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Musée d'Orsay: "Bilder der Prostitution"
Viel Glanz, viel Elend

Maler wie Toulouse-Lautrec waren fasziniert von der Welt der Huren. Das Pariser Musée d'Orsay präsentiert nun die Gemäldeausstellung "Glanz und Elend - Bilder der Prostitution". Medizinische Fotos zeigen ergänzend die harte Realität der jungen Frauen.

Von Kathrin Hondl | 22.09.2015
    Der Liebesstuhl von Edward VII. (im Vordergrund) und das Gemälde "Portrait de Mademoiselle de Lancy" von Carolus-Duran, aufgenommen am 18.09.2015 im Musee d' Orsay in Paris (Frankreich). Unter dem Titel "Glanz und Elend. Bilder der Prostitution, 1850-1910" widmet das Pariser Orsay-Museum dem Thema käufliche Liebe erstmals eine umfassende Werkschau. Foto: Sabine Glaubitz/dpa
    Der Liebesstuhl von Edward VII. und das Gemälde "Portrait de Mademoiselle de Lancy" von Carolus-Duran im Musee d' Orsay in Paris in der Ausstellung "Glanz und Elend. Bilder der Prostitution, 1850-1910" (picture alliance / dpa / Sabine Glaubitz)
    "Pauvre pierreuse!" – "Arme Straßenhure!" Die Partitur dieses Chansons von 1893 hat Henri de Toulouse-Lautrec illustriert: Eine schmale, müde aussehende blonde Frau, um den Hals eine Federboa, folgt einem mit Mantel, Stock, Zylinderhut vornehm gekleideten Herrn. Die Illustration ist eines von rund 300 Bildern aller Art, die im Musée d'Orsay "Glanz und Elend" der Prostitution vorführen – von Degas gedankenverlorener "Absinthtrinkerin" über Cézannes "moderne" und offensichtlich käufliche "Olympia" bis zu den bunten Hurendarstellungen fauvistischer Maler oder – versteckt hinter schweren Samtvorhängen in für Minderjährige verbotenen Kammern - frühen Pornofotos.
    Der Ausstellungstitel ist Honoré de Balzacs "Glanz und Elend der Kurtisanen" entlehnt, einem Roman aus der "Comédie humaine", dem großen literarischen Porträt der französischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts - einer Gesellschaft, in der Prostitution omnipräsent war. Und selbst auf die große Frage "Was ist Kunst?" gab es damals eine simple Antwort, nämlich: "Prostitution" – das jedenfalls schrieb der Dichter Baudelaire in seinem berühmten Text über den "Maler des modernen Lebens".
    Prostitution war im 19. Jahrhundert ein wichtiges Thema
    Umso erstaunlicher sei es, dass es dazu bisher noch keine große Ausstellung gegeben habe, meint die Kuratorin Isolde Pludermacher:
    "Prostitution war im 19. Jahrhundert ein wichtiges Thema, ob in Literatur, Theater, Oper oder Bildender Kunst. Und man kann sich fragen, warum das die Künstler so sehr interessierte. Eine Hypothese dieser Ausstellung ist: Das Thema Prostitution ermöglicht den Künstlern, ihr Formenrepertoire und ihre Bildsprache zu erneuern."
    Etymologisch geht das Wort Prostitution zurück auf das lateinische "prostituere" – zur Schau stellen. Genau das taten die nach Schätzungen der Polizei damals rund 50.000 Pariser Prostituierten, und zwar vornehmlich abends und nachts – nur dann war es erlaubt – im Gaslaternen-Licht der Großstadt.
    "Da entstanden Lichteffekte, besonders auf den geschminkten Gesichtern. Schminke nannte man damals auch 'Gesichtsmalerei'. Die Welt der Kunst und der Prostitution treffen sich in diesem Begriff. Neben der Schminke waren auch farbige Unterwäsche und Strümpfe charakteristisch für die Welt der Prostituierten. Und das ist eine im Wortsinn pittoreske Welt, die ein Motiv für die Maler wird und ihren Umgang mit den Farben befreit."
    Knallrote Haare, lila Strumpfbänder
    Am offensichtlichsten ist das bei den Fauvisten. André Derain oder Maurice Vlaminck malen Damen mit knallroten Haaren und Lippen, lilafarbene Strumpfbänder und ein knallgrüner Hut bringen bei Kees Van Dongen eine Nackte vor blauem Hintergrund zum Leuchten. "Ich kann diese Frauen nur in schreienden Farben malen", schrieb Van Dongen, und weiter: "Vielleicht mache ich das, um so die Intensität ihrer Existenz auszudrücken?"
    Die Künstler – in der Ausstellung gibt es ausschließlich Werke von Männern – waren fasziniert von der bunten Welt der Huren und der Pariser Bordelle. Die Bilderwelt, die in ihren Gemälden entsteht, ist allerdings meistens eine imaginäre Welt – mehr "Glanz" als "Elend" der Prostitution ist zu sehen, wenn Toulouse-Lautrec lasziv hingestreckte Frauenkörper im "Salon de la rue des Moulins" oder Manet das lustige Treiben auf dem Maskenball der Pariser Oper malt.
    Die Schattenseiten zeigen die Künstler nicht
    Die Schattenseiten des oft von Krankheiten geprägten Lebens der Prostituierten sind auf den Bildern dieser "Maler des modernen Lebens" kaum zu sehen. Im Gegensatz zur naturalistischen Literatur dieser Zeit, wo zum Beispiel Emile Zola in "Nana" das Schicksal einer Pariser Prostituierten in allen schrecklichen Details beschreibt.
    "In den naturalistischen Romanen sterben die Protagonistinnen am Ende meistens unter schlimmsten Schmerzen an der Syphilis. Solche sehr brutalen Darstellungen gibt es in der Malerei nicht."
    Das Motiv Prostitution allein war den Malern wohl schon skandalträchtig und modern genug. Im Musée d'Orsay ist die hässliche und schreckliche Realität des französischen Prostituiertenlebens im 19. Jahrhundert dennoch zu sehen: Wachsfiguren und Fotografien aus Sammlungen medizinischer Fakultäten zeigen von Syphilis-Pusteln zerstörte Gesichter und Körper junger Frauen.
    Schön anzusehen ist das nicht, aber eine sinnvolle Ergänzung der schönen, von Männern gemalten "Bilder der Prostitution".
    Die Ausstellung "Splendeurs et misères – Images de la prostitution 1850 – 1910" (Glanz und Elend. Bilder der Prostitution, 1850-1910) ist im Pariser Musée d'Orsay vom 22.9.15 – 17.1.16 zu sehen. Anschließend ab 19.2.16 im Van Gogh Museum Amsterdam.