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Mülheimer Dramatikerpreis 2018
Dystopie mit Humor

Mit "paradies spielen (abendland.ein abgesang)" hat der österreichische Dramatiker Thomas Köck ein ebenso rasantes wie sprachgewaltiges Stück geschaffen. Dafür gab es den Jurypreis, das Publikum favorisierte jedoch klar Elfriede Jelinek.

Von Dorothea Marcus | 03.06.2018
    "Gewinner des mit 15000 Euro dotierten Mülheimer Theaterpreis 2018 ist Thomas Köck mit "paradies spielen. (abendland. ein abgesang)."
    Mit vier zu einer Stimme war die Entscheidung in diesem Jahr eindeutig, auch wenn Elfriede Jelinek mit ihrer düster-prophetischen Trump-Abrechnung "Am Königsweg" bis zum Schluss mit im Rennen lag. Aber die 74jährige Literaturnobelpreis-Trägerin hat den Theaterpreis bereits viermal gewonnen und gewiss nicht so nötig wie der 32-jährige Autor und Musiker Thomas Köck.
    Ein rasender Zug als Metapher unserer Zeit
    Der begeisterte die Jury mit einer apokalyptischen Tragödie in einer Inszenierung des Mannheimer Nationaltheaters. Sie spielt in einem ICE, der ungebremst in eine Eiswüste und Endzeit rast. Der Zug wird zur Metapher einer Weltgesellschaft im kapitalistischen Geschwindigkeitsrausch – während auf einer anderen Eben des Stücks chinesische Textilarbeiter ausgerechnet in Italien, Herz des humanistischen Europas, eine neue Art von Versklavung erfahren.
    "Das sind alles unglaublich klug und liebevoll verwobene Geschichten darüber, wie unsere Gesellschaft gerade nicht funktioniert. In der Vergangenheit gab es mehrere Stücke, die im ICE gespielt haben, die sich selten über die Klatsch-Ebene erhoben haben. Aber hier werden ganz kleine Dialoge plötzlich sehr existentiell und man spürt, wie Menschen auf einmal nicht mehr miteinander können und diese Massenkommunikation genau zu der Sprachlosigkeit führt. Diese Form der Grenzziehung, der Auseinanderdividierung des Menschlichen, die wird in diesem Stück großartig dargestellt".
    Argumentierte etwa Jurymitglied und Theaterkritiker Till Brigleb, und Lars-Ole Walburg, Intendant des Schauspiels Hannover, fügte hinzu:
    "Man merkt zutiefst das Anliegen. Den Impetus, aus dem er das schreibt. Ich finde nicht, dass ein Stück immer eine positive Botschaft braucht. Aber so, wie es mir bei Jelinek geht – dass die Larmoyanz alles erstickt, und irgendwie gar keine Möglichkeit, keine Ausflucht, gar keine Sehnsucht mehr zulässt. So ging es mir anders bei Köck, wo in der Negativbeschreibung – dahinter eine Sehnsucht erscheint. Extrem zeitgemaß- und der Mann hat Humor, bei so einem Thema."
    Lyrische Sprache, harte Themen
    Thomas Köck, 1986 im österreichischen Steyr geboren, studierte Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste und ist heute Hausautor am Nationaltheater Mannheim. Für die "Stücke" war er zum ersten Mal nominiert – auch wenn er schon viele wichtige Autorenpreise gewann. Das Besondere an seinem Schreiben: eine lyrisch verdichtete Sprache verbindet sich mit hart recherchierten Themen und lädt sie philosophisch auf; "Paradies spielen" ist der dritte Teil einer gefeierten "Klimatrilogie".
    Politischen Gehalt haben allerdings alle Stücke des diesjährigen Jahrgangs, auch wenn das offenbar etwas anderes bedeutet als noch vor einem Jahr:
    Theaterkritiker Jürgen Berger:
    "Es geht jetzt nicht mehr nur um Flüchtlingsfragen. Was aber feststellbar ist, dass Autoren sich mit dieser allgemeinen Verunsicherung beschäftigen, die uns ja alle umtreibt. Und im Geist der Psyche ein immer desolateres Bild dieser Welt entsteht – dass von Autokraten regiert und von immer neuen Territorialkriegen heimgesucht wird. Darauf reagieren Autorinnen und Autoren, indem sie versuchen zu beschreiben: was macht es mit den einzelnen Menschen, was macht es mit Gesellschaft."
    Vielzahl an überzeugenden Stücken
    Ein außerordentlich guter Jahrgang war es für die Auswahljury. 150 Stücke wurden uraufgeführt, ähnlich viel wie im letzten Jahr, 120 wurden beurteilt – denn Romandramatisierungen werden nicht berücksichtigt. Wohl aber Überschreibungen: Ewald Palmetshofers "Vor Sonnenaufgang" übernimmt sogar den Titel von Gerhart Hauptmann und versetzt die Geschichte der Kohlebauern in eine neureiche Mittelstandsfamilie.
    Rebekka Krichelsdorf "Fräulein Agnes" ist ein "herzhaftes Molière-Update" und eine Auseinandersetzung mit heutigem Hate-Speech, Ibrahim Amirs "Homohalal" eine politisch unkorrekte Aktivisten-Flüchtlings-Komödie, Maria Milisavljevics "Beben" ebenfalls ein Endzeitszenario des Kapitalismus.
    Und selbst "Versetzung" von Thomas Melle, eigentlich die Abwärtsspirale eines manisch-depressiven Lehrers, zeigt, wie schnell aus Fake News "Fake Fakten" werden, so Jurorin Angela Obst.
    Dass das Juryurteil indes nicht immer mit dem der Zuschauer übereinstimmen muss, zeigte sich am Schluss: "Paradies spielen" kam beim Publikumspreis auf den letzten Platz, und es triumphierte souverän: Elfriede Jelinek.