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"Müssen unbedingt einen Standort finden"

Der Atommüll ist unterwegs nach Deutschland und in Gorleben regt sich massiver Protest. Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander fordert: "Die Menschen müssen endlich wissen, ist Gorleben geeignet oder nicht."

Hans-Heinrich Sander im Gespräch mit Sabine Schulz | 06.11.2010
    Schulz: Über den Transport und die Proteste in Deutschland wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den niedersächsischen Umweltminister, den FDP-Politiker Hans-Heinrich Sander. Guten Morgen!

    Hans-Heinrich Sander: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Sander, haben Sie sich dieser Tage schon gewünscht, die Koalition hätte doch keinen Ausstieg aus dem Atomausstieg beschlossen?

    Sander: Also ich, das kann ich mir nicht wünschen. Man muss es trennen. Den Ausstieg oder die Laufzeitverlängerung hat mit dem jetzigen Problem der Beseitigung der Kernkraftabfälle nichts zu tun im Grunde genommen. Das sind Abfälle, die aus laufenden Kraftwerken in der Vergangenheit entstanden sind, und da war eben Bundesumweltminister Herr Gabriel und Herr Trittin. Und deswegen fand ich es so ganz interessant mal die Bemerkung von Herrn Gabriel heute Morgen, er ist der Meinung, wir müssen unbedingt einen Standort finden. Und genau der Meinung sind wir auch, und da gibt es ja auch Einigkeit darüber.

    Schulz: Ja, jetzt zeichnen sich doch aber die größten Demonstrationen seit Jahren ab, eine ganz neue Woge des Protests. Das hat nichts zu tun Ihrer Meinung nach mit dem Ausstieg aus dem Ausstieg?

    Sander: Ja, natürlich, es wird das als Symbol genommen dafür, dass man dementsprechend gegen die Kernenergie ist, das ist richtig. Aber der Transport und die Beseitigung oder die Zwischenlagerung in Gorleben hat nichts eigentlich mit der Laufzeitverlängerung zu tun. Und daran sieht man, dass jeder Transport dazu benutzt wird, um ideologisch dieses Problem anzuheizen. Und diesen Vorwurf musste man schon den Grünen und teilweise auch der SPD machen.

    Schulz: Aber durch die längeren Laufzeiten entsteht ja logischerweise auch mehr Atommüll. Wieso sagen Sie also, das eine habe mit dem anderen gar nichts zu tun?

    Sander: Das ist richtig. Wenn jetzt die Laufzeiten, wie sie vorgesehen sind, werden Sie mehr Atommüll bekommen, aber wir haben im Augenblick 15.000 Tonnen, die vorhanden sind, aus der Produktion seit Beginn der Laufzeit der Kernkraftwerke. Und darum geht es, dass diese beseitigt werden müssen. Und darüber sind sich eigentlich alle einig. Und ich fand das eben so bemerkenswert wieder von Herrn Gabriel, dass er auch der Meinung ist, da muss was geschehen. Nur er hätte ja schon seine Forderung zum Beispiel nach einem anderen Standort, das hätte er ja während seiner Regierungszeit tun können. Und ebenfalls hätte Herr Trittin während seiner Zeit von 98 bis 2005 andere Standorte benennen können. Und wir als Niedersachsen haben natürlich auch die Interessen unserer Bevölkerung in Gorleben mit zu vertreten, und ganz vehement, denn die Menschen müssen endlich wissen, ist Gorleben geeignet oder nicht.

    Schulz: Ja, Herr Sander, auf die Endlagerfrage würde ich gleich mit Ihnen kommen. Ich würde gerne jetzt noch kurz bei den Protesten bleiben, es rechnen die Atomgegner ja mit bis zu 40.000 Demonstranten. Was bietet dann das Land Niedersachsen an für eine Deeskalation?

