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Mützenich: Israel muss Kompromisse eingehen

Israel hält am geplanten Bau von Wohnungen im Westjordanland fest. Damit schaffe die israelische Regierung Fakten, die die Gründungsinhalte des eigenen Staates mehr und mehr infrage stellen, kritisiert der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Peter Kapern | 20.12.2012
    Peter Kapern: Es wird einsam um Israel. Nur die USA haben verhindert, dass die Regierung in Jerusalem gestern Nacht vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen förmlich verurteilt wurde wegen der Ankündigung, etliche Tausend Wohnungen auf besetztem Gebiet zu bauen. Auch die vier europäischen Sicherheitsratsmitglieder, darunter Deutschland, stellten sich gegen Israel.
    Als Ende November in der UN-Generalversammlung über den Antrag der Palästinenser auf Anerkennung als Beobachterstaat abgestimmt wurde, da enthielten sich etliche europäische Staaten, statt wie bislang immer mit ihrem Abstimmungsverhalten Israel Rückendeckung zu geben. "Wir haben Europa verloren", so lauteten seither viele Schlagzeilen israelischer Medien. Der Unterton dieser Zeile war aber nur manchmal ein besorgter, öfter klang er sehr trotzig. Und wie reagiert Israel nun auf die Ereignisse der vergangenen Nacht?

    Bei mir im Studio ist jetzt Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, die UN-Generalversammlung wertet Palästinas Status auf, im Sicherheitsrat verurteilen 14 von 15 Mitgliedern die israelische Siedlungspolitik – erleben wir gerade so etwas wie eine Zeitenwende in der Nahost-Politik?

    Rolf Mützenich: Also ich glaube schon, weil diese unterschiedlichen Beschlussfassungen und auch Resolutionen im Sicherheitsrat oder auch in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Israel deutlich machen sollen, dass das, was sie sozusagen auf dem Boden schafft, von der internationalen Gemeinschaft nicht mehr akzeptiert wird, und insbesondere ist das natürlich auch ein Appell an den US-amerikanischen Präsidenten Obama, möglicherweise zu Beginn seiner zweiten Amtszeit einen Versuch zu unternehmen, die israelische Regierung auch hier zum Einlenken zu bewegen.

    Kapern: Die internationale Gemeinschaft will die Siedlungspolitik nicht mehr akzeptieren, sagen Sie. Aber Israel zeigt sich nicht beeindruckt?

    Mützenich: Das ist richtig und es erinnert oft mehr und mehr an eine Wagenburg-Mentalität. Von daher glaube ich schon, dass es gut ist, auch auf die Stimmen zu achten, die es in Israel immer noch gibt, die auch nicht nur Kritik teilweise am Siedlungsbau üben, sondern insbesondere auch darauf drängen, dass es einen palästinensischen Staat gibt, einen lebensfähigen palästinensischen Staat, und dass es eben auch keine Demütigung sowohl gegenüber der Bevölkerung, aber auch den verhandlungsbereiten Palästinensern weiterhin geben soll.

    Kapern: Was glauben Sie, will Israel eine Zwei-Staaten-Lösung?

    Mützenich: Israel als solches vielleicht von Seiten der Bevölkerung, wobei wir ja auch sehen: Auch da nimmt die Mehrheit, die es in der Vergangenheit gegeben hat, mehr und mehr ab. Das hat durchaus etwas mit der Zuwanderung, mit einer veränderten Wahrnehmung auch der palästinensischen Situation in Israel selbst zu tun. Aber die derzeitige Regierung unternimmt alles, dass hier Fakten geschaffen werden, die nach meinem Dafürhalten auch im Grunde genommen die Gründungsinhalte des Staates Israel mehr und mehr infrage stellen, sowohl ein demokratischer Staat zu sein als auch ein jüdischer Staat zu sein.

    Kapern: Nun ist von der israelischen Regierung zum Beispiel ein Satz wie dieser zu hören: "Wir bauen nur auf Territorium, das wir ohnehin behalten, auch nach einem Friedensvertrag." Was bedeutet Ihrer Meinung nach so ein Statement?

    Mützenich: Insbesondere ein Statement in diesem Hinblick bedeutet, dass man offensichtlich auch nicht zu Kompromissen bereit ist, die man aber letztlich wird eingehen müssen, um auf einer Verhandlungslösung eben mit Kompromissen letztlich auch ein tragfähiges Agreement zu schaffen, was ja auch unterschiedliche Gruppen letztlich in Palästina einbeziehen muss. Wir sehen ja auch auf der anderen Seite: Die palästinensische Politik ist mit Sicherheit keine einheitliche Politik, was sowohl den Gazastreifen als auch das Westjordanland betrifft. Aber immerhin hat Präsident Abbas auch von Seiten der Hamas immer noch den formellen Auftrag, zu diesen Friedensgesprächen auch bereit zu stehen. Nur ich glaube, mehr und mehr schließt sich hier ein Fenster, und deswegen auch der wichtige Appell an den amerikanischen Präsidenten, der nach meinem Dafürhalten hier eine wichtige Aufgabe zusammen mit seinem Außenminister in den nächsten Monaten wird angehen müssen.

