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Mützenich: Ende des US-Haushaltsstreits bleibt durch Hardliner gefährdet

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, ist skeptisch, ob Republikanern und Demokraten eine Einigung im US-Haushaltsstreit gelingt. Die zunehmend ideologisierte Debatte habe die Fähigkeit zum Kompromiss verschüttet, die den amerikanischen Parlamentarismus lange ausgezeichnet habe.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Christiane Kaess | 02.01.2013
    Christiane Kaess: Kurz vor der Sendung habe ich mit Rolf Mützenich gesprochen, er ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Ich habe ihn zuerst gefragt, ob mit dem Kompromiss in letzter Sekunde die Gefahr einer US-Rezession mit globalen Auswirkungen tatsächlich gebannt ist.

    Rolf Mützenich: Zumindest gibt es Stimmen dafür, die eben sagen, dass der Moment der nächsten zwei Monate auf der anderen Seite auch genutzt werden kann, um den endgültigen Konjunktureinbruch in den USA zu verhindern. Es kann sein, dass das Auswirkungen auf die internationalen Finanzmärkte noch haben wird, auf der anderen Seite haben die Börsen in Asien ja zurzeit anders reagiert. Aber ich glaube, insgesamt wird es darum gehen, ob ein politischer Kompromiss in den USA gefunden werden kann.

    Kaess: Also das heißt, in zwei Monaten stehen wir vor der nächsten Haushaltsklippe.

    Mützenich: Auf jeden Fall, und genau darauf kommt es an, dass Republikaner und Demokraten und insbesondere auch der Präsident in der Lage sind, in den acht Wochen – und das ist ja offensichtlich nun wirklich nicht viel – in der Lage ist, sowohl auf die Situation der Budgets hinzuweisen, aber auf der anderen Seite eben auch die Möglichkeit zu schaffen, Investitionen in wichtigen Bereichen, die in den USA dringend notwendig sind, auch zu finanzieren.

    Kaess: Herr Mützenich, hat denn in dem ganzen Streit die parteipolitische Taktik die Oberhand oder geht es da wirklich um zwei elementar unterschiedliche Überzeugungen?

    Mützenich: Ich glaube, beides, auf jeden Fall scheint es ja so zu sein, dass bei den Republikanern – und ich gehe davon aus, das wird sich auch in den nächsten Tagen noch mal zeigen – eben unterschiedliche programmatische Voraussetzungen für diesen Fiskalstreit sich noch mal deutlich machen werden. Auf der anderen Seite ist aber auch offensichtlich klar, dass die Demokraten eben erreichen müssen mit ihrer Mehrheit im Senat, auch Kompromisse anzubieten. Das wird Präsident Obama wahrscheinlich am wenigsten beeinflussen können. Ich glaube, insbesondere wird es darauf ankommen, ob die Mehrheitsführer in beiden Häusern des Kongresses eben auch zu Kompromissen bereit sind, und da wird eine Menge abverlangt werden müssen.

    Kaess: Mit welchen Reaktionen des rechten Flügels der Republikaner, die ja jetzt mit ihrer Meinung unterlegen sind, rechnen Sie denn?

    Mützenich: Nun, ich glaube – und das hat sich ja in den letzten Wochen auch schon wieder sehr stark gezeigt –, es gibt fundamentale Unterschiede, sowohl was die Aufgaben des Staates in den USA betrifft, als auch letztlich die Ausrichtung innerhalb der republikanischen Partei, es gibt eben Stimmen, die sagen, wir müssen jetzt endlich auch Kompromisse finden, das sind sehr stark republikanische Gouverneure nach meinem Eindruck, auf der anderen Seite eben auch sehr starke Hardliner auch innerhalb des Kongresses. Und das macht mir schon große Sorgen, dass die Hardliner offensichtlich auch im Kongress weiterhin relativ stark sind, und das hat ja auch dieses Abstimmungsergebnis gezeigt.

    Kaess: Was können die noch ausrichten in den kommenden Wochen?

    Mützenich: Ich glaube insbesondere, dass sie versuchen werden, Kompromisse letztlich zu verhindern, die dringend notwendig sind, auch für das …

    Kaess: Zum Beispiel? Können Sie ein Beispiel nennen?

    Mützenich: Nun, ich glaube, insbesondere die Frage der Steuererhöhungen wird eine wichtige Frage sein. Wir sehen ja auch schon in den ersten Reaktionen, dass hier mit fundamentaler Kritik – weil ja auch Steuererhöhungen jetzt bei 400.000 beziehungsweise bei 450.000 Dollar erreicht worden sind –, diese fundamentale Kritik deutlich wird innerhalb der republikanischen Partei, und das wird wahrscheinlich auch Kompromisse erschweren.

    Kaess: Wenn wir mal absehen von der Frage der Steuererhöhungen, glauben Sie denn, dass es ernsthafte Chancen gibt für tief gehende strukturelle Reformen?

