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Müllabfuhr im All
Die Europäische Weltraumagentur räumt im Orbit auf

Im Erdorbit wird es immer enger: Mehr als 2100 aktive Satelliten kreisen derzeit um die Erde. Die Zahl ausgefallener Satelliten oder alter Raketenteile ist noch einmal so hoch. Die ESA will deshalb mit der Mission ClearSpace-1 erstmals aktiv Teile aus der Erdumlaufbahn entfernen.

Von Karl Urban | 20.01.2020
Die ESA-Mission ClearSpace-1 wird die erste Weltraummission zur Beseitigung von Trümmern aus der Umlaufbahn sein, deren Start für 2025 geplant ist.
Die ESA-Mission ClearSpace-1 wird die erste Weltraummission zur Beseitigung von Trümmern aus der Umlaufbahn sein, deren Start für 2025 geplant ist. (Copyright: ESA )
Im April 2012 fiel Envisat ohne Vorwarnung aus. Seither kreist der acht Tonnen schwere Umweltsatellit der Europäischen Raumfahrtagentur als Weltraumschrott um die Erde. In seiner Bahnhöhe von rund 750 Kilometern dauert es 150 Jahre, bis die Teilchen der Restatmosphäre ihn ausreichend abgebremst haben – es sei denn, jemand hilft nach.
"Eine solche Mission hat bislang noch niemand durchgeführt und sie ist extrem komplex. Wir wissen zwar, wie wir ein kooperatives Objekt einfangen können. An der Raumstation können wir mit hoher Präzision andocken. Aber wir wissen nicht, wie das bei einem unkontrollierten Objekt gelingt."
ESA will Raketen-Oberstufe aus dem Erdorbit entfernen
Luisa Innocenti leitet die Initiative Cleanspace bei der ESA, mit der die Raumfahrt sauberer gemacht werden soll. Auf der Tagung des ESA-Ministerrats im November 2019 bekam sie grünes Licht für eine Mission. Diese soll allerdings nicht den übergroßen Envisat einfangen, sondern zunächst eine zurückgelassene und seit sieben Jahren frei driftende Stufe der Vega-Rakete.
"Ich sage immer, wenn genügend Geld da ist, finden wir auch eine Lösung. Wir sind zum Mond geflogen. Wir können zum Mars fliegen. Da können wir doch herausfinden, wie wir ein Stück Weltraumschrott herunterbekommen."
Grafik der ClearSpace-1 Mission zum Einfangen der Oberstufe der Vega-Rakete der ESA
Grafik der ClearSpace-1 Mission zum Einfangen der Oberstufe der Vega-Rakete der ESA (Copyright: clearspace today)
2013 war eine erste Ausschreibung, um den übergroßen Envisat zu entfernen, noch gescheitert. Das Vorhaben galt damals vor allem als zu teuer. Nun werden erst einmal kleinere Brötchen gebacken: Die neue Mission heißt ClearSpace-1 und soll nach dem Start im Jahr 2025 mit vier Roboterarmen die 100 Kilogramm schwere Vega-Stufe einfangen, ihre Rotation stoppen und sie sicher einschließen. Danach beschleunigt ClearSpace-1 mit dem Trümmerteil in die Atmosphäre, wo beide schließlich verglühen. Manuel Metz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt kann nachvollziehen, warum sich die ESA anders als ursprünglich geplant, erst einmal an einem leichten Ziel versucht.
"Wenn ich eine eher kompakte Raketenoberstufe habe, die vielleicht maximal langsam rotiert, ist das Risiko sicherlich deutlich geringer, dass bei der Annäherung und beim Greifen Probleme auftreten, als wenn ich mir einen Satelliten vorstelle, der vielleicht große Solarpaneele hat."
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Allein die Annäherung an ein unkontrolliertes Objekt, das vom Boden nicht gesteuert werden kann, ist ein Novum für die zivile Raumfahrt. ClearSpace-1 muss dabei seinen Abstand sehr genau messen und seine Eigenbewegung sowie jene des Trümmerteils präzise überwachen – und das weitgehend autonom, weil der Satellit nicht ständig mit einer Bodenstation verbunden ist.
"Das ist bisher noch nicht der Fall gewesen, dass man sich einem unkontrollierten Objekt wirklich sicher angenähert hat."
Grafik der Clearspace-1 Mission mit eingefangener Oberstufe der Vega-Rakete der ESA
Grafik der Clearspace-1 Mission mit eingefangener Oberstufe der Vega-Rakete der ESA (Copyright: EPFL /J.Caillet)
ClearSpace-1 wird von einem Startup in der Schweiz entwickelt und kostet 110 Millionen Euro. Der ESA ist klar, dass sie damit das Problem des Weltraumschrotts nicht lösen wird: Weit über 5000 ausgefallene Satelliten und Raketenstufen kreisen unkontrolliert um die Erde. - Doch die Geldgeber beim Ministerrat hat überzeugt, dass bald ein Markt für die orbitale Müllabfuhr entstehen könnte: Es sind die Megakonstellationen aus riesigen Schwärmen von Satelliten, die schon bald dazu führen könnten, dass zahlungswillige Kunden auftauchen und das Aufräumen keine rein staatliche Aufgabe bleibt.
"Es gibt jetzt all diese Betreiber, die 1.000 oder 10.000 Satelliten starten wollen. Und die meisten dieser Satelliten werden zu Weltraumschrott werden und ihre eigenen Orbits verschmutzen. Deshalb haben die Betreiber der Megakonstellationen ein klares Interesse daran, ausgediente Satelliten wieder zu entfernen."
Das Kalkül der ESA besteht darin, die Technologie jetzt erproben zu lassen, damit europäische Unternehmen später am Aufräumen verdienen können. Doch dafür müssten Aufräummissionen wie ClearSpace-1 zukünftig noch deutlich günstiger werden.
"Es kann sich sicherlich nicht lohnen, für einen Satelliten einen Aufräumsatelliten zu opfern oder hinauf zu schicken. Also müsste ein Satellit tatsächlich fähig sein, innerhalb einer Mission mehrere Objekte zu entfernen."