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Müllverbrennung im Trinkwasserschutzgebiet

Ungeachtet scharfer Proteste von Anwohnern hat das Regierungspräsidium Kassel den Bau eines Industrieheizkraftwerks im nordhessischen Korbach genehmigt. Die Müllverbrennung soll mitten in einem Trinkwasserschutzgebiet erfolgen. Nun erwägen die Gegner eine Klage.

Von Anke Petermann | 12.07.2007
    Am Bahnhof Korbach ragt ein Schlot des Continental-Werks empor. Nicht weit davon wird das neue Industrieheizkraftwerk schon hochgezogen - vorzeitiger Baubeginn, genehmigt schon im Frühjahr auf Risiko des Betreibers. Es riecht vage nach verbranntem Gummi. "In dieser Hochkessellage haben wir oft dicke Luft", sagt Julia Günther-Pusch, Sprecherin des Aktionsbündnisses "Lebenswertes Korbach":

    "Es ist so, dass wir in Korbach schon jetzt eine besorgniserregende Belastung von Luft, Wasser und Boden haben. Die geht in erster Linie vom bestehenden Continental-Werk aus, welches 90 Prozent der Abgase aus der Reifenproduktion ungefiltert über die Stadt entlässt. Und nach unseren Berechnungen handelt es sich da um 380 Tonnen Lösemittel pro Jahr, große Mengen an Feinstäuben und Ruß, Kohlenstäuben. Es werden auch Weichmacher emittiert, die das Hormonsystem schädigen."

    Ein Reifenhersteller, der Schadstoffe über Dachluken und Fenster raus bläst? Alles im grünen Bereich, so das Regierungspräsidium Kassel: kein Handlungsbedarf. Für jedes Werk eine Absauganlage, das sei nicht zumutbar, sagt eine Expertin der Behörde.

    Nicht zumutbar und empörend finden dagegen Korbacher Bürger, dass ihnen jetzt mit der Müllverbrennungsanlage eine weitere Schadstoffquelle vor die Nase gebaut wird, ohne dass die Vorbelastung in der Stadt untersucht wurde. Regierungspräsident Lutz Klein:

    "Die Vorbelastungsuntersuchungen sind nicht erforderlich. Es geht nicht nach dem Wunschdenken einzelner Bürger oder Bürgerinitiativen, sondern wir wenden geltendes Recht an, das ist das Bundesimmissionsschutzgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz. Und da sind anerkannt weltweit sehr hohe Standards berücksichtigt. Von daher glauben wir, dass wir auf einem guten Weg sind."

    Das bezweifeln viele im voll besetzten Saal. Warum darf die Mannheimer MVV eine Müllverbrennungsanlage ins Trinkwasserschutzgebiet klotzen, warum baut derselbe Betrieb am Heimatstandort Mannheim mit besseren Filteranlagen? Offene Fragen:

    "Es gibt Störfälle, da brennen die Anlagen drei bis vier Tage, und wenn ich die Berechnungen aus den Antragsunterlagen sehe, wie viel Löschwasser dort anfällt. Ich möchte nur eine Zahl. Die Feuerwehr darf drei Stunden löschen, und dann ist der Bunker voll."

    Man scheint den Eindruck zu teilen: alles vorher abgekartetes Spiel, der große Arbeitgeber Continental und die CDU-Landesregierung haben Druck gemacht, die untergeordnete Behörde hat klein beigeben. Regierungspräsident Lutz Klein widerspricht, die 3000 Einwendungen seien sorgfältig abgearbeitet und widerlegt worden. Und in Hinsicht auf tosenden Applaus für Vertreter der Bürgerinitiative:

    "Nicht die 24.000 applaudieren, sondern 200 oder 300."

    "5000 Unterschriften!"

    "Ja, 5000 sind immer noch keine 24.000."

    Da springen die ersten wutschnaubend auf und verlassen den Saal:

    "Aus genau dem Grunde, weil ich das eine absolute Frechheit finde."

    Wer bleibt, bekommt zu hören, dass aus dem doppelwandigen Bunker für die Abfallanlieferung keine Schadstoffe ins Grundwasser gelangen können, dass im Störfall kein Löschwasser die Kanalisation erreicht, dass die Rauchgasreinigung dem Stand der Technik entspricht und die Emissionen im zulässigen Bereich liegen. Doch die Behördenvertreter mühen sich umsonst ab: Den Verdacht, dass ein großstädtischer Energieversorger den Menschen in der nordhessischen Provinz abseits medialer Aufmerksamkeit einen Dinosaurier der Technik unterjubeln will, können sie nicht ausräumen. Der Genehmigungsbescheid ist nicht das Ende des Protests, sagt Harald Rücker von der Bürgerinitiative:

    "Wir werden sofort in die juristische Prüfung der Genehmigung gehen und sehen eine Klage als unabdingbar."