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Münsteraner Islamtheologe in der Kritik

Mouhanad Khorchide spricht sich in seinem Buch "Islam ist Barmherzigkeit" für eine liberale Lesart seiner Religion aus. Kritisiert wird der Münsteraner Islamtheologe dabei vor allem von den konservativen islamischen Verbänden. Die Debatte hat aber vor allem einen politischen Hintergrund.

Von Jan Kuhlmann | 04.03.2013
    Mouhanad Khorchide ist derzeit in ganz Deutschland zu sehen. Auf Plakaten einer Kampagne des Bundesbildungsministeriums wirbt er mit dem Slogan "Zuwanderung bereichert Deutschland". Schon in den vergangenen Monaten hatte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Uni Münster viel Lob für sein Buch "Islam ist Barmherzigkeit" bekommen – darin entwirft er eine vergleichsweise liberale Lesart des Islam. Vertreter von konservativen islamischen Verbänden werfen ihm nun allerdings vor, einen zentralen Glaubensgrundsatz infrage zu stellen.

    Ihnen geht es vor allem um eine Passage des Buches. Darin schreibt Khorchide, Muslim sei jeder, der sich zur Liebe und Barmherzigkeit Gottes bekenne und dies durch sein Handeln bezeuge – auch wenn er nicht an Gott glaube. Für Mustafa Yoldas, in Hamburg führender Vertreter der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, ist dieser Satz inakzeptabel.

    "Das umstößt die 1000 Jahre währende Dogmatik und die Lehre im Islam, dass es eine Voraussetzung ist, an Gott zu glauben und an seinen Propheten und natürlich gute Werke zu tun, beides zusammen. Aber das Verrichten guter Werke allein, ohne den Glauben an den einzigen Gott ist nicht gängige Lehre im Islam. Und das hat natürlich uns als muslimische Community sehr gestört."

    Yoldas und zwei andere muslimische Vertreter aus Hamburg äußerten ihre Kritik vor einigen Tagen in einer türkischen Zeitung - und lösten eine erregte Debatte aus. Das Thema wird vor allem in Internetblogs und in den sozialen Medien im Netz kontrovers diskutiert. Auch Mouhanad Khorchide reagierte schnell auf die Vorwürfe. Er fühle sich missverstanden, sagte er in einen Interview über Skype.

    "Der Vorwurf an sich stimmt überhaupt nicht. Ich habe nie den Glauben an Gott oder an seinen Propheten oder an irgendeinen islamischen Glaubensgrundsatz infrage gestellt. Das wäre eine äußerst schlimme Verleumdung, wenn man mir das unterstellen würde. Und offensichtlich haben diejenigen, die sich jetzt via Medien geäußert haben, sich mit dem Buch überhaupt nicht auseinandergesetzt und schon gar nicht mit meinen Positionen, sonst hätte sich die Kritik erübrigt."

    Khorchide wirft seinen Kritikern vor, sie hätten die umstrittene Passage völlig aus dem Kontext gerissen. Im Buch heiße es keineswegs, dass jeder auch ohne Glauben an Gott ein Muslim sei, wenn er allein Gutes tue. Vielmehr beschäftige er sich mit den Menschen, die nie von Gott gehört oder ihn nur verzerrt kennen gelernt hätten – und ihn deshalb ablehnten. Sie dürften nicht verurteilt werden, sagt Khorchide.

    "Das sind potenzielle gläubige Menschen eigentlich, aber die Botschaft ist nie angekommen bei ihnen. Und das ist ein islamischer Glaubensgrundsatz in der islamischen Tradition verankert, übrigens auch im Koran selbst, dass niemanden Schuld trifft, wenn er nicht vorher aufgeklärt wurde. Und genau mit diesen Menschen setze ich mich in dem Kontext auseinander. Aber sonst habe ich nie gesagt, dass der Glaube an Gott obsolet ist."

