Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Müller: Klimaschutz ist eine Menschheitsherausforderung

Vom heute beginnenden G8-Gipfel muss nach Ansicht des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesumweltministerium, Michael Müller, ein Signal europäischer Geschlossenheit in Sachen Klimaschutz ausgehen. Mit einem Entgegenkommen von US-Präsident Bush rechne er dabei nicht, sagte Müller. Umso wichtiger sei es, dass Deutschland und Europa in dieser Frage Zusammenhalt bewiesen. Der SPD-Politiker betonte, der Plan der Bundesregierung zur Einsparung von CO2 stelle keine Maximalforderung dar, sondern einen Ausdruck der Vernunft nach den Versäumnissen der vergangenen 20 Jahre.

Moderation: Stefan Heinlein | 06.06.2007
    Stefan Heinlein: Ein Ergebnis von Heiligendamm steht bereits fest: Es ist ein Gipfel der Superlative. 19 Staats- und Regierungschefs, 2.000 Delegationsteilnehmer, 4.000 Journalisten und 16.000 Polizisten. Gesamtkosten von rund 100 Millionen Euro. Die Liste der Themen liest sich ebenso beeindruckend. Kein Problem unserer Zeit wird ausgelassen. Seit Wochen arbeitet die Bundesregierung mit Hochdruck am Erfolg des Gipfels. Punkt für Punkt wird versucht, die unterschiedlichen Interessen in einer gemeinsamen Abschlusserklärung zu bündeln. Doch ausgerechnet beim prestigeträchtigen Thema Klimawandel droht ein Scheitern der Verhandlungen. George Bush stellt sich quer und versucht, konkrete Festlegungen zu vermeiden.

    Am Telefon begrüße ich jetzt den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesumweltministerium Michael Müller (SPD). Guten Morgen Herr Müller!

    Michael Müller: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Müller, rechnen Sie noch mit einem Gipfeldurchbruch quasi in letzter Minute in Sachen Klimaschutz?

    Müller: Die Hoffnung ist da. Es ist natürlich im Augenblick eine ganz, ganz schwierige Situation. Aber oft ergibt sich ja, wenn man dann quasi nur noch im Kreis der Entscheidungsträger ist, also der Regierungschefs und der Staatschefs, dass ja dann doch noch eine Stimmung entsteht, dass man über den Schatten springt. Ich hoffe, dass das passiert, denn das Thema ist einfach zu wichtig, um die Hoffnung aufzugeben.

    Heinlein: Glauben Sie tatsächlich, dass George Bush durch Gespräche mit Angela Merkel und den anderen G8-Teilnehmern noch über seinen Schatten springen wird?

    Müller: Ich habe da im Augenblick ehrlich gesagt Zweifel, aber ich weiß nicht, worin die Zweifel begründet sind. Es gibt da unterschiedliche Interpretationen bei mir. Die eine Interpretation ist, weil er es einfach nicht will. Die andere Interpretation ist, weil die Amerikaner möglicherweise so lange warten wollen, bis sie die Weltmarktführerschaft bei den entsprechenden Effizienztechnologien haben. Beide Interpretationen sind möglich. Bei der zweiten würde ich noch eine Chance sehen. Dort kann aus meiner Sicht durch eine internationale Stimmung, durch die Kooperation zwischen den Industriestaaten Bewegung hinein kommen. Wenn das erste der Fall ist, also eine totale Verweigerung, dann hätte ich wenig Chancen.

    Heinlein: Angela Merkel hat sich ja weitgehend festgelegt. 50 Prozent CO2-Reduzierung und Begrenzung des Temperaturanstieges auf zwei Grad Celsius in den kommenden Jahrzehnten. Ist es klug von Angela Merkel, von der Bundeskanzlerin, mit dieser Maximalforderung in die Verhandlungen mit den USA zu gehen?

