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Mützenich wirft Mursi Anstachelung von Protesten vor

Die Partei des ägyptischen Präsidenten Mursi hat anlässlich der Freitagsgebete zu Protesten gegen den umstrittenen Mohammed-Film - und damit letzlich die USA - aufgerufen. Rolf Mützenich (SPD) appelliert an die Regierung, für einen friedlichen Demonstrationsverlauf zu sorgen und nicht noch Öl ins Feuer zu gießen.

Das Gespräch führte Christoph Heinemann | 14.09.2012
    Christoph Heinemann: Die Geschichte der Filmkunst muss nicht neu geschrieben werden, einen Oscar wird das Werk nicht gewinnen, das im Internet anzuklicken ist und das für Aufruhr, Mord und Totschlag in einigen islamischen Staaten gesorgt hat. Vorläufige Bilanz: in Libyen wurde am Dienstag bei einem Angriff der US-Botschafter sowie drei weitere Diplomaten getötet, im Jemen starben gestern mehrere Menschen bei Protesten gegen den Film vor der US-Botschaft, in Kairo gab es erneut Proteste und zahlreiche Verletzte. "Innocence of the Muslims", die Unschuld der Muslime, verunglimpft den Propheten Mohammed. Der Prophet wird unter anderem als Kinderschänder dargestellt und aus den USA gibt es unterschiedliche Spekulationen über den Autor des Films. Nach Angaben aus US-Justizkreisen handelt es sich um einen Mann namens Nakoula, der sich gegenüber der Nachrichtenagentur AP als koptischer Christ bezeichnet haben soll.
    Das Ganze bleibt übrigens auch für Europa nicht ohne Folgen; die Proteste haben gestern für Nervosität am Rohölmarkt gesorgt, die Ölpreise zogen an. – Am Telefon ist Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen.

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Mützenich, entlädt sich zurzeit mehr als nur die Empörung über einen Film?

    Mützenich: Nun, mit Sicherheit, weil wir erleben ja immer wieder in einzelnen Ländern der arabischen Welt, aber auch letztlich darüber hinaus, dass die USA für eine Menge von Problemen verantwortlich gemacht werden, teilweise für innere Probleme sogar. Dafür steht sie stellvertretend für die Umbruchsituation letztlich auch in diesen Gesellschaften, aber auf der anderen Seite auch in der internationalen Politik. Und einige Gruppen benutzen insbesondere die USA natürlich, weil sie damals in den Irak interveniert haben und sich sozusagen als Besatzungsmacht in der arabischen Welt festgesetzt haben.

    Heinemann: Stichwort "interveniert". Welche Botschaft geht für Sie vom Tatort in Libyen aus? Bengasi steht ja für den Anfang vom Ende des Gaddafi-Regimes, das mithilfe der USA herbeigeführt wurde.

    Mützenich: Genau, das ist die Ironie. Nachdem er eben gestürzt war, haben wir viele jubelnde Menschen gesehen, sogar mit amerikanischen Flaggen, und jetzt eben diese Vorkommnisse in Bengasi, der Tod von Diplomaten und letztlich eben auch der Angriff auf Vertreter der USA. Das macht natürlich nachdenklich und da kommt es insbesondere darauf an, wie die politisch Verantwortlichen aus sogenannten islamistischen Parteien auf diese Herausforderung reagieren. Ich hätte mir zum Beispiel vom ägyptischen Präsidenten Mursi viel früher eine Stellungnahme gewünscht und insbesondere, wo er diese Ausschreitungen auch in Ägypten sozusagen nicht nur kritisiert, sondern eben auch nicht durch seine Organisation zu großen Protesten aufruft.

    Heinemann: Was hätten Sie sich genau gewünscht? Er hat das ja relativ staatstragend gemacht. Er hat sowohl den Film als auch die Gewalt verurteilt.

    Mützenich: In der Tat. Aber gleichzeitig hat er eben darauf hingewiesen mit seiner Organisation und zu Protesten heute beim Freitagsgebet aufgerufen, und damit übernimmt natürlich auch diese Vereinigung letztlich Verantwortung dafür, ob es möglicherweise heute nicht wieder zu neuen Ausschreitungen kommt. Ich finde, hier ist auch insbesondere jetzt an die staatlich Verantwortlichen zu appellieren, dass sie den Versuch unternehmen, dass diese Demonstrationen friedlich stattfinden und nicht eben noch Öl ins Feuer gegossen wird.

    Heinemann: Herr Mützenich, wir haben eben gehört, dass der mutmaßliche Autor des Films sich als ägyptischer Kopte oder als jemand mit koptischem Hintergrund geoutet haben soll. Wie sollte die Bundesregierung reagieren, sollte sich die Lage der Kopten in Ägypten weiter verschlechtern?

    Mützenich: Also es ist ja ohnehin obskur, was dort alles passiert ist in den Zusammenhängen vom 11. September. Da kann man ja eine Menge sozusagen nachvollziehen, was letztlich auch provoziert werden soll. Und leider ist es sozusagen auch schnell passiert, dass es zu diesen Ausschreitungen gekommen ist. Ich glaube, dass die Bundesregierung zusammen mit der amerikanischen Regierung alles unternehmen soll, besonnen darauf zu reagieren. Ich war sehr froh darüber, dass Präsident Obama auf der einen Seite zwar sehr deutlich, aber auf der anderen Seite auch sehr besonnen reagiert hat, und ich glaube, unsere Aufgabe wird es sein, auch gerade im US-Wahlkampf gegenüber den einzelnen Gruppen in den USA deutlich zu machen, das hilft nicht, wenn im Wahlkampf sozusagen darüber gestritten wird, wer die kräftigste Position einnimmt.

