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Muhammad Ali "war ein großartiger Rhetoriker"

Muhammad Ali habe damals begriffen, "dass er die Leute auch unterhalten muss", sagt Maike Albath, Literaturkritikerin und Autorin mit Box-Faible. Mit seinem Selbstbewusstsein, seiner Cleverness und seiner Zähigkeit habe Ali einen wichtigen Beitrag für die afro-amerikanische Kultur geleistet.

Maike Albath im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.01.2012
    Friedbert Meurer: Am 30. Oktober 1974 standen sich in Kinshasa in Zaire, das früher und heute wieder Kongo heißt, zwei Boxer gegenüber zum größten Kampf des 20. Jahrhunderts: George Foreman und Muhammad Ali. Lange dominierte Foreman; dann, Sekunden vor Ende der achten Runde, schlägt Muhammad Ali sensationell zurück. "It’s a knock out", knock out gegen Foreman, ruft da der Reporter, nur schwer zu verstehen. Muhammad Ali war durch diesen Sieg und sein Comeback wieder der Größte. "Ich bin der hübscheste Kämpfer im Ring", hat er gesagt, Muhammad Ali, oder "der Mann, der mich schlagen könnte, wurde noch nicht geboren". Ali war für seine große Klappe berühmt und dann eben auch für den gehörten Satz, "ich mach’s mit Buster, wie die Indianer mit General Custor: Ich vernichte ihn", martialische Worte. – Maike Albath ist Literaturkritikerin für viele überregionale Zeitungen und auch für Deutschlandradio Kultur und den Deutschlandfunk. Guten Morgen nach Berlin, Frau Albath.

    Maike Albath: Guten Morgen!

    Meurer: Sie sind Box-Anhängerin, als Frau. Wie kommt das?

    Albath: Es ist einfach eine unglaublich interessante, spannende Sportart, und wenn Sie so wollen sind es Zeichenketten, die man interpretieren kann, auch die Schläge. Es ist eigentlich ein Schauspiel ohne Worte und deshalb gerade auch für diejenigen, die sich für Literatur interessieren, hochinteressant und hoch spannend.

    Meurer: Machen Ihnen blutige Nasen und zugeschwollene Augenbrauen nichts aus?

    Albath: Doch, natürlich. Ich bin keine Anhängerin von Gewalt. Aber mich interessiert jemand wie Muhammad Ali, gerade weil er jemand ist, der ja etwas ganz anderes in den Box-Sport gebracht hat. Er war ein großartiger Rhetoriker. Er hatte dieses unglaubliche Maul, das Sie schon erwähnt haben, und er war ja jemand, der begriffen hat, dass man die Leute auch unterhalten muss. Er hatte ein unglaubliches Selbstbewusstsein, so ein Selbstbewusstsein hatten schwarze Sportler damals gar nicht, und er ist in diese rituellen Beleidigungsduelle eingestiegen.

    Norman Mailer, der Schriftsteller, war dabei, als dieser Kampf in Kinshasa stattfand, und er hat beschrieben, wie Muhammad Ali dann ja unglaublich eingesteckt hat von Foreman, fünf Runden lang, und ihn die ganze Zeit beschimpft hat. Er hat zu ihm gesagt, ich bin enttäuscht von dir, ich hätte von dir mehr erwartet, was machst du denn da, und diese Kraft zu haben, also auch dieses Tricksen, eben nicht nur athletisch unheimlich gut dabei zu sein, sondern dann auch sehr zäh zu sein, sehr schlau zu sein und den günstigen Augenblick abzuwarten und zu wissen, wie man den Gegner schlagen kann, eben auch psychologisch, das konnte Ali und da war er auch für die schwarze Kultur unglaublich wichtig.

    Ich habe das jetzt im Gleesen’s erlebt, in New York, in den großen Boxkampf-Arenen ist es immer noch so: Jugendliche finden Ali ganz, ganz großartig. Er ist für sie ein Idol und man kann wahrscheinlich sogar so weit gehen, dass Obama ohne Ali gar nicht vorstellbar wäre.

    Meurer: Intellektuelle haben den Fußball entdeckt vor einiger Zeit, sagen wir mal rund um 2006 bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Gibt es noch mehr Literaturfreunde wie Sie, Intellektuelle, die sich fürs Boxen erwärmen?

    Albath: Das ist ja eine ganz große Tradition. Wenn Sie an die 20er-Jahre denken: Erika Mann und Vicki Baum waren begeisterte Boxerinnen und Bertolt Brecht war jemand, der sich sehr dafür interessiert hat. Und in den USA hat es eine große Tradition. Da gibt es Joice Carol Oates, die einen wunderbaren Essay dazu geschrieben hat, Norman Mailer, der immer ganz vorne mit dabei war und der gerade zu Muhammad Ali auch sehr kluge Sachen gesagt hat und ihn deuten konnte, der das Sportliche auf der einen Seite verstanden hat und auf der anderen Seite auch gesehen hat, dass er eine Chiffre wurde für die Kultur, für das, was sich da allmählich entwickelte, und das macht das Ganze natürlich wirklich immer wieder sehr, sehr aufregend. Ich glaube, es ist eben wirklich so, dass der Kampf des Boxens – das macht es für Intellektuelle auch so spannend – sehr ritualisiert ist.

    Vom Wiegen angefangen, was da vorher stattfindet, von der Möglichkeit, jemanden zu täuschen, jemanden immer wieder irgendwie anzugehen – und das ist ja dann fast schon eine Metapher für das Leben -, das sind Dinge, die wir immer wieder so auch im ganz normalen Alltag erleben, dass es um Angriff geht, um Verteidigung, um Kontern, um Antäuschen, und das, glaube ich, macht es so faszinierend auch für eine breitere Masse. Es gibt einen ganz berühmten Reporter, den ich immer noch empfehlen kann; Liebling hieß er, ein Österreicher, der aber in den USA dann gelebt hat und Joe Lewis zum Beispiel beobachtet hat. Der hat ein wunderbares Buch geschrieben, "Die artige Kunst", "sweet science". So wurde Boxen ja auch genannt und das war auch eine Möglichkeit, einfach das Leben zu begreifen in den USA.

    Meurer: Warum artige Kunst? Manche sagen, das ist einfach nur Schlägerei.

    Albath: Nein. Wenn man sich mit dem Olympischen Boxen beschäftigt und weiß, worum es geht – da werden ja gut platzierte Treffer bewertet und bekommen Punkte. Es geht nicht darum, den anderen einfach nur auszuknocken. Da haben wir jetzt vielleicht diese ganz spektakulären Kämpfe vor Augen. Aber wenn man sich mit der Disziplin, mit dem Sport an sich beschäftigt, dann ist das schon ganz anders.

    Meurer: Maike Albath, Literaturkritikerin des Deutschlandradios, zum 70. Geburtstag von Muhammad Ali. Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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    Ali gilt als der populärste Boxer aller Zeiten. Seine berühmten Kämpfe tragen die Namen: "Thrilla in Manila" und "Rumble in the Jungle". Doch nicht nur seine Fights gegen Joe Frazier und George Foreman waren legendär - er polarisierte auch mit seiner politischen Mission.
    DRadio Wissen Tagesthema
    Muhammad Ali kämpft 1975 gegen Joe Frazier im "Philippine Coliseum" in Manila um den WM-Titel im Schwergewicht
    Ali kämpft 1975 gegen Joe Frazier um den WM-Titel (picture alliance / dpa)