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Münchener Eisdiele
Begehbarer Kultur-Adventskalender

Viele Eisdielen haben im Winter geschlossen und stehen leer - nicht so das Punto Gelato in München. Hier wurde der ungenutzte Raum mit Kultur gefüllt: Die Gruppe "Kulturkonsorten" bietet in einer Art Adventskalender jeden Tag neue Events rund um Musik, Literatur oder Kulinarik.

Von Andi Hörmann | 18.12.2014
    "Wenn man sich überlegt, wie viele Eisdielen in München tatsächlich im Winter über drei, vier Monate komplett leer sind."
    Klar, dann ist der Gedanke mehr als naheliegend: Ungenutzter Raum lässt sich doch wunderbar in einen Ort der kulturellen Zwischennutzung umfunktionieren. Und mehr noch: Leer stehende Immobilien lassen sich sogar vergrößern, hinein ins Digitale:
    "Was wir natürlich immer mit dabei haben, ist eine Twitter-Wall. Das heißt: Ein Beamer, der die Tweets, die zu der Veranstaltung abgeschickt werden, gleichzeitig an die Wand wirft."
    ...und durchs Web wirbelt. Christian Gries von den Kulturkonsorten steht vor der Eistheke im Licht der Twitter-Wall. Auf seinem Smartphone kommentiert er über einen Tweet das Geschehen: Interview im "eisfrei". Am Eingang der nur etwa 20 Quadratmeter kleinen Eisdiele tippt jemand Worte auf Endlospapier in eine alte Schreibmaschine.
    #eisfrei. Die verglaste Eis-Vitrine ist leer. Nicht ganz: In den Metall-Behältern der Eistheke liegen aktuelle Literatur-Bestseller. 24 Stück, einer für jeden Tag im Advent.
    Ein multidimensionales Erlebnis
    Im blechernen Klirren der Aluminium-Wannen heben sie sich auf, die vermeintlichen Gegenpole: analog und digital, warm und kalt. Die Eisdiele "Punto Gelato" im Münchner Westend heißt in der Adventszeit "eisfrei" - eine Art begehbarer Pop-up-Adventskalender. Erstes Türchen:
    "Na ja, wir machen die Tür zur Eisdiele auf. Und wir haben dann nicht nur ein eindimensionales Schokoladen-Erlebnis, sondern ein multidimensionales: analoges, digitales und dann eben auch noch ein kulinarisches, ein akustisches Erlebnis. Ich glaube, mehr kann man fast nicht mehr bieten."
    Hinter dem ersten Türchen erwartet die Besucher die Release-Party einer Vinyl-Platte: "Rambling Man" von "Die Landlergschwister" im Acid-Pauli-Remix.
    "Es gibt Aufstrich-Brote mit Erdäpfelkaas, das ist eine österreichisch-niederbayerische Kartoffel-Aufstrich-Speise, die man auf Brot ist."
    Dazu gibt es hochprozentigen Obstler. Martin Jonas veranstaltet mit dem Münchner Indie-Label "Gutfeelings" den "Erdäpfelkas Saloon". Gegenüber der Eistheke drehen sich die Plattenteller.
    "Ich bin die Annette Sandner und betreibe einen Food-Blog, der heißt Culinary Pixle."
    "Ich bin der Heimo Tscherne, bin PR-Berater in München, und interessiere mich für alles, was du essen und trinken kannst."
    "Wir haben heute den 5., also den Abend vor Nikolaus, und beschenken uns sozusagen alle gegenseitig mit unseren selber gemachten Sachen - hier beim Food Swap."
    "Food Swap bedeutet, dass du deine selber gemachten Produkte tauscht. Das heißt, am Ende des Tages bringst du deine eigene Marmelade mit, deine eingelegten Zitronen, deinen Schnaps, dein Schmalz, deinen Kuchen, et cetera - verkostest mit anderen Leuten, und tauscht dann mit Leuten, die Interesse an deinen Sachen haben."
    "Da hinten haben wir Likör, selber gemacht. Hier Müsli mit Weihnachtsflavour ..."
    Begegnung in der realen Welt
    Und auch hinter dem 12. Türchen steht das Kulinarische im Mittelpunkt. Die Food-Fotografin Vivi D'Angelo veranstaltet einen SweetUp.
    "Eigentlich geht es darum, dass man verschiedene Süßspeisen verkostet und ganz bewusst sich mit dem Geschmack und den Eigenschaften dieser Lebensmittel auseinandersetzt - was Sandiges, was Glibberiges, sogar was Haariges, was Knatschiges."
    "Es war ganz spannend zu sehen, wie unterschiedlich "süß" sich anfühlen kann: von aufgeweichten Gummibärchen bis zu dieser türkischen, haarigen Süßigkeit - wie so eine Zuckerwatte."
    Im "eisfrei", dieser leer stehenden, zu einem begehbaren Adventskalender umfunktionierten Eisdiele wird das Fühlen zum Schmecken, werden Tweets zu Emotionen - und umgekehrt. Nur der Geschmack der adventlichen Süßigkeiten bleibt ganz im Analogen. Es geht um die Begegnung in der realen Welt - auch, oder vor allem an Weihnachten.