    Heinemann: Hängt natürlich ein bisschen auch von der Analyse der Ursachen ab, die werden die Reaktionen beeinflussen. Von Mike Rogers, dem Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, stammt die Aussage, dieser Angriff in Bengasi sei geplant, koordiniert und organisiert ausgeführt worden. Könnten Sie sich vorstellen, dass der Leiter einer der größten US-Auslandsvertretungen "nur" von einem wütenden Mob getötet werden kann?

    Mützenich: Also wir brauchen noch weitere Informationen. Aber das, was uns auch jetzt in den letzten Stunden erreicht hat, macht doch offensichtlich deutlich, dass wir in Bengasi es mit einer Gruppe zu tun gehabt haben, die diese unmittelbaren Proteste unter Umständen auch ausgenutzt haben. Ob sie sozusagen gezielt und geplant waren, ist natürlich noch weiterhin zu untersuchen. Niemand wusste auf der anderen Seite, dass Anfang September dieses Video auch synchronisiert ins Netz gestellt wird und auch die arabische Öffentlichkeit erreichen könnte. Aber dass sich offensichtlich gewaltbereite Gruppen in Bengasi in den letzten Wochen immer wieder deutlich gemacht haben und auch ja vor einigen Monaten das Konsulat angegriffen haben, ist offensichtlich.

    Heinemann: Rechnen Sie, Herr Mützenich, damit, dass dieser Aufruhr den US-Wahlkampf beeinflussen wird?

    Mützenich: Das ist so, und wir haben ja gesehen, dass der Präsidentschaftskandidat Romney sehr schnell, sehr frühzeitig und offensichtlich auch uninformiert reagiert hat und auch dies instrumentalisiert hat. Umso besonnener nach meinem Dafürhalten hat Präsident Obama reagiert, und deswegen, glaube ich, ist neben der Frage, wie wir auf die Proteste in der arabischen Welt auch in der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik reagieren, auch verantwortlich, dass wir denjenigen in den USA sagen, das dient überhaupt nicht, dass das im Wahlkampf innenpolitisch instrumentalisiert wird.

    Heinemann: Hat Obama die Spannungen zwischen einem großen Teil der islamischen Welt und den USA in den vergangenen vier Jahren verringern können?

    Mützenich: Er hat ja alles unternommen und ich glaube, es war wichtig gewesen, dass er damals sehr frühzeitig die Rede in Kairo gehalten hat. Er hat versucht, zum Beispiel zum iranischen Neujahrsfest auch die Bevölkerung im Iran letztlich zu erreichen. Möglicherweise hat er das Hasserfüllte auch gegenüber denjenigen, die die USA für alles verantwortlich machen, letztlich unterschätzt. Auf der anderen Seite müssen Sie auch sehen: er hat ja versucht, am Anfang auch zum Beispiel diesen wichtigen Konflikt zwischen Israel und Palästina letztlich zu bearbeiten, ist da nicht weitergekommen. Also möglicherweise haben wir ihm auch sozusagen zu viel letztlich aufgeladen, oder er hat auch nicht genügend Unterstützung bekommen.

    Heinemann: Zu den Ursachen der Spannung gehört ja der Nahost-Konflikt. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat wiederholt offen die Forderung an die USA gerichtet, im Streit über das iranische Atomprogramm entschlossener anzutreten oder aufzutreten. Kann sich Obama das im Augenblick erlauben?

    Mützenich: Ich glaube, Präsident Obama und die gesamte Administration haben nach meinem Dafürhalten in den letzten Jahren alles unternommen, um die Hand in Richtung Iran auszustrecken, sowohl auf diplomatischen Kanälen, und auf der anderen Seite aber deutlich zu machen, dass eine Bewaffnung, eine atomare Bewaffnung nicht hinnehmbar ist. Und ich glaube, das ist letztlich auch der richtige Kurs, auch mit anderen Ländern in der sogenannten Sechsergruppe auf den Iran einzuwirken, und wir haben ja zum Beispiel jetzt gesehen, dass bei der Internationalen Atomenergiebehörde die Informationen, die dort zusammengelaufen sind, eine große Mehrheit der Länder gefordert hat, dass eben der Iran letztlich auch Inspektionen zulässt und im Grunde genommen auf die internationale Gemeinschaft zugeht, und solange eine US-Administration dies unterstützt, glaube ich, müssen wir diesen Kurs unbedingt unterstützen.

    Heinemann: Herr Mützenich, die nächste Frage ist keine außenpolitische, dennoch stelle ich Sie. Wie weit geht die Meinungsfreiheit, die Freiheit künstlerischer Darstellung und ab wann muss das religiöse Empfinden geschützt werden?

    Mützenich: Ich glaube, wir müssen das immer von den Autoren letztlich auch verlangen, dass sie so sensibel sind, darauf zu reagieren, und wir haben es ja hier gesehen, dass im Grunde genommen es offensichtlich nicht um Kunst, sondern um ein politisches Machwerk geht. Auf der anderen Seite hat zum Beispiel der nordrhein-westfälische Innenminister ja versucht, Demonstrationen von Pro NRW zu unterbinden, wenn sie eben auch vor Gotteshäusern stattfinden und sozusagen auch zum Hass aufrufen. Das ist von Gerichten verneint worden. Das ist eine schwierige Gratwanderung. Ich glaube, wir als Politiker müssen uns mit diesen Dingen auseinandersetzen und insbesondere eine kritische Diskussion in der Gesellschaft auch verlangen, die eben nicht auf Ressentiments und Chauvinismus setzt.

    Heinemann: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Mützenich: Vielen Dank, Herr Heinemann. Alles Gute!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.