Donnerstag, 28. März 2024

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München
Lärmschutzmauer für ungenutzes Flüchtlingsheim

Vor einem Jahr waren die Medien voll davon: München baut eine vier Meter hohe Mauer gegen Flüchtlinge. Als Lärmschutzmaßnahme vor einer geplanten Unterkunft. Höher als die Berliner Mauer und von den Nachbarn erklagt. Heute, ein Jahr später steht die Mauer immer noch. Und kein einziger Flüchtling lebte bislang in der Unterkunft.

Von Susanne Lettenbauer | 07.11.2017
    Eine Lärmschutzwand ist in München (Bayern) auf der Baustelle für eine Flüchtlingsunterkunft zu sehen. Anwohner hatten die Mauer als Lärmschutz im Stadtteil Neuperlach durchgesetzt. Die Unterkunft für jugendliche Flüchtlinge ist noch nicht in Betrieb.
    Seit einem Jahr da: Die Lärmschutzwand um das Flüchtlingswohnheim im Münchener Stadteil Neuperlach (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
    "Was heißt das hier? Bridges? Build bridges not war. Genau. Baut Brücken keine Mauern. Das steht auch schon länger da. Das sollte eigentlich übermalt werden. Hat man aber eingestellt, jetzt schaut man erstmal."
    Gemeinsam mit Walter Meyer stehe ich im Gras vor der Mauer, DER Mauer von München. Eine simple Gabionenwand aus Gitterelementen, mit Steinen verfüllt. Wir buchstabieren das Graffitti, was Jugendliche irgendwann trotzig hingesprüht haben, nachdem die Stadt München das erste, zweite, dritte – Walter Meyer weiß gar nicht mehr wie viele – Graffitti übermalen ließ. Auf der anderen Seite steht:
    "Walls create strangers, Mauern schaffen Fremde, das ist mehrfach gewechselt worden, das hätte schon längst weggepinselt werden sollen, hat das Jugendamt gesagt, aber das hat man wohl aufgegeben."
    Walter Meyer vom Helferkreis Nailastraße, im Hintergrund die Lärmschutzmauer
    Haustüren wurden schnell verschlossen
    Es ist ein Déja-vu der besonderen Art. Vor einem Jahr stand ich schon einmal dort. Mit vielen Fernsehteams aus aller Welt. Die Anwohner versuchten schnellen Schrittes den eilends hingehaltenen Mikrofonen zu entgehen. Haustüren der sorgsam gepflegten Reihenhäuschen wurden schnell verschlossen.
    Noch immer ist das "Wohngebiet im Süden der Stadt, nichts besonderes, kleine Reihenhäuser. In Sichtweite stehen noch immer die mehrstöckigen Sozialbauten von einer der größten Großwohnsiedlungen Deutschlands". Nur der Schneeregen vom vergangenen Jahr fehlt.
    Es sei doch nur eine Lärmschutzwand wie üblich bei Spiel- und Bolzplätzen, hiess es damals von den Anwohnern. Die Stadtverwaltung habe nach einem Gutachten sogar viereinhalb Meter empfohlen.
    1.600 Euro pro Monat
    "Die Mauer hat so 200 000 Euro gekostet und wir haben ja auch Fixkosten: 1600 Euro kostet der Sicherheitsdienst pro Monat, der fährt zweimal am Tag vorbei. Polizei achtet auch drauf. Dann muss das Ding ja jetzt beheizt werden, das kostet ja alles Geld."
    Steuergelder meint Walter Meyer, zwar nicht so deutlich, aber:
    "Das ist ein Trauerspiel. Muss ich wirklich sagen. Wir vom Helferkreis sind auch nie eingebunden worden. Die Politik versagt halt. Die haben keine Kreativität, keinen Plan, die lassen das schleifen."
    Um die 45 Mitglieder waren sie im Helferkreis noch vor einem halben Jahr, eine Webseite wurde entwickelt, jeder beantragte ein erweitertes Führungszeugnis, bekam einen Helferausweis, ein Ehrenamtsvertrag wurde unterschrieben, alle absolvierten eine mehrtägige Schulung für den Umgang mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen:
    "All das haben wir organisiert, alles war da, wir haben ein Spendenkonto, das braucht man nur scharf zu schalten. Es ist nicht."
    Anfang 2016 sollte die Flüchtlingsunterkunft in der Nailastraße bezugsfertig sein. Mit 320 Plätzen. Kurz darauf rechnete man nur noch mit 160 Plätzen, zum Schluss mit 80. Nach der Klage der Anwohner und dem Bau der Mauer wurde es April 2017, bis die zweistöckige, weißgetünchte Einrichtung mit den mediterran anmutenden bodenlangen Fenstern und meerblauen Fensterläden fertig war. Seitdem steht sie leer.