    Müller: Ich sehe das ja nicht unbedingt als die Maximalforderung an. Es ist im Grunde genommen schon Ausdruck der Versäumnisse der letzten 20 Jahre. Ich weise darauf hin, als wir die Debatte Ende der 80er Jahre durch die gemeinsame Konferenz von Umweltprogramm der Vereinten Nationen und Weltmeteorologiegesellschaft begonnen haben, da war es noch 1,5 Grad, die wir anstreben wollten. Dann haben wir jetzt 20 Jahre verloren und wir sind jetzt froh, wenn wir zwei Grad erleben. Nur die zwei Grad ist keine willkürliche Zahl. Wir müssen sehen: In dem IPCC-Bericht von Bangkok steht beispielsweise drin, dass zwei Grad, wenn es überschritten wird, unglaublich katastrophale Folgen hätte, insbesondere in Afrika und Asien. Ich will ein Beispiel nennen aus dem IPCC-Bericht von Brüssel. Mehr als zwei Grad bedeutet, dass auf dem afrikanischen Kontinent, wo heute schon fast 20 Prozent der Menschen hungern und an Unterernährung leiden, die Ernteerträge in den meisten Regionen noch einmal um 50 Prozent zurückgehen würden. Kann man sich eigentlich vorstellen, was das an Migrationsdruck, an Konflikten in der Welt bedeutet? Insofern ist das keine Maximalforderung, sondern Ausdruck von Vernunft.

    Heinlein: Herr Müller, angesichts dieser Bedrohungsszenarien, die wir ja alle kennen seit den letzten Tagen und Wochen, wie sollte Angela Merkel verhandeln in Heiligendamm? Alles oder nichts, oder sich letztendlich doch auf Kompromisse mit den USA einlassen, so dass es in jedem Fall ein Gipfelergebnis geben wird?

    Müller: Das wichtigste ist natürlich, dass die Deutschen und vor allem die Europäer glaubwürdig herüber bringen, worum es ihnen geht, dass das überhaupt nichts mit Taktik oder mit, wie die Chinesen vermuten, neuer Systemkonkurrenz zwischen Nord und Süd zu tun hat, die am Beispiel Umweltpolitik ausgetragen wird, sondern dass es eine Menschheitsherausforderung ist, die uns alle angeht. Da muss man schon deutlich zeigen: Die Europäer bleiben in dieser Frage zusammen. Da gibt es kein Wackeln. Wenn beides gelingt, die Glaubwürdigkeit und der Zusammenhalt, dann würde ich schon eine große Chance sehen, dass man noch was bewegen kann. Dann wäre glaube ich das beste Ergebnis, wenn man zumindest auf ein paar Zielpunkte und auf erste Schritte für einen Verständigungsprozess sich einigen könnte.

    Heinlein: Kein Wackeln. Das heißt also keine Kompromisse "alles oder nichts"?

    Müller: Nein, nicht "alles oder nichts", kein Wackeln in der Sache würde ich sagen. Es muss schon ganz, ganz klar sein, dass es hier um eine so wichtige Sache geht, dass man sich dem nicht entziehen darf. Dass ich dann doch natürlich darauf setze, dass wir wenigstens ein paar Schritte in die richtige Richtung machen, das ist klar. Ein Abbruch würde bedeuten, wir würden viel zu viel Zeit verlieren. Insofern wäre mir jeder kleine Schritt willkommen, aber ich kann nicht verhehlen: Es müsste eigentlich ein großer sein.

    Heinlein: Ist denn die von George Bush vorgeschlagene Gegenveranstaltung zum Kyoto-Prozess, seine Einladung, seine Klimainitiative ein winziger Schritt, den Sie auch begrüßen?

