Übungen zu erlernen."

Von den Kolonialisten unterdrückt

Shinto Mathew unterrichtet in seinen Klassen die unterschiedlichsten Alters- und Kenntnisstufen zusammen. Wer nicht mehr mitkommt, schaut den anderen zu. Die fortgeschrittenen Schüler helfen dann zwischendurch.
Shinto Mathew ist davon überzeugt, dass das Kalari-Training mentales Gleichgewicht gibt:
"Lernt eine aggressive Person Kalari, wird sie nicht aggressiver. Sie wird ruhiger, ihr Gemüt ausgewogener. Ist ein Kind hingegen schüchtern und langsam, wird es durch das Kalari-Training etwas aggressiver und selbstbewusster."
Die Ursprünge der indischen Kampfkunst lassen sich bis ins 3. Jahrhundert vor Christus nachweisen. In seiner heutigen Form entstand Kalari vermutlich im 11. Jahrhundert nach Christus. Die britischen Kolonialherren unterdrückten das Lehren und Ausüben der Kampfkunst.
Mit der indischen Unabhängigkeit erlebte Kalaripayattu allerdings wieder einen Aufschwung. Inzwischen hat es die uralte Kampfkunst auch nach Übersee geschafft. Etwa nach Hamburg.

Training mit Onlinekursen

Es ist halb sieben am Morgen. Der Kalari-Trainer Kai Hitzer macht auf dem Bildschirm eine längere Bewegungssequenz vor und gibt Anweisungen dazu. Kalari-Unterricht im Internet. Auslöser war die Coronapandemie. Inzwischen gibt es zwar auch wieder Unterricht im Dojo in Hamburg-Bahrenfeld. Aber auch die Onlineklassen gehen weiter.
Hitzer unterrichtet Kalari seit 16 Jahren. Er beobachtet immer wieder, dass Interessierte die komplexen Bewegungsmuster des Kalari anfangs als Überforderung wahrnehmen. Kalari übe zwar eine hohe Anziehungskraft aus, wecke aber gleichzeitig einen Fluchtreflex:
"Kalari ist so ein bisschen wie etwas, was man sich gar nicht vorstellen kann, dass es existiert. Vielleicht so, wie ein schon längst ausgestorben geglaubtes Tier plötzlich in der freien Wildbahn zu sehen."

Nutzen für die Menschen

Bislang kennen Kalari in Deutschland nur Wenige. Anders als Yoga gilt es noch als exotisch. Hitzer bezeichnet Yoga und Kalari als zwei Seiten einer Medaille. Für ihn richtet sich Yoga nach innen und Kalari nach außen:
"Das, was ich im Kalari sehe, ist ein ganz hoher Nutzen für Menschen, die einem aktiven Lebensstil nachgehen oder nachgehen müssen. Ich ziele da insbesondere auch auf Berufstätige und Leute, die einfach auch im Alltag viel Stress bewältigen müssen, eine Haltung beziehen müssen. In einer gewissen Klarheit, aber auch Offenheit kommunizieren müssen."
Mehr zum Thema