Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Münchener A1-Verlag
Viel Lob, viel Ehr - aber kein Geld mehr

Kleine Buchverlage hatten es noch nie einfach. So auch der Münchener A1-Verlag - dessen Gesellschafter nach fast drei Jahrzehnten schweren Herzens aufhören. Dabei könnte ausgerechnet in diesem Jahr die Sensation warten: Einer ihrer Autoren wird für den Literaturnobelpreis gehandelt.

Von Tobias Krone | 30.08.2017
    Vogelperspektive der Stadt München
    Der A1-Verlag hatte seinen Sitz in der Stadt München (dpa / picture alliance / Hinrich Bäsemann)
    Albert Völkmann: "Das war ein Zwischenlager – auch mit hohen Regalen, das war unser Handlager, das ging bis zur Decke rauf, beide Seiten. Da haben viele Bücher gelagert, die wir bedauerlicherweise irgendwann haben entsorgen müssen. Das hat uns weh getan."
    Melancholie lässt sich nicht vermeiden, beim Rundgang mit Albert Völkmann durch das leergeräumte Erdgeschoss einer Villa im bürgerlichen Stadtteil Nymphenburg.
    Albert Völkmann: "Ja, Sie sehen vielleicht an den Schatten an den Wänden, wo überall Regale standen, Bilder hingen und Plakate. Nichts mehr von alledem. Ugly emptiness – all and everywhere."
    Albert Völkmann ist mit 77 Jahren der älteste der drei Gesellschafter des A1-Verlags, der nun seinen Betrieb einstellt. Mit Völkmann schieben Inge Holzheimer, 64, und Herbert Woyke, 59, die verbliebenen Stühle zusammen zu einem Gespräch. Der Name A1 stammt vom Aktionsraum 1: Anfang der Siebziger organisierten sie Aktionskunst in München.
    Internationale Kultur nach Deutschland bringen
    Albert Völkmann: "Dieses München war immer ein bisschen verschlafen, gutbürgerlich, kulturell ambitioniert aufgestellt, aber es war immer Hochkultur. Und die Kultur, die wir glaubten machen zu müssen, konnte man nur privat initiiert in Szene setzen. Das offizielle München war immer ein bisschen langweilig auch."
    1990 gründeten sie den Verlag, vor allem, um internationale Literatur nach Deutschland zu bringen. Nun hören sie auf, weil sie keinen Nachfolger mehr finden – für einen Verlag, der lange Zeit ein Liebhaberprojekt war.
    Inge Holzheimer: "Also man muss ja auch mit womit sein Geld verdienen. Und mit hehrer Literatur ist es nicht so ganz einfach."
    Sie haben wichtige Autoren entdeckt, wie den Mongolen Galsan Tschinag, der auf Deutsch schrieb – und 1992 den Chamisso-Preis für Migrations-Literatur gewann.
    Albert Völkmann: "Der hat dieses Deutsch in Leipzig gelernt noch, zu Zeiten der DDR: grandios! Den, wenn Sie heute verfolgen, wie der sein Deutsch benutzt, das ist großartig, das ist wirklich eine Bereicherung der deutschen Sprache, denn er hat einige Erfindungen gemacht, die wirklich glaubwürdig sind."
    "Sie brauchen den Seller"
    Auch den Chamisso-Preisträger Abdel Karasholi veröffentlichte der A1-Verlag, ebenso wie den palästinensischen Lyriker Mahmoud Darwish, den sie auf der Frankfurter Buchmesse und im Münchner Literaturhaus dem deutschen Publikum näher brachten.
    Albert Völkmann: "Ein Mann, der allerdings nicht nur, wie im Literaturhaus 300 Leute begeistern kann, sondern der in seinem eigenen Heimatland ganze Stadien gefüllt hat. Davon kann man eigentlich nur träumen hier."
    Meist erreichten die Veröffentlichungen des A1-Verlages eine Auflage von maximal 3.000 Büchern. Leben konnten sie trotzdem vom Verlag. Auch dank eines internationalen Überraschungs-Bestsellers im Programm: "Die weiße Massai", 1998 erschienen.
    Albert Völkmann: "Ein Bestseller, der fast ein halbes Jahr auf Platz eins, zwei der Spiegel-Bestseller-Liste war, das ist der Bericht von der Corinne Hofmann, der Deutsch-Schweizerin, die in Afrika ein ungewöhnliches Leben geführt hat und das in aller Bescheidenheit wunderbar transportiert, aufgeschrieben und unter die Leute gebracht hat. Da waren im Übrigen 20 Verlage vorher der Meinung, sie können das nicht machen. Wir haben es uns angeschaut, waren fasziniert von der Geschichte und haben gesagt: Wir machen das. Und wir haben auch relativ gut Geld verdient damit. Und dieses Geld... – natürlich, Sie müssen immer eine Mischkalkulation machen. Einen Seller und fünf, sechs, sieben Liebhaberstücke können Sie produzieren. Aber Sie brauchen den Seller."
    Viel Lob, wenig Geld
    Das Geschäft mit den internationalen Romanen – es ging immer weniger in den letzten Jahren.
    Albert Völkmann: "Das ist teilweise auch der sich ändernde Markt. Schauen Sie mal auf die Bestsellerlisten, da sind Thriller und Krimis, ganze Krimiserien, die die großen Verlage auflegen. Haben wir alles nicht mitgemacht. Die komplette Umstellung auf andere Methoden des Werbens: Wir haben über Anzeigen geworben, über gutes Feuilleton. Das Feuilleton ist ja geschrumpft, wie Sie wissen, in allen großen Zeitungen, überregional und regional. Kaum noch etwas zu finden über Bücher, immer nur kleine Sachen. Und das hat uns tatsächlich dann auch schwer geschadet."
    Viel Lob, viel Ehr in der Literaturszene – aber wenig Geld blieb am Ende hängen. Abkaufen wollte ihnen niemand die Backlist. Und so machen sie zu. Und versuchen noch, neue Verlage für ihre Autoren zu finden. Und vielleicht könnte es – im 27. und letzten Jahr der Verlagsgeschichte – noch eine ganz große Ehrung geben: Der Kenianer Ngugi wa Thiong’o mit seinem 1.000-Seiten-Wälzer "Der Herr Krähen" könnte den Literaturnobelpreis erhalten.
    Albert Völkmann: "Seit zehn Jahren wartet er darauf. Einige Jahre war er ganz heiß gehandelt bei den Buchmachern in London. Vielleicht kriegen wir ihn noch posthum."