    Kapern: Wenn Sie Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde wären, würden Sie sich an einen Verhandlungstisch mit Israel setzen, während gleichzeitig der Siedlungsbau vorangetrieben wird?

    Mützenich: Diesen Job wählt man sozusagen nicht freiwillig. Aber ich glaube, ihm bleibt auch gar nichts anderes übrig, als zu Verhandlungen oder auf der Grundlage von Verhandlungen zu einem Kompromiss beizutragen, und deswegen ist es ja so beeindruckend, dass Präsident Abbas trotz aller Enttäuschungen, trotz aller Demütigung auch versucht, auf dieser Verhandlungslösung einen Kompromiss zu finden, und die Resolution in der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat ja noch mal bestätigt, dass hier die palästinensische Autonomiebehörde an einem Strang zieht, und ich glaube, das war auch noch mal ein wichtiges Signal an die israelische Regierung und hier muss nach den Wahlen, glaube ich, auch noch mal weiterhin alles versucht werden, sowohl vom Sicherheitsrat, aber auch von Seiten der Europäischen Union, eine neue israelische Regierung auch zur Kompromissbereitschaft zu drängen.

    Kapern: Nun haben ja die Palästinenser nicht nur angekündigt zu versuchen, eine Resolution gegen den israelischen Siedlungsbau bei den Vereinten Nationen zu erwirken, sondern sie spielen auch mit dem Gedanken, ihr neues Gewicht als Beobachterstaat dazu zu nutzen, vor einen internationalen Gerichtshof zu ziehen. Diese Möglichkeit ist Palästina ja durch die Aufwertung bei den Vereinten Nationen eröffnet worden. Was würde geschehen, wenn die Palästinenser tatsächlich versuchen würden, Israelis – denn es geht immer nur um konkrete Personen vor diesen Strafgerichtshöfen – wegen der Siedlungspolitik verurteilen zu lassen?

    Mützenich: Formal könnte das die palästinensische Regierung, aber ich habe die Worte in den letzten Tagen schon so verstanden, dass im Grunde genommen das Hauptaugenmerk weiterhin darauf gerichtet ist, in Verhandlungen letztlich auch zu einer tragfähigen Lösung zu kommen, auch Kompromisse einzugehen und sich sozusagen auch nicht in der Politik gegenseitig hochzuschaukeln, weil das wäre es nach meinem Dafürhalten. Deswegen rechne ich schon damit, dass weiterhin Präsident Abbas alles unternehmen wird, zusammen auch mit den ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und auch anderen Nationen, die auch möglicherweise noch Einfluss auf die israelische Regierung zumindest teilweise haben, eben auch hier zu Kompromissen zu kommen.

    Kapern: Mahmud Abbas bemüht sich ja um eine Versöhnung mit der Hamas, um sozusagen das Gewicht der Palästinenser, das politische Gewicht wieder zu sammeln, vereint aufzutreten. Wir haben erlebt, dass Chalid Maschal einen historischen Auftritt im Gazastreifen absolviert hat. Er wird sogar als möglicher Nachfolger von Mahmud Abbas gehandelt. Glauben Sie, dass dies die Friedensperspektive noch weiter eintrüben würde?

    Mützenich: Auf jeden Fall. Auf der anderen Seite muss man aber auch darauf achten, dass Maschal durchaus in Interviews und auch in Gesprächen, die Delegationen mit ihm geführt haben, darauf hingewiesen hat, dass er unter Umständen eben auch bereit ist, auf der Grundlage der arabischen Friedensinitiative zu handeln, das heißt, Israel auch in den Grenzen von 1967 anzuerkennen. Da gibt es Bewegungsspielräume. Und ich glaube, es ist sinnvoll, jetzt mit den Verantwortlichen, eben mit Präsident Abbas auch zu einem Kompromiss zu kommen, weil ich glaube, das wäre noch leichter als möglicherweise mit entsprechenden Nachfolgern.

    Kapern: Schauen wir noch ganz kurz auf einen Seitenaspekt dieses Themas. Die USA scheinen, verstimmt darüber zu sein, dass die Europäer, auch Deutschland, in der vergangenen Nacht gegen Israel Position bezogen haben. Ist da transatlantisches Porzellan zerschlagen worden durch das Verhalten der Bundesregierung?

    Mützenich: Nun, das mag öffentlich so sein. Auf der anderen Seite sollten wir schon zur Kenntnis nehmen, dass Präsident Obama und auch seine Administration den Siedlungsbau auch kritisiert hat, möglicherweise eben nicht auf der Ebene der Vereinten Nationen, dass man sich dort zurückhält, und er weiß natürlich auch, dass es auf ihn letztlich ankommt, auch die israelische Regierung nach den Wahlen in Israel umzustimmen. Deswegen, glaube ich, ist die eine Seite eben das, was zurzeit öffentlich kommuniziert wird, und auf der anderen Seite, was man gerade gegenüber der US-Administration deutlich machen muss, auf sie kommt es an.

    Kapern: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, heute zu Besuch bei uns hier im Studio in Köln. Herr Mützenich, danke für Ihren Abstecher hierher.

    Mützenich: Gerne, Herr Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker
    Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. (Rolf Mützenich MdB)