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Multiferroika
Elektrisch-magnetische Hochzeit

Eine noch junge Werkstoffklasse elektrisiert im Moment manchen Physiker - die sogenannten Multiferroika. Das sind Materialien, die magnetisch sind, aber zugleich auch elektrisch aufgeladen. Bis vor Kurzem waren sie noch Gegenstand der Grundlagenforschung. Nun aber haben Forscher erste Prototypen entwickelt, die für die Technik interessant sein könnten.

Von Frank Grotelüschen | 30.07.2015
    "Once you do it right, they could produce a very strong cross coupling."
    Macht man alles richtig, kommt eine sehr starke Kopplung heraus. Wenn Nian Sun über sein Forschungsfeld doziert, steht ihm die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. Der Physiker von der Northeastern Universität in Boston befasst sich mit einer noch jungen Werkstoffklasse, bei der es in jüngster Zeit mächtige Fortschritte gab. Multiferroika, so heißen die nahezu magischen Mehrzweckmaterialien.
    "Das Besondere an den Multiferroika: Sie sind zugleich magnetisch und elektrisch, und diese beiden Eigenschaften können sich sehr stark beeinflussen. Ich kann zum Beispiel mit einer winzigen elektrischen Spannung regeln, wie stark das Magnetfeld des Materials ist. Umgekehrt genügt bereits ein kleines Magnetfeld, um das elektrische Feld zu beeinflussen. Ein Wechselspiel, das es in dieser Form bei anderen Stoffen nicht gibt."
    "Das bislang beste Magnetometer"
    Die Grundstruktur ist simpel: ein Sandwich aus ganz vielen Schichten. Und zwar immer abwechselnd eine Schicht etwa aus Aluminiumoxid mit speziellen elektrischen Eigenschaften, und eine Magnetschicht zum Beispiel aus einer Metalllegierung. Die Herstellungsprozedur war anfangs durchaus primitiv.
    "Man hat mit Klebstoff die Schichten einfach verklebt. Und das hat tatsächlich funktioniert!"
    Heute sind die Methoden deutlich raffinierter: Mit Verfahren, wie man sie zur Herstellung von Mikrochips nutzt, können Sun und seine Kollegen extrem feine und geordnete Schichten aufdampfen. Herausgekommen sind interessante Prototypen, etwa für einen hochempfindlichen Magnetsensor. Der misst nur knapp einen Millimeter und gerät bereits bei kleinsten Änderungen des Magnetfelds ins Schwingen - was sich dank der Multiferroika genauestens erfassen lässt. Die Sensorempfindlichkeit liegt im Pikotesla-Bereich, etwa ein Hunderttausendstel des Erdmagnetfelds.
    "Das ist das bislang beste Magnetometer der Welt, zumindest bei Raumtemperatur. Es könnte schon bald in Satelliten eingebaut werden, für deren Navigation. Bislang nutzt man dafür ziemlich große und teure Sensoren. Wir hoffen, dass wir an dieser Stelle einiges an Platz, Gewicht und Kosten einsparen können."
    Akkus von Notebooks würden länger halten
    Ein zweiter Prototyp soll sich nach dem Willen der Forscher in ein paar Jahren in unseren Smartphones wiederfinden, um dort für besseren Empfang zu sorgen. Es ist eine Art winzige Magnetspule, deren Magnetfeld sich ändert, wenn man ein wenig an der elektrischen Spannung dreht. In den heutigen Handys gibt es ein solches Bauteil noch nicht. Es soll den Frequenzbereich erweitern und die Geräte kompakter machen und billiger. Ähnlich lukrativ könnte die dritte Idee sein, an der das Team aus Boston derzeit tüftelt - eine neue Art von Datenspeicher.
    "Mit den Multiferroika können wir Daten magnetisch schreiben, einfach indem wir die Spannung ein wenig ändern. In den heutigen Magnetspeichern braucht es dafür relativ starke Ströme, und das kostet Energie. Mit den Multiferroika ließe sich das - zumindest im Prinzip - extrem stromsparend machen."
    Was zum Beispiel die Besitzer von Notebooks freuen dürfte - der Akku ihres Geräts würde länger halten. Allerdings müssen die Physiker hierfür noch manches Problem meistern: So müssen die Sandwich-Schichten noch feiner und geordneter werden, damit sich das Magnetfeld präzise genug steuern lässt. Und auch die Zuverlässigkeit macht noch Ärger. Schließlich möchte man seine Daten ja nicht nur ein paar Mal in seinen Speicher schreiben, sondern so oft es einem beliebt.