Umgangsrechte und häusliche Gewalt

Kein Entkommen, auch nach der Trennung

07:57 Minuten
Mutter und Kind mit großer Faust im Hintergrund (Illustration)
Viele von Gewalt betroffene Frauen machen die Erfahrung: Der Rechtsstaat schützt mich und meine Kinder nicht. © imago /Neil Webb
Von Fanny Kniestedt · 21.12.2020
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Verlassen Frauen ihren gewalttätigen Partner, stehen sie oft vor einem Problem: Die gemeinsamen Kinder sollen weiter Umgang mit ihrem Vater haben. Den Kontakt ganz abzubrechen, ist daher kaum möglich. Eine bedrohliche Situation für Kinder und Mutter.
Selbst, wenn es Frauen schaffen, sich nach manchmal jahrelanger Gewalterfahrung von ihrem Partner zu trennen ist es nahezu unmöglich, sich und ihre Kinder dem Täter zu entziehen. Denn auch gewalttätige Väter haben gesetzlich ein Recht darauf, ihre Kinder zu sehen. Eine Mitarbeiterin einer Frauenberatungsstelle – sie möchte aus Sicherheitsgründen anonym bleiben – sagt: Das Jugendamt und Familiengericht drängen oft auf Umgang, geben dabei kaum Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Und sie nehmen die Mütter in die Verantwortung.
"Es ist schwierig, begleitete beschützte Umgänge zu erreichen, weil oft gesagt wird, das dauert viel zu lange. Es gibt einfach viel zu wenige Beratungsstellen, die den begleiteten Umgang anbieten, sodass eher dann gedrängt wird ‚die Frau kann doch selber begleiten oder die Oma oder so. Aber das ist nicht das, was gebraucht wird, wenn es häusliche Gewalt gab und wenn es eine Wegweisung durch die Polizei gab und wenn auch der Antrag auf Kontakt- und Näherungsverbot gestellt wurde, dann ist es einfach unumgänglich, dass eine Fachberatungsstelle Sorge mit dafür trägt, dass die Frau geschützt ist und es nicht in den Übergaben zu einer weiteren Gewalt gegen die Mutter kommt."

Denn gerade in solchen Momenten kommt es vermehrt zu Gewalt, wie auch Studien belegen. Das größte Problem in Umgangsverfahren sei, so Anwältin Nadine Maiwald, Gewalt nachzuweisen.
"Der Regelfall ist dann eher der Fall, dass der Täter gegenüber dem Jugendamt auftritt, die Gewalt abstreitet und sagt: Das stimmt alles gar nicht. Die will mir nur die Kinder wegnehmen. Dann bleibt der Frau eigentlich nur noch, zum Anwalt zu gehen, zur Anwältin zu gehen und zu gucken, was hat man: Gab es Strafanzeigen, gab es Strafverfahren, gibt es Verurteilungen, gibt es ärztliche Atteste? Was ist mit den Kindern? Gibt es bei den Kindern irgendwelche Verhaltensauffälligkeiten? Was sagt denn die Schule, was sagen Kindertagesstätten? Sonst hat die Mutter das Problem: Sie ist diejenige, die das beweisen muss, und es gibt niemanden, der ihre Angaben so bestätigt. Und wenn ich all das nicht habe, dann muss das Familiengericht zugunsten des Umgangs entscheiden. Es gibt nicht: im Zweifel gegen den Umgang. Sondern im Zweifel ist es für den Umgang."

Auch Gewalttäter können Umgang einfordern

Meist gehen psychische und körperliche Gewalt Hand in Hand. Auch deswegen erstatten Frauen nur selten Anzeige. Zudem machen viele Frauen, wie diese Betroffene, die Erfahrung: Der Rechtsstaat schützt mich und meine Kinder nicht. Auch sie möchte anonym bleiben.
"Eine Verhaltenstherapeutin stellte fest, dass Hinweise dafür bestehen, dass meine Tochter sexuelle Handlungen erlebt, mit angesehen, miterlebt und, oder in Form pornografischen Materials gesehen haben kann. Gegenüber der Verhaltenstherapeutin ist der Kindsvater als vermeintlicher Jurist aufgetreten und hat unter Drohung mit Klage von ihr die Patientenunterlagen verlangt. Ende Oktober 2011 kehrte mein Sohn nach dem väterlichen Umgang mit großflächigen Hämatomen am Oberarm zurück. Diese hatte ihm der Kindsvater zugefügt, indem er ihn heftig am Arm gezerrt hatte. In beiden Fällen unternahm weder das in Kenntnis gesetzte Jugendamt noch das Gericht etwas."
Selbst bei eindeutig verurteilten Gewalttätern, selbst, wenn der Vater die Mutter getötet hat, kann dieser nach verbüßter Strafe Umgang einfordern. Immer unter der Prämisse: zum Wohle des Kindes. Gewalt gegen die Mutter ist kein Grund, den Umgang mit dem Kind nicht zu gewähren. Denn der Vater war ja nicht dem Kind gegenüber gewalttätig. Lisa Baumann ist Traumapädagogin und arbeitet mit Kindern, die Gewalterfahrungen haben. Sie weiß: Kinder sind immer betroffen.
"Wenn die Gewalt passiert, hat man nicht noch den Blick, was passiert in meinem Rücken. Und da stehen oft die Kinder oder sie sitzen auf der Treppe und schauen zu. Aber auch, wenn sie nicht zuschauen und nur im Bett liegen und das hören, hören sie es trotzdem. Ich nehme an, dass das häufig nicht mit auf dem Schirm ist: dass die Kinder immer da sind und immer direkt, egal wie, mit beteiligt sind."

