Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Müller: Parteitag ist Beginn einer selbstkritischen Diskussion

Der Chef des Berliner SPD-Landesverbandes, Michael Müller, sieht den Leitantrag seiner Partei als gute Diskussionsgrundlage für den heute beginnenden Bundesparteitag. Man müsse nun analysieren, wie die Partei ihre Glaubwürdigkeit wieder herstellen kann und wie Korrekturen in der Arbeitsmarktpolitik aussehen könnten.

Michael Müller im Gespräch mit Silvia Engels | 13.11.2009
    Silvia Engels: In Dresden beginnt heute der SPD-Bundesparteitag in bewegten Zeiten. Zum einen soll Sigmar Gabriel neuer Parteichef werden, Andrea Nahles Generalsekretärin. Daneben will die Partei nach den 23 Prozent bei der Bundestagswahl nach Gründen für die Niederlage suchen. Kurz nach den Wahlen hatte der Berliner SPD-Landesverband schon eine Resolution vorgelegt. Darin kritisierten die Unterzeichner die damalige Ablehnung von Koalitionen mit der Linkspartei und das zögerliche Agieren der Parteispitze. Sie forderten ein klares soziales Profil der SPD. Mitunterzeichner war damals der Landeschef der Berliner SPD, Michael Müller. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Müller.

    Michael Müller: Schönen guten Morgen!

    Engels: Der designierte Parteichef Sigmar Gabriel hat ja Teile Ihrer Kritik schon übernommen. Sind Sie schon zufrieden?

    Müller: Na ja, darum geht es ja nicht, dass man sich da nun irgendwie mit einer Resolution durchsetzt oder so, sondern es geht ja darum, dass wir einen Diskussionsprozess in der Partei haben um die Dinge, die man besser machen kann und da freue ich mich natürlich darüber, dass jetzt die neue Parteispitze, die sich ja abzeichnet, die mit Sicherheit heute in Dresden gewählt wird, diese Diskussion aufnimmt und auch selbstkritisch diskutiert und sagt, ja, beim Thema Glaubwürdigkeit oder bei einigen anderen Themen, die korrigiert werden müssen, da müssen wir was verbessern, da müssen wir besser sein als in der letzten Zeit. Das finden wir gut.

    Engels: Sie haben in dieser Resolution formuliert, "eine Politik der Mitte ohne festes Standbein im traditionellen Wählermilieu findet offensichtlich keine Akzeptanz". Was leiten Sie daraus ab?

    Müller: Das Entscheidende ist eben wirklich, dass wir das größte Pfund, das wir immer als Sozialdemokraten haben, nicht verspielen, nämlich dass wir die Partei der sozialen Gerechtigkeit sind. Offensichtlich war es in den letzten Wahlen so, nicht nur bei der Bundestagswahl, sondern man muss ja auch die Landtagswahlen sehen, die davor gelegen haben, dass viele Menschen uns nicht mehr abgenommen haben, dass wir es wirklich ernst meinen mit diesem Thema soziale Gerechtigkeit, sondern dass wir durchaus auch gucken, dass wir in der Wirtschaft, dass wir in dieser neuen Mitte, dass wir bei denjenigen, denen es sehr gut geht, genauso Ansprechpartner sind. Das ist als Volkspartei auch nicht falsch, breite Wählerschichten anzusprechen. Aber man muss immer sehen, dass diejenigen, die wirklich unsere Unterstützung brauchen, die auf unsere Solidarität rechnen müssen, sich von unserer Politik angesprochen fühlen, und da lag in den letzten Jahren offensichtlich einiges im Argen.

    Engels: Dann schauen wir auf die Inhalte. Der Sprecher der Linken der Berliner SPD, Mark Rackles, lehnt den Leitantrag der Bundesparteiführung ab. Er enthalte keine echte Perspektive nach vorne. Hat er recht?

    Müller: Die Kritik teile ich so nicht, weil dieser Leitantrag ist jetzt eine Diskussionsgrundlage. Das sagt ja Sigmar Gabriel, Andrea Nahles, auch alle anderen ganz deutlich. Mit dem heutigen Parteitag gehen wir einen großen Schritt nach vorne und wir öffnen uns einer selbstkritischen Diskussion, aber die ist damit nicht abgeschlossen. Dieser Leitantrag, der vorliegt, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Diskussionsgrundlage. Keiner von uns hat die Weisheit mit Löffeln gefressen, keiner von uns kann wirklich abschließend heute schon Antworten geben, aber deswegen muss man eben miteinander reden, mehr als wir es in den letzten Jahren getan haben, und das bietet dieser Leitantrag durchaus als Diskussionsgrundlage.

    Engels: Differenzierte Debatte ist das eine, aber Schlagzeilen sind das andere. Muss am Ende dieses Parteitages die Abschaffung der Rente mit 67 als Forderung stehen?