    Hohe Wellen schlägt das Thema auch deswegen, weil die Kritiker es nicht allein bei ihrem Widerspruch beließen. Ramazan Ucar vom Bündnis der islamischen Gemeinden in Hamburg rief Khorchide vielmehr auf, "Reue" zu zeigen und sich – so wörtlich – "wie ein Muslim zu verhalten". Für Khorchide ist das ein Verhalten wie in der Inquisition.

    "Es ist dem Islam total fremd und verstößt gegen islamische Werte, dass man jemandem einen Ratschlag öffentlich erteilt, wenn man sowieso weiß, wie man an ihn herankommt. Meine Email-Adresse steht überall im Internet, ich bin nicht versteckt irgendwo. Man hätte das Gespräch suchen sollen, das wäre ein islamisches Verhalten. Alles andere widerspricht den Grundsätzen des Islam selbst."

    Unterstützung erhält Khorchide von dem muslimischen Blogger und Publizisten Serdar Günes. Er stoße sich vor allem an dem Aufruf zur Buße, sagte er in einem Skype-Interview.

    "So fängt man keine Debatte an. Man kann inhaltlich Kritik üben, das sollte man auch. Ich denke, dass erwartet auch Mouhanad Khorchide. Aber man kann nicht gleich anfangen und sagen: Das geht gar nicht, am besten gar keine Debatte auslösen. Das ist nicht hilfreich. Und man sollte auch nicht drohen. Denn ich habe immer den Eindruck, bei solchen Debatten geht es auch darum, implizit zu sagen: Dieser Mensch ist am falschen Platz."

    Das Thema ist auch deswegen brisant, weil Khorchides Vorgänger an der Uni Münster einst seine Position nicht zuletzt auf Druck muslimischer Verbände aufgeben musste. Sven Kalisch hatte damals die Existenz des Propheten Muhammad bezweifelt – und damit einen zentralen Glaubensgrundsatz des Islam aufgegeben.

    Die jetzige Debatte hat zudem einen politischen Hintergrund: einen Streit um den Beirat der Islamischen Theologie in Münster. Das Bundesbildungsministerium als einer der Hauptgeldgeber hatte im vergangenen Jahr einen der muslimischen Vertreter abgelehnt. Grund: Das Ministerium betrachtet ihn als Vertreter von Milli Görüs. Die Organisation wird jedoch vom Verfassungsschutz beobachtet. Milli-Görüs-Vertreter Mustafa Yoldas weist jedoch den Vorwurf zurück, bei der Kritik an Khorchide handele es sich um eine Retourkutsche.

    "Wir tragen unsere Auseinandersetzung mit der Politik nicht auf dem Rücken der Wissenschaft aus. Es ist einfach nur ein Zitat aus seinem aktuellen Buch, das Anlass zu Diskussionen gegeben hat und zu Befürchtungen. Darauf haben wir reagiert, nicht mehr und nicht weniger."

    Khorchide räumt ein, dass er sich in dem Buch missverständlich ausgedrückt hat. Im Internet hat er die umstrittene Passage mittlerweile genauer erläutert. Man wolle die Diskussion nicht medial hochkochen, sagt Mustafa Yoldas von Milli Görüs. Und trotzdem: Erledigt ist die Debatte für die Kritiker noch nicht.

    "Es ist eine kritische Auffassung, die er hat. Wenn es seine persönliche Meinung wäre, könnten wir damit auch leben. Aber er unterrichtet junge Menschen, die später als Religionslehrerinnen und lehrer muslimische Kinder unterrichten würden. Wir müssen auf die Sensibilitäten der Eltern reagieren, die besorgt sind darüber, dass sie von Lehrern eventuell unterrichtet werden könnten, die nicht die tradierte Vorstellung von Gott übermittelt bekommen sollen. Es ist sicherlich problematisch, wenn er diese These weiter aufrechterhält."

    Immerhin: Beide Seiten wollen jetzt das Gespräch miteinander suchen. Es gehe allein um eine inhaltliche Debatte, sagt Mustafa Yoldas – und nicht darum, Khorchide aus seiner Position zu drängen.