Jeder kann Verfahrensbeistand werden

Ängste, Schuldgefühle, Konzentrationsstörungen, Selbstverletzungen sind Spuren, die die Gewalt bei Kindern hinterlassen kann. Trotzdem soll die Mutter im Sinne des Umgangs positiv auf das Kind einwirken, so steht es im Kindschaftsrecht. Die eigenen Bedürfnisse zu formulieren, ist für die Kinder in den Umgangsverfahren schwer. Dabei gibt es ein Verfahrensbeistand. Doch es gibt keine Qualitätsstandards. Jeder, der will, kann diesen Beruf ausüben, sagt Anwältin Maiwald.
"Es ist die Person, die mit dem Kind wirklich redet. Sie geht in die Haushalte, hört sie im Haushalt der Mutter an, hört sie im Haushalt des Vaters an und versucht herauszubekommen, was dieses Kind sich wünscht. Und hier finde ich es absolut wichtig, dass, wenn ein Vorwurf von häuslicher Gewalt benannt wird von der Kindesmutter, dass, wenn jemand damit konfrontiert wird, tatsächlich auch geschult ist und weiß, wie wirkt sich häusliche Gewalt auf Kinder aus, wie wirkt sich das auf die Mutter aus, um hier eine kindeswohlgerechte Entscheidung treffen zu können."
Und auch Richterinnen und Richter oder Jugendamtmitarbeiterinnen und –mitarbeiter sind nicht objektiv, wie die Erziehungswissenschaftlerin Christine Wiezorek von der Justus-Liebig-Universität Gießen in einer Studie feststellt. Denn auch sie sind geprägt von Rollenbildern und Familienvorstellungen. Damit sah sich auch eine betroffene Mutter immer wieder konfrontiert:
"Es zeugt von wenig Empathie, wenn ein Jugendamtsmitarbeiter häusliche Gewalt anzweifelt und sie herunterspielt: Na, wenn das alles so schlimm gewesen ist, warum haben Sie sich nicht schon viel eher vom Vater getrennt? Diese Frage wurde mir immer wieder gestellt. Dem Jugendamt und dem Gericht habe ich alles offenbart und dennoch. Ich hätte eine schlechte Meinung über den Kindesvater und würde deshalb die positive Bindung zwischen den Kindern und dem Vater verhindern. Also nicht sein Verhalten ist für die Bindung von Bedeutung, sondern meine berechtigten Vorbehalte gegen ihn aufgrund der Erlebnis."

Der Umgang wird nur selten verwehrt

Verheirateten Vätern steht das Umgangsrecht schon jetzt automatisch zu. Mit der geplanten Reform soll das auch für unverheiratete Väter gelten. Damit soll ihnen ermöglicht werde, mehr an der Erziehungsarbeit mitzuwirken. Was dabei aber trotz der Warnung von Experten bisher nicht vorgesehen ist, sind Sonderregelungen für gewalttätige Eltern. Denn der Fokus der Rechtsprechung werde falsch gesetzt, sagt die Mitarbeiterin der Frauenberatungsstelle.
"Auf der einen Seite werden Frauen gedrängt, sich von einem gewalttätigen Partner zu trennen und dafür auch noch Sorge zu tragen, dass keine Gewalt passiert von Seiten des Ex-Partners. Und was ich auf der anderen Seite erlebe ist, der Vater, der ja den Umgang will, dem wird in keiner Weise Verantwortung für sein Handeln zugeschrieben – beziehungsweise wird da überhaupt nicht kontrolliert, was tut eigentlich der Vater, dass er in einer positiven, guten, kindgerechten, nicht kindeswohlgefährdenden Weise seinen Umgang ausübt."
Für sie sollte es daher gesetzliche Auflagen für Täterberatungen geben, die dann auch kontrolliert werden müssten. Dies müsse Voraussetzung dafür sein, dass der Umgang überhaupt stattfinden kann. Und das Wissen um Gewaltdynamiken müsse am Verfahren Beteiligten Teil der offiziellen Ausbildung sein. Denn noch wird in der Praxis so gut wie nie Umgang ausgesetzt oder gar verwehrt.
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