    Müller: Nein, darum geht es nicht. Es geht darum, durchaus in einigen Themenfeldern auch die Kraft zu haben, sich zu korrigieren. Man muss ja nicht immer mit dem Kopf gegen die Wand rennen und die Wählerinnen und Wähler haben uns ganz deutlich gesagt, dass sie einige Dinge auch so nicht akzeptieren wollen, wie wir es in der bisherigen Zeit diskutiert haben. Aber es geht nicht darum, jetzt einen oder zwei Punkte zu korrigieren und zu sagen, dann ist alles gut, sondern es muss ein Paket sein: Wie halten wir es mit der Arbeitsmarktpolitik, wie halten wir es mit Altersarmut, wie schaffen wir eine Voraussetzung, dass Menschen auch im Alter ein vernünftiges Auskommen haben? Dazu gehört dann natürlich auch Rente mit 67 und ich glaube, da haben wir auch noch nicht zu Ende gedacht. Aber nur zwei Dinge zu korrigieren und zu sagen, das war es, das ist mit Sicherheit zu dünn.

    Engels: Geht es nicht etwas konkreter? Was fordert der Berliner Landesverband?

    Müller: Wir fordern zum Beispiel, dass wir uns stärker abgrenzen von anderen Parteien und die Positionen, die wir gefunden haben, auch deutlicher formulieren. Ich nenne da als Beispiel immer unseren Beschluss zum Thema Privatisierung, Bahnprivatisierung. Das war ein schwieriger Diskussionsprozess, über ein Jahr in der Partei diskutiert. Dann haben wir endlich gesagt, wir wollen keine Privatisierung in den Bereichen der Daseinsvorsorge, und dann wird das verschämt mit einem Satz in unser Wahlprogramm geschrieben. Warum? Warum sagen wir das nicht deutlicher, mit der SPD wird es keine Privatisierung in der Daseinsvorsorge geben? Das müssen wir machen. Wir müssen deutlicher unsere Position formulieren und dann müssen sich die anderen Parteien an uns abarbeiten und nicht umgekehrt.

    Engels: Der Berliner Landesverband gilt als recht links und in Berlin regiert seit Jahren ein rot-rotes Bündnis. Trotzdem hat auch der Berliner Landesverband bei den Bundestagswahlen schwer verloren. Ein Linksruck kann also nicht helfen, um wieder mehrheitsfähig im Bund zu werden, oder?

    Müller: Nein. Darum geht es auch nicht, irgendeiner Partei hinterherzurennen, und diese alberne Debatte, wir müssen nur der Linkspartei uns öffnen - gar nicht, sondern wir müssen mehrere Optionen haben und dazu gehört auch die Linkspartei. Darum geht es auf Bundesebene, aber sich nicht nur weiter nach links zu öffnen, das alleine ist es auch nicht. Bei uns auf Berliner Ebene – das sagen wir auch als Berliner SPD ganz selbstkritisch – ist auch einiges nicht vernünftig gelaufen, was wir in der Stadt zu verantworten haben. Wir zeigen da auch nicht nur auf die Bundesebene. Wie sind wir mit Themen umgegangen, mit Volksbegehren zum Beispiel in der Stadt? Wie sind wir umgegangen mit den Kürzungen im öffentlichen Dienst? Wie haben wir kommuniziert mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern? Da haben wir auch vor unserer eigenen Haustür etwas zu verbessern, das ist völlig klar.

    Engels: Der Parteitag heute wird ja vom scheidenden Parteichef Franz Müntefering mit einer Rede beginnen. Wollen Sie ganz persönlich auch Kritik an ihm loswerden?

    Müller: Nein. Wir werden eine Aussprache führen, da werden sich auch mit Sicherheit Berliner Delegierte zu Wort melden, aber es geht auch an der Stelle – ich habe das eben schon deutlich gemacht – ja nicht darum, mit dem Finger nur auf andere zu zeigen, sondern wir gemeinsam haben einen Bundestagswahlkampf geführt. Wir gemeinsam waren die SPD in den letzten Jahren und dann müssen wir uns auch alle miteinander fragen, was wir nach dieser Niederlage, die wir alle zu verantworten haben, besser machen können. Jeder hat seine Rolle gespielt. Das ist deutlich geworden in den letzten Wochen, das wird bestimmt auch auf dem Parteitag heute deutlich werden. Aber da ist nicht einer, oder da sind nicht drei alleine verantwortlich, und das werden wir auch als Berliner Genossen deutlich machen, dass es darum nicht geht, irgendjemand einfach die Schuld zuzuschieben.

    Engels: Im Bund sind Sie nun den schweren Spagat zwischen Wünschenswertem auf der einen Seite und Last der Regierungsverantwortung auf der anderen Seite los. Ist das für die SPD auch ganz gut?

    Müller: Nein, überhaupt nicht. Da bin ich hundertprozentig Franz Münteferings Meinung: Opposition ist Mist. Wir erleben das ja schon in den ersten Tagen. Diese Katastrophe, die Schwarz-Gelb da lostritt, das ist ja wirklich unglaublich, allein in der Bildungspolitik mit diesem Betreuungsgeld, und wir können das jetzt nur noch kommentieren. Wir können nicht mehr wirklich eingreifen und steuern und unsere eigene Politik durchsetzen. Deswegen ist es überhaupt nicht gut, in der Opposition zu sitzen. Aber wir müssen es nun so machen, die Wählerinnen und Wähler haben entschieden und dann darf man auch nicht rumlamentieren, sondern dann muss man es in vier Jahren einfach besser machen und besser bei den Wahlen abschneiden.

    Engels: Michael Müller, Landeschef der Berliner SPD. Vielen Dank für das Gespräch.

    Müller: Ich danke Ihnen.