    Mützenich: Nach meinem Eindruck ist es offensichtlich so, dass das politische System zu dieser Kompromissfähigkeit nicht bereit ist, sondern es ist ein sogenanntes Nullsummenspiel, was doch immer wieder diskutiert wird. Also das, was das amerikanische System in den vergangenen Jahrzehnten ausgezeichnet hat, nämlich zum Schluss dann auch Kompromisse zu finden, ist in den letzten Jahren sehr stark verschüttet worden. Und ich bin schon gespannt, ob es in den nächsten acht Wochen gelingt, eben zu dieser notwendigen Kompromissfähigkeit, die ja auch deutliche Investitionen im staatlichen Bereich erforderlich machen, gefunden werden kann.

    Kaess: Woran liegt das, dass diese Kompromissfähigkeit verloren geht?

    Mützenich: Ich habe sehr stark den Eindruck, wir haben eine ideologisierte Debatte, spätestens nach dem 11. September 2001, in den USA erlebt. Die Bush-Administration hat doch – und das sehen wir ja auch bei den Fragen, die jetzt wegen der Steuererhöhung diskutiert worden sind – noch ihre Folgen zu zeitigen. Und es kommt eben auch insbesondere darauf an, ob Präsident Obama auch innerhalb der demokratischen Partei für seine Kompromisse, die er notwendigerweise immer wieder eingehen muss, auch Rückendeckung bekommt. Also es kommt letztlich auch auf beide Seiten an.

    Kaess: Herr Mützenich, beim letzten Mal, als es im Kongress um die Schuldenobergrenze ging, da verloren die USA ihr Top-Rating. Wie groß ist denn die Gefahr, dass das Land in den kommenden Monaten wirtschaftlich weiter abstürzt?

    Mützenich: Das kann ich schwer beurteilen, insbesondere würde ich eben darauf achten, ob in den nächsten Wochen diese politische Kompromissfähigkeit durch wichtige Debatten auch erreicht werden kann. Auf der anderen Seite müssen wir eben sehen, die US-Ökonomie ist weiterhin leistungsfähig, sie ist auf der anderen Seite eine sehr stark konsumorientierte Wirtschaft, also hier geht es letztlich nicht nur darum, politische Kompromisse im Senat zu finden, sondern auch die Gesellschaftspolitik komplett neu auch zu bestimmen, und ich glaube auch, dass das die politische Debatte erforderlich macht.

    Kaess: Kann man sagen, dass die amerikanische Wirtschaft zu einem Großteil abgekoppelt ist von diesen politischen Beschlüssen oder ist sie direkt betroffen?

    Mützenich: Nein, sie ist natürlich durch eben auch die Konsumorientierung sehr stark betroffen, dementsprechend auch die Weltwirtschaft. Auf der anderen Seite müssen wir sehen, es gibt immer noch große Innovationskräfte, auch innerhalb der US-amerikanischen Wirtschaft, also das ist durchaus eine Differenz, die man auch beachten muss. Aber die Aufregung, die sich auch in den letzten Wochen, auch vonseiten der Wirtschaft, gezeigt hat, macht ja eben auch deutlich, dass Kompromisse über den Haushaltsstreit dringend notwendig sind, um die Wirtschaft auch auf Kurs zu halten.

    Kaess: Die Europäer kämpfen ja seit Beginn der Schulden- und Finanzkrise mit harten Sparmaßnahmen. Vermissen Sie dieses Denken in den USA?

    Mützenich: Nein, ich glaube, es ist ja insoweit eben – und das zeichnet ja die ideologische Auseinandersetzung auch aus –, es ist ja letztlich da, und auch die Republikaner haben ja gezeigt, dass sie zum Beispiel sehr massiv auch in Sozialhaushalte hineingehen. Es geht hier um Bildungsprogramme, nicht nur auf Bundesebene, sondern eben auch auf Länderebene, das sehe ich in dem Sinne nicht so. Aber auf der anderen Seite kommt es ja auch sehr stark darauf an, und ich glaube, das war auch ein Ergebnis der Präsidentschaftswahl gewesen, dass es immer noch viele Amerikanerinnen und Amerikaner gibt, die dem Staat eine bestimmte Rolle nicht nur eben in der Gesellschaft, sondern insbesondere auch in der Wirtschaft zuweisen wollen, das heißt, insbesondere auch Umverteilung notwendig ist, dass eben Reiche auch mehr zum Steueraufkommen beitragen. Und ich glaube, das ist auch eine Chance letztlich für Präsident Obama, diese Debatte mitzubestimmen.

    Kaess: Inwieweit steht es denn den Europäern an, den USA hier Ratschläge zu geben, wie das ja durchaus umgekehrt in der Euro-Schuldenkrise passiert ist?

    Mützenich: Persönlich würde ich immer dazu raten, Ratschläge eben nicht zu erteilen, sich aber an der Debatte auf der anderen Seite zu beteiligen – nicht mit einem Fingerzeig, sondern insbesondere darauf hinzuweisen, dass ein sehr starker Ausgleich, auch Kompromissfähigkeit letztlich notwendig ist, und dass die Opposition auch bereit sein muss, eben Entschlüsse, Beschlüsse, die in den Parlamenten auch gefasst werden, auch mitzutragen, weil, ich glaube, diese Kompromissfähigkeit auch sehr stark letztlich ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann.

    Kaess: Sagt der SPD-Politiker Rolf Mützenich. Vielen Dank für das Gespräch!

    Mützenich: Sehr gerne, Frau Kaess, vielen Dank!


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