    Sander: Ja, das Land Niedersachsen bietet an, dass die Polizeikräfte, die jetzt aus der ganzen Bundesrepublik in Gorleben zusammengezogen sind, dass man möglichst es zu keiner Eskalation kommen, dass es zu keiner Eskalation kommen darf. Aber Sie müssen natürlich auch bedenken, dass bei den meisten handelt es sich ja um friedliche Demonstranten. Aber dieser starke Einsatz von Polizeikräften ist dazu da, dass die Menschen friedlich demonstrieren können. Und die etwa vielleicht gerechneten 1000 oder anderthalb Tausend bis 2000 Extreme, dafür sind diese Einsätze notwendig, und diese Einsätze kosten dem Steuerzahler, uns Niedersachsen, immerhin, um die Sicherheit zu gewährleisten, 20 bis 25 Millionen. Die würden wir auch gerne für die Schule verwenden.

    Schulz: Aber ein Problem damit, dass die Menschen ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ausüben, haben Sie nicht?

    Sander: Nein, habe ich nicht. Das ist doch ein ganz, für einen demokratischen Staat ganz normal, dass Menschen auch zwischen Wahlen diesen Protest zum Ausdruck bringen dürfen.

    Schulz: Jetzt gehen die Menschen in Gorleben im Wendland, das haben Sie auch eben ja schon angedeutet, nicht nur des Castortransports wegen auf die Straße, sondern weil auch der Salzstock in Gorleben eben jetzt wieder auf seine Tauglichkeit als Atomendlager geprüft wird. Der Streit währt schon seit Jahrzehnten – ist nicht jetzt schon klar, dass Gorleben nicht tauglich ist?

    Sander: Also ich weiß nicht, wo Politiker immer den Mut hernehmen, zu sagen, Gorleben ist nicht tauglich. Herr Gabriel war ja mal Ministerpräsident in diesem Lande für einige Jahre und Fraktionsvorsitzender. Also zu der Zeit habe ich von ihm diese Äußerung nicht bekommen. Und selbst Herr Trittin hat beim Beginn des Moratoriums noch erklärt, schriftlich sogar unterschrieben, es gibt keine Hinweise, dass Gorleben nicht geologisch geeignet ist. Also das muss man zur Kenntnis nehmen. Und wir gehen jetzt dabei oder der Bund geht dabei, die letzten zehn Prozent, die noch notwendig sind, um den Salzstock zu erkunden, um dieses zu erreichen. Und das muss sehr transparent auch erfolgen.

    Schulz: Aber jetzt hat der Gorleben-Untersuchungsausschuss doch schon Dokumente zutage gefördert, die jetzt die Atomgegner und auch die Gorleben-Gegner in ihrer Auffassung bestärkt haben, dass die Entscheidung, Gorleben überhaupt zu erkunden, als einzigen Standort bisher, eben keine technische oder wissenschaftliche, sondern eine politische gewesen sei. Können Sie es nicht verstehen, dass vor diesem Hintergrund die Menschen misstrauisch sind, wenn ihnen jetzt erzählt wird, das soll alles ergebnisoffen geprüft werden?

    Sander: Also wenn Sie, Frau Schulz, recht hätten mit Ihrer Aussage, da philosophieren ja sehr viele Menschen und interpretieren in diese Aussagen, die dort angeblich gefunden worden sind, viel hinein. Ich kann nur immer wieder sagen, nach meinem Kenntnisstand – ich hatte damals keine Verantwortung –, nach meinem Kenntnisstand ist es allein unter geologischen Gesichtspunkten erfolgt, man hatte mehrere Standorte in die engere Wahl gezogen und hat sich dann für Gorleben entschieden, und zwar aus geologischen Gründen. Und das muss ich immer wieder betonen: Es geht um die Erkundung, ob der Salzstock aus geologischen Gründen geeignet ist oder nicht.

