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Müllskandal in Sachsen-Anhalt

Mehr als 90 Prozent der Deutschen trennen ihren Müll, Umfragen zufolge sieht die übergroße Mehrheit in der Mülltrennung einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz. Manchmal allerdings kommt auf der Kippe wieder zusammen, was nicht zusammen gehört. In Sachsen-Anhalt soll ein Entsorgungsunternehmen Bauabfälle mit Plastikmüll vermischt und abgekippt haben.

Von Susanne Arlt | 11.04.2008
    Seit 2005 dürfen Entsorgungsunternehmen Haus- und Gewerbemüll nicht mehr auf Deponien lagern. Der Abfall muss sortiert und recycelt werden. Was übrig bleibt, wird verbrannt. In Kies- oder Tongruben dürfen nur noch nichtorganische Stoffe wie Kies oder Sand verfüllt werden. Trotzdem kam im vergangenen Jahr in den Sortieranlagen immer weniger Müll an. Dem Markt seien irgendwo enorme Abfallmengen entzogen worden, klagt Jörg Schulze. Der Betreiber von zwei Sortieranlagen ist auch im Vorstand des Kompetenznetzwerkes Mitteldeutsche Entsorgungswirtschaft.

    "Die erste Vermutung war, dass es vielleicht preisliche Veränderungen in der Müllverbrennung gegeben hat, die den Stoffstrom in die Müllverbrennungsanlagen kanalisiert hat. Die zweite Vermutung war, dass legal oder illegal es Möglichkeiten gegeben hat, bestimmte Stoffströme in den Bergversatz einzubringen. Weil, ohne dass jetzt belegen zu können, doch zwischen dem Abfallrecht und Bergversatzrecht Unterschiede existent sein konnten. Oder aber vielleicht auch illegale Abfallverbringung stattgefunden hat."

    Inzwischen hat sich letzterer Verdacht erhärtet: Im Jerichower Land wurde von demselben Betreiber vermutlich Haus- und Gewerbemüll zuerst kleingeschreddert, dann mit Bauschutt vermischt und schließlich in großen Mengen illegal in zwei Tagebaugruben verfüllt. Das Landesbergamt entnahm im März Proben. Der gemessene TOC-Gehalt, das ist der totale organische Kohlenstoffgehalt, lag bei 28 Prozent. Damit übersteigt er den nach neuem Bodenschutzrecht zugelassen Wert um das neunfache.

    Das Unternehmen streitet ab, illegal Müll in die Gruben verfüllt zu haben. Doch sicher ist, dass diese Art der Entsorgung billiger ist, als den Müll legal zu verbrennen. Eine Tonne Müllverbrennung koste bei mittelständischen Betrieben um die 100 Euro, sagen Branchenkenner, eine illegale Entsorgung dagegen weniger als die Hälfte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, und inzwischen sind noch mehr Fälle bekannt worden. Im Süden von Sachsen-Anhalt sollen zwei Entsorgungsunternehmen mehrere 10.000 Tonnen Bauabfälle mit Plastikmüll vermischt, falsch deklariert und als Abdeckung für Kalihalden und in Gruben illegal entsorgt haben. Doch bei dem Müllskandal geht es nicht nur um die rechtswidrige Ablagerung von Stoffen. Es gehe auch um die mangelhafte Aufsicht durch die zuständigen Behörden, sagt Gerry Kley, Vorsitzender des Umweltausschusses und FDP-Mitglied.

    "So was färbt natürlich ab auf die Unternehmer, die dann offensichtlich denken, in Sachsen-Anhalt die Chance zu haben, Abfälle zu entsorgen, die normalerweise in die Verbrennungsanlage gehören."

    Schon Mitte vergangenen Jahres hätten das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium von den Unstimmigkeiten gewusst. Inzwischen räumen beide Ministerien ein, dass sie ihre Überwachungstätigkeiten verbessern müssen. Umweltministerin Petra Wernicke hat darum alle Landräte heute in ihr Ministerium eingeladen, um ihnen ins Gewissen zu reden. In den meisten Fällen ist es Aufgabe der Landkreise als untere Abfallbehörde die über 1000 Anlagen in Sachsen-Anhalt zu kontrollieren. Dazu gehören Sortieranlagen, Schreddermaschinen, Recyclingunternehmen und auch Tagebaulagerstätten.

    "Wir haben uns schon zu fragen, haben die zuständigen Behörden genug Personal, haben sie genug technische Ausstattung, ist das Personal qualifiziert genug, um das auch einschätzen zu können. Über die Rechtslücken haben wir uns auch schon gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium verständigt, die Zuständigkeiten sind noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Also alles in allem haben wir schon Abstimmungs- und Handlungsbedarf."

    Nach dem neuen Bundesbodenschutzgesetz dürfen in Sachsen-Anhalt seit 2006 nur noch rein mineralische Stoffe in Tagebaurestlöcher verfüllt werden. Alte Genehmigungen müssen darum umgestellt werden. Das Umweltministerium hat inzwischen fast die Hälfte seiner Grubengenehmigungen angepasst. 75 der insgesamt etwa 200 Gruben sind jedoch dem Wirtschaftsministerium unterstellt. Das Landesamt für Bergwesen führt dort die Kontrollen durch und verschickte bislang nur dann neue Bescheide, wenn die Betriebsgenehmigungen ausliefen. Kritiker vermuten, dass diese Praxis die illegale Müllentsorgung in den zwei Gruben im Jerichower Land begünstigt habe. Peter Klamser, neuer Präsident des Bergamtes, verteidigt die Strategie.

    "Die Frage ist, dass sie die Dynamik aber auch rechtssicher umsetzen müssen. Das ist nicht mit Hauruckmethoden getan. Da sind die Gerichte ganz eng und prüfen das ganz genau, ob wir hier unverhältnismäßig handeln."

    Ein Urteil des Magdeburger Verwaltungsgerichts gibt seinen Befürchtungen jetzt recht. Es hob vor zwei Tagen den verhängten Einlieferungsstopp für die Abfälle in einer der Tongruben im Jerichower Land auf. Das Gericht akzeptiert den Runderlass des Landes in Sachen Bodenschutzrecht nicht als eine Rechtsform. Jetzt seien die Bundespolitiker gefragt, sagt Klamser. Sie sollten endlich eine Bundesverordnung für den Tagebau beschließen.