    Müller: Es gibt dabei drei kritische Punkte. Der erste kritische Punkt ist: Die Klimaänderungen haben eine fatale Konsequenz. Die Hauptverursacher sind nicht die Hauptbetroffenen. Die Hauptverursacher haben das Interesse, möglichst wenig zu verändern. Die Hauptbetroffenen haben das Interesse, möglichst viel zu verändern. Wenn man aber nun die Hauptbetroffenen nicht einlädt und nur unter sich bleibt bei den Hauptverursachern, wird glaube ich kein ausreichendes Ergebnis herauskommen. Insofern unter dem Dach der Vereinten Nationen ist richtig.

    Zweitens: Natürlich können wir auch mehr tun im Bereich technologischer Zusammenarbeit. Das lässt ja auch der Klimarahmenvertrag ausdrücklich offen und ich finde es wäre auch hilfreich, ein Technologieprotokoll oder was auch immer anzustreben. Das kann aber den Kyoto-Vertrag nicht ersetzen und da bin ich deshalb sauer, weil der Kyoto-Vertrag genau die Instrumente, die aus Amerika gekommen sind, ins Zentrum rückt. Die Europäer haben unglaublich viele Kompromisse in Richtung Amerika gemacht bei dem Kyoto-Vertrag, und trotzdem hat Amerika nicht mitgezogen. Das ist aus meiner Sicht auch nicht hinzunehmen.

    Der dritte entscheidende Punkt bei dem Vorschlag ist: Er dauert einfach zu lange. Wir können jetzt nicht noch mal zwei Jahre warten. Wir haben einfach alle Daten auf dem Tisch und jetzt muss man handeln.

    Heinlein: Aber die Amerikaner wollen ja keine Festlegung auf verbindliche Klimaschutzziele. Das hat George Bush im Vorfeld klar gemacht. Er will einen anderen Weg: verstärkte Forschung und Entwicklung neuer Technologien, also quasi einen marktwirtschaftlichen Weg in Sachen Klimaschutz. Warum ist denn dieser Weg falsch?

    Müller: Wir gehen auch einen marktwirtschaftlichen Weg mit dem Emissionshandel. Der Emissionshandel ist sozusagen das marktwirtschaftliche Instrument, das aus dem amerikanischen Umweltrecht kommt. Wir haben das voll übernommen. Was will man denn noch machen? Und die technologische Partnerschaft ist ja schon im Kyoto-Vertrag angelegt.

    Nein, es geht nicht darum, was wir tun könnten. Es geht darum, was wir tun. Genau da ist der Widerspruch.

    Heinlein: Aber die Amerikaner wollen einen quasi freiwilligen Weg. Verbraucher und Unternehmen sollen selbst festlegen, was notwendig ist in Sachen Klimaschutz. Ein Freispiel der Kräfte. Das ist ein anderes Politikverständnis?

    Müller: Die Mehrheit der amerikanischen Städte, die Mehrheit der amerikanischen Bundesstaaten folgt in dieser Frage Washington nicht. Das ist die Realität und die Realität heißt, die amerikanische Regierung ist im Augenblick in einer ganz schwierigen Situation. Sie haben geglaubt, durch Verweigerung könnten sie aus der Klimaproblematik heraus kommen, und jetzt sieht man, Amerika wird von der Problematik eingeholt und sie müssen Zugeständnisse machen. Die amerikanische Regierung hat das Thema schlicht und einfach in der Dynamik unterschätzt.

    Heinlein: Herr Müller, Frage zum Schluss: Angela Merkel hat im Vorfeld von Heiligendamm die Rolle Ihrer Partei, der SPD, bei der Vorbereitung des Gipfels ausdrücklich gelobt. Können Sie dieses Kompliment bisher an die Kanzlerin zurückgeben?

    Müller: Ich finde sie macht eine gute Figur und das sollte man auch anerkennen. Ich finde, dass sie an das anknüpft, was sie bei den Verhandlungen des Kyoto-Vertrages zwischen 1994 und '98 auch gemacht hat. Dass wir dann allerdings davon auch mehr im eigenen Land umsetzen müssen, gehört dann allerdings auch dazu.

    Heinlein: Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium Michael Müller heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Müller: Bitte schön!