    Wasserleitung spülen, Heizung kontrollieren
    Ein Mitarbeiter vom Baureferat kommt aus dem Gebäude, macht das Licht aus. Alle zwei Tage müsse er die Wasserleitungen spülen, damit sich nichts festsetzt und die Heizung kontrollieren. Vor dem Mikrofon sagt er lieber nichts.
    Waltzer Meyer redet sich richtig in Rage. In einer Stadt wie München, wo Wohnungen extrem knapp sind, hätten längst andere Menschen dort einziehen können:
    "Das ist das Problem überhaupt. Das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Referaten. Da schaut jeder erstmal auf seine Interessen, möglichst keinen Ärger und so geht das wie ein Pingpongball hin und her."
    "Ich denke, dass kann man ganz locker, die sind ja nur hier oben verbunden, und dann irgendwo anders aufbauen. Die werden ja an jeder Autobahn, wird das ja verwendet. Kein Problem, kostet nur eben wieder Geld, das wegzutun. Aber das ist eh schon Wurscht."
    Gleich neben der umstrittenen Mauer wohnt Familie Reich. Sie gehörte zur Klägergemeinschaft, die vor Gericht gegen die Flüchtlingsunterkunft vorgingen. [*]
    "Also ich bin auch erstaunt, dass da bisher niemand eingezogen ist, aber der Presse habe ich entnommen, dass es sich für das Betreiberkonsortium nicht rechnet, eine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge zu betreiben."
    Weltweite Resonanz und Empörung
    Man sei vor einem Jahr einfach nicht in die Planungen mit einbezogen worden, kritisieren die ehemaligen Kläger. Sie seien völlig überrascht worden von der weltweiten Resonanz und Empörung über diese Lärmschutzwand. Im Prinzip sei das Thema aber gegessen für ihn, ergänzt Stephan Reich:
    "Also wir als Nachbarn haben die Lärmschutzmaßnahme mit der Stadt ausgehandelt, die wurde jetzt gebaut und uns ist es jetzt recht, wenn da jemand einzieht. Und wenn es jugendliche Minderjährige sind dann ist ja für uns am Abend und am Wochenende als Lärmschutzmaßnahme Vorsorge getroffen."
    Tatsächlich sei die Zahl der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge massiv zurückgegangen, sagt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Trägervereine wie Condrobs, der Sozialdienst Katholischer Frauen SKF oder der Heilpädagogische Kinder- und Jugendhilfe eV HPKJ schauen mittlerweile ganz genau hin, ob sich der Betrieb einer Flüchtlingsunterkunft für sie lohnt. Der HPKJ klagt derzeit gegen die Stadt München, weil man auf Kosten sitzengeblieben ist, der Stadt München ihrerseits fehlen Gelder vom Freistaat, weil da geschlampt wurde.
    Natürlich gäbe es aber noch immer Bedarf an Unterkünften zum Beispiel für geflüchtete Mütter mit Kindern, sagt Dünnwald. Rechtlich gesehen dürften die aber nicht in der Nailastraße wohnen, weil nur Asylbewerber mit Ausnahmegenehmigung in einem Gewerbegebiet untergebracht werden dürfen, keine anerkannten Flüchtlinge, keine Obdachlosen oder Studenten:
    "Also man kann das jetzt nicht so einfach in Wohnungen ummünzen ohne dass man dieses Gebiet umdefiniert und sagt, das ist kein Gewerbegebiet mehr, sondern ein Mischgebiet, das würde dann wieder ein, zwei Jahre dauern, bis sowas funktionieren würde."
    Übermorgen, am Donnerstag, muss das Sozialreferat endgültig einen Vorschlag vorlegen, wie sie die ungenutzte Einrichtung hinter der Mauer nutzen will. Gestern abend ging nun die Mitteilung von Sozialreferentin Dorothee Schiwy raus:
    "Das Sozialreferat hat mit dem Träger der Unterkunft an der Rosenheimer Straße eine Vereinbarung getroffen, wonach die dort lebenden alleinerziehenden Mütter mit ihren Kindern mit Fluchthintergrund in die neu errichtete Unterkunft an der Nailastraße wechseln können. Bereits in zwei bis drei Wochen beginnt der Umzug."

    [*] Wir haben eine Kürzung aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre vorgenommen.