    Schulz: Aber es gab doch eine ganz grundlegende Studie der physikalisch-technischen Bundesanstalt Anfang der 80er-Jahre, da gab es den Hinweis, dass eine parallele Erkundung die Akzeptanz steigern würde. Das war eine Empfehlung, die dann in der Endfassung fehlte, wie aus den Dokumenten ja auch hervorgeht, dann auf den Druck der Regierung Kohl unter den Tisch gefallen ist. Verstehen Sie nicht, dass die Menschen da sich jetzt nicht sicher sein können, dass sich so eine politische Intervention wiederholen könnte?

    Sander: Natürlich werden solche Gutachten dort auftauchen, die ja nur Empfehlungscharakter haben, damit ist ja nichts gesagt über die Eignung des Salzstockes, sondern über das Verfahren lediglich, das man parallel hätte erkunden müssen. Nur jetzt ist die Tatsache, wir sind etwas weiter in der Zeit, jetzt ist in Gorleben erkundet worden, und zwar in einer Tiefe, wie es in keinem anderen Fall auf der Erde so geschehen ist. Es sind ja auch 1,5 Milliarden noch da, wenn auch Geld keine Rolle spielt, aber da kann man vielleicht dran absehen, wie tief erkundet worden ist. Und dann sollte man auch die letzten zehn Prozent erkunden und dann entscheiden, ist es geeignet aus geologischen Gründen oder ist es nicht geeignet.

    Schulz: Und Sie teilen nicht die Auffassung, die viele Gegner ja haben, dass allein das Verfahren schon so problematisch gewesen sei, dass man da Fehler gemacht habe in der Vergangenheit, dass man jetzt einen Neustart machen müsse?

    Sander: Also Frau Schulz, es geht ja immer um die Frage, ist eben nach Bergrecht dementsprechend erkundet worden oder musste es nach Atomrecht erkundet werden. Und wir haben ja als niedersächsische Landesregierung auch jetzt gefordert, auch insofern weiter nach Bergrecht, da gibt es also Gerichtsurteile, Bundesverfassungsgerichtsurteile aus den 90er-Jahren, die sagen, ihr müsst nach Bergrecht erkunden. Wenn das so ist, dann nehmen wir das zur Kenntnis, und wir erkunden nur unter geologischen Gründen. Ich habe für alles Verständnis, was dort hineininterpretiert wird, aber wir müssen schon bei einer sachlichen Auseinandersetzung bleiben und die Fakten mit beachten.

    Schulz: Herr Sander, ich verstehe Sie richtig, es ist nichts falsch gelaufen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten?

    Sander: Oh nein, Frau Schulz, das wollte ich nicht sagen. Es ist natürlich was falsch gelaufen, was unsere Vorgänger damals nicht beachtet haben. Es ist nicht die Transparenz erfolgt, die wir heute fordern. Da muss ein ganz transparentes Verfahren für die letzten zehn Prozent der Erkundung durchgeführt werden, sonst wird das also sehr, sehr problematisch. Das gebe ich zu, das geben alle auch zu, dass das nicht optimal gelaufen ist. Die Menschen müssen Sie bei diesem Verfahren also dementsprechend möglichst mit einbinden. Und deswegen fordern wir für den Rest eine gläserne Erkundung.

    Schulz: Und auch eine Parallelerkundung eines anderen Standorts?

    Sander: Eine Parallelerkundung macht dann erst Sinn – Sie müssen auch die Zeiträume mal nehmen. Wir gehen jetzt von einem Zeitraum aus von fünf bis sieben Jahren. Wenn Sie jetzt einen anderen Standort, ebenfalls in der Tiefe, erkunden wollten, werden Sie das nicht können. Da brauchen Sie gewisse Zeit. Und deswegen ist es meines Erachtens sogar im Interesse der Kernkraftgegner, möglichst schnell zu Ende zu erkunden, um den Beweis zu bekommen, den sie immer anscheinend schon vorher wussten, dass Gorleben nicht geeignet ist.

    Schulz: Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander von der FDP heute hier im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank!

    Sander: Danke schön